Hallo, Hölle!
Ein wenig Röstgut für heiße Sommerabende ... viel Spass damit.
Dieser Text folgt unmittelbar auf den vorherigen (Ausblick) und spielt eine ganze Weile vorher. Und soll ein paar Dinge tun. Den Prota vorstellen, beispielsweise. Und seine Situation erklären. Das Ausgangs-Setting zeigen, solche Sachen eben.
Und natürlich möchte ich ein paar Erwartungen wecken ...
Insgesamt (inklusive ˋAusblick´) sind das bislang etwa 7-8 Buchseiten, was bedeutet: Die Sache geht eher gemächlich an ...
Genug der Vorrede, Fragen am Schluss.
Wandertag
es war gar nicht spektakulär, damals.
Ich war grade von meiner Firma gekündigt worden - und am gleichen Abend auch von meiner Freundin. Wieder mal.
Das eine wegen Ehrlichkeit, das andere wegen ist-mir-egal-was-das-finanziell-ausmacht - und nun kann sich meinetwegen jeder denken, welche Begründung zu welchem Rausschmiss gehört.
Das ist nicht wichtig, und sowieso das Gleiche.
Anstatt darüber zu wehklagen, in Depressionen oder Zukunftsängste zu verfallen oder gar zu schimpfen - Strategien der Stressbewältigung, die sich schon früher als unwirksam herausgestellt hatten - beschloss ich spontan, eine Wanderung zu unternehmen.
Wandern in den deutschen Mittelgebirgen ist eine funktionierende Sache, wenn es nicht so gut läuft, und dazu ziemlich kostengünstig. Wenn man die Touristenzentren meidet jedenfalls, und auf Hotelzimmer verzichten kann.
Touristen findet man kaum welche im Solling, und demnach auch wenige Hotels, dafür eine nette, unspektakuläre, sanfte Landschaft, Ruhe und Frieden. Genau das Richtige, wenn man genug von allem hat. Nichts ˋlos´, und wenn, dann wenigstens langweilig genug, dass kaum jemand außer den Einheimischen sich dorthin verirrt.
Eine Idylle.
Genau der richtige Ort, um darauf zu vertrauen, dass alles in Ordnung kommt.
Nun, ich hatte eine schöne Woche ohne Netz, ohne WLan und ohne das Bedürfnis, jemanden zu sehen, was in dieser Gegend ziemlich leicht ist. Ein Spirituskocher, eine Wolldecke und ein Tape, mehr braucht es nicht.
Irgendwann wollte ich wieder zurück, sicher ...
Aber erstmal: Allein sein, Natur genießen, Freiheit ...
Sorgen machte ich mir nicht: Immerhin war ich ziemlich gut in meinem Fachbereich, einen Job würde ich schon finden - und was die Sache mit der Beziehung anging, war ich auch zuversichtlich.
Irgendwann würde ich ˋdie Richtige´ treffen, die eine, mit der ich reden könnte, vielleicht in einem kleinen Haus, ein Stück außerhalb der Stadt, vielleicht ...
Hier wäre ein Platz dafür, dachte ich, als ich meine Decke ausrollte, und weil ich das dachte, wusste ich, dass der Urlaub grade vorbeiging: Zukunftspläne machen das Erlebnis ˋAllein sein´ unvermittelt zum Leiden ˋEinsam sein´.
Also gut, morgen früh geht es ... irgendwo hin, wo das andere Leben weitergeht. Dachte ich.
Bei Einbruch der Dämmerung hockte ich an einem kleinen Lagerfeuer, wegen der Stimmung, und warf einem neugierigen Eichhörnchen ein paar übriggebliebene Nüsse aus dem Müsli-Behälter zu. Das Tierchen kam auch immer näher, schaute mich an und ...
Wie blöde kann man sein?
Ein Eichhörnchen in einer verlassenen Gegend, das keine Angst vor Menschen hat? Bitte?
Wenn das Tier nicht ein Stadtparkbewohner auf Verwandtenbesuch in der Wildnis ist, gibt es dafür nur einen möglichen Grund. Was mir allerdings erst einfiel, als Herr Eichhorn bereits seine Zähne in meine Hand gehackt hatte.
Na, bestens, dachte ich. Also, nachdem ich dem Tierchen sorgfältig den Hals umgedreht hatte.
Kein Grund zur Panik, bei rechtzeitiger Behandlung ist Tollwut gut heilbar. Jetzt gleich desinfizieren und dann pronto allegro ins nächste Krankenhaus.
Desinfektion war kein Problem, nicht mit einem Spirituskocher - hochprozentiger, wenn auch vergällter Alkohol wirkt da recht gut. Brennt halt wie die Hölle, aber dafür ist das Zeug ja da.
Und Krankenhaus ist auch kein Problem.
Eigentlich.
Wenn man nicht zu früh aufsteht nach der Desinfektion, und der Kreislauf einem keinen Streich spielt und man nicht sehr rasch und unkontrolliert wieder zu Boden kommt und sich dabei ein Bein auskugelt ...
Mist, verdammter.
Dachte ich nicht, weil ich erstmal gar nichts dachte, sondern schlicht außer Gefecht gesetzt liegenblieb.
Es dauerte deswegen fast vier Tage, bis ich in einem Krankenhaus eintraf. Immerhin musste ich mir erst eine Krücke basteln, dann mit der Gehhilfe den Berg herunterkraxeln, zweimal zusammenbrechen, dann einen Bauern anhalten, der mich auf seine Mistkarren lud und gleich nach dem Füttern und Abendessen in die Stadt fuhr. Und derweil lief die Zeit ...
Damals waren sieben Typen des Lyssavirus bekannt, die Tollwut erregen konnten - und egal, welchen man sich eingehandelt hatte, der Verlauf war, sobald die Krankheit einmal ausgebrochen war, meist tödlich. Und eine zu späte Behandlung bedeutete normalerweise mindestens schwere Hirnschäden.
Tja.
Sah nicht sehr gut aus, die Ausgangslage.
Aber: Es erwischt dich, wenn es dich erwischen soll. Und wenn nicht, dann geschieht eben ein Wunder, um dich zu retten.
Gut, oder?
Als ich endlich das Krankenhaus erreichte, dachte ich nicht an Wunder, sondern klappte in der Notaufnahme zusammen, nachdem ich dem Assistenzarzt knapp das Problem erklärt hatte.
Mein Teil war erledigt, und alles weitere würden Spezialisten tun.
Später habe ich dann erfahren, dass der infragestehende Spezialist ein - naja - sehr spezieller Spezialist war, und dass mir dieser Umstand nicht nur das Leben gerettet hat, sondern auch alle meine sonstigen Probleme lösen sollte - also, die Probleme, die ich bis dahin hatte.
———
Jock hieß natürlich anders, wenn er draußen unterwegs war, als anerkannter und gefragter Fachmann für ... Sonderfälle.
Drei Doktortitel in der Medizin (die alle gefälscht waren), eine florierende Privatklinik (die nur nebenbei alle Arten von seltenen Infektionskrankheiten heilte) und ein Steuerberater, der ...
Aber das ist egal: Nachdem die Leute im Krankenhaus zunächst feststellten, dass die Infektion schon ein klein wenig zu weit fortgeschritten war, um mit konventionellen Methoden erfolgreich behandelt zu werden und dass ich in einer recht teueren Privatkasse versichert war, riefen sie Dr.Dr.Dr. Jock an, der mich umgehend in den mitgebrachten Krankentransporter verfrachtete und mitnahm.
Ich sagte nichts dazu, weil ich in seliger Ohnmacht, bedingt durch den Kreislaufzusammenbruch und eine ordentliche Portion Betäubungsmittel, schlicht nichts davon mitbekam.
Stattdessen wachte ich irgendwann in einem kleinen, furchtbar stickigen, grellweißen und völlig überheizten Raum auf, der nichts enthielt als mein Bett - auf das ich mittels einiger Lederriemen fixiert war.
Was mir nicht gefiel, verständlicherweise.
Folglich spannte ich die Muskeln, zerriss die Bänder und stand auf, um das Fenster zu öffnen - das verriegelt war.
Mir war das alles zu kompliziert, zu eng, zu ärgerlich, und deshalb rammte ich die Faust durch das Glas, das zufriedenstellen splitterte, herrlich frische Luft hereinließ, alles war gut ... und ich rollte mich auf dem Bett zusammen, um zu schlafen.
Komisch? Ja, zugegeben ...
Aber damals fand ich das alles ziemlich ... normal. Auch, weil mein Hirn nicht eben auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit war - ziemlich viele Dinge liefen eher auf der Instinktebene, und ich kapierte erst später, was da passierte. Oder dass überhaupt etwas passierte ...
———
Zwei Monate später erklärte man mir alles. Nun, OK, man erklärte vieles, und davon verstand ich einen ziemlich großen Teil nicht, weil es um Viren, Molekularmedizin und Stoffwechseldinge ging.
Nicht eben mein Fachgebiet.
Der spannende Teil war: Das Eichhörnchen hatte mich mit dem Tollwut-Virus infiziert, ich war reichlich spät in Behandlung gekommen und das war schlecht.
Nicht so schlecht, wie es hätte sein können, weil der Virus eine Mutation hatte und die Behandlung immerhin so erfolgreich verlaufen war, dass ich nicht an der Krankheit sterben würde.
Allerdings musste ich damit leben, denn so etwas wie ˋHeilung´ gab es nicht. Nicht, ohne heftigen Schaden in meinem Kopf anzurichten, jedenfalls, und die Stoffwechselgeschichte wäre auch problematisch.
Ähm.
Die Symptome seien aber gar nicht so übel, insgesamt - erhöhter Nahrungsbedarf (das war mir schon aufgefallen) und eine deutlich erhöhte körperliche Leistungsfähigkeit, sowohl was reine Kraft als auch Reflexe anging. Beschleunigte Selbstheilung und gesteigerte Sinneswahrnehmung, solche Sachen.
Nur ... ich sollte vermeiden, mich in Gefahr zu wähnen, da dadurch meine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt werden könnte.
Ich schaute wohl nicht sehr intelligent, als Jock das erwähnte, also erklärte er es mir in der Version für Geistig Arme:
"Du könntest ausrasten, Georg. Und zwar richtig. Und wegen der größeren Kraft könnte das schlimm enden, für dich und für alle in deiner Nähe. Das Risiko ist zu groß, als dass wir dich entlassen könnten ..."
"Aha", sagte ich resigniert, "Also geschlossene Station?"
"Nun ... nicht unbedingt. Aber auf jeden Fall erst einmal ein Trainingsprogramm, und eine Betreuung. Und wenn das klappt ..."
Er zögerte. Zuckte dann die Schultern und sprach weiter, in betont ruhiger Art:
"Wenn es nicht klappt musst du hier bleiben, also kann ich es dir erzählen. Vielleicht hilft es sogar, wenn du eine Aussicht hast, also:
Wir könnten dich einstellen. Als ... sagen wir mal, als Agent. Ein Job, in dem du deine neuen ... Eigenschaften einsetzen kannst, ohne dass es Schaden anrichtet. Sondern sogar dem Nutzen der Allgemeinheit dient."
"Schön", sagte ich trocken und konnte mir genau gar nichts darunter vorstellen. "Und um was dreht sich die Sache?"
"Wir ... erst einmal so viel: Du bist nicht der Einzige mit einem sonderbaren Problem. Jeder von uns ist ... anders. Anders als der Rest der Menschheit, manchmal auch gefährlich. Und wir versuchen eben, das beste daraus zu machen, OK?"
"Aus ˋAusrasten´ und so? Wie soll man da etwas draus machen, zum Wohl der Allgemeinheit?" fragte ich. Irgendwie funktionierte das Hirn wohl immer noch nicht korrekt ...
"Dazu kommen wir später, Georg. Wenn das Training Früchte trägt. Und wenn du einverstanden bist, stelle ich dir jetzt deine Trainerin vor, und wir entwerfen ein Programm."
Ich nickte, Jock tippte auf sein Handy und die Tür hinter ihm glitt auf.
Und Mia betrat den Raum.
Klein, zierlich, dunkles, halblanges Haar, klare, fast scharfe Züge und sehr helle Haut und ...
Irgendetwas in meinem Kopf machte ˋklick´.
Mia sah mich an, starrte geradezu, und ich starrte zurück, eine Ewigkeit lang, eine Unendlichkeit tief in ihre unergründlichen Augen ...
"Aha," sagte sie und lachte leise. "Du hast ihm nicht gesagt, was ich bin, Jock? Warum?"
"Er findet das selber heraus, denke ich. Oder?"
"Du hast ziemlich viel Vertrauen, Jock. Zu viel für meinen Geschmack. Aber gut, deine Sache. Sollen wir anfangen?"
Das letzte war an mich gerichtet, eindeutig.
Mia lachte wieder leise und fragte noch "Oder möchtest du erst reden?"
Ich wusste nichts zu antworten - genaugenommen wusste ich gar nichts in diesem Moment. Gebannt starrte ich sie weiter an, versuchte zu erkennen, was im Abgrund ihrer Augen auf mich wartete ... Himmel oder Hölle? Aber egal, es hatte mich. Gründlich. Ich starrte.
Und sie lächelte plötzlich, und es war, als hätte mich eine gewaltige Faust losgelassen.
"Reden hilft" sagte ich unsicher. "Sagt man wenigstens"
———
Um es auf den Punkt zu bringen: In dieser Zeit funktionierte mein Verstand gar nicht gut. Eine Folge der Infektion, eine Art ... Fieber, könnte man sagen.
Jock erklärte mir das wissenschaftlich exakt, und soweit ich das verstanden habe, läuft es auf Folgendes hinaus:
Der Virus verändert einen. Gründlich. Und das geht nicht von heute auf morgen, sondern dauert seine Zeit - und in dieser Zeit ist man ... nicht mehr der alte und noch nicht der neue.
Der Intellekt ist ziemlich reduziert, die Instinkte mächtig, und an die intensivere Wahrnehmung muss man sich erst gewöhnen. Schon gedämpftes Licht - wie etwa ein Vollmond - ist schmerzhaft, Geräusche oberhalb von Flüsterlautstärke furchtbar und der Geruch ...
Ernstlich, eine kleine Flatulenz oder ein Hauch von Lavendel wirken wie ein Hammer. Ein ziemlich großer Hammer, und der trifft den ganzen Körper gleichzeitig.
Und ...
Man ist in dieser Zeit empfindlich.
Und sehr empfänglich, was manche Dinge angeht. All die kleinen Signale, die Menschen so geben, unbewusst meistens, wirken sehr ... intensiv. Und nachhaltig.
Vor Jahrhunderten haben die Menschen sich Legenden ausgedacht, um unerklärliches fassbar zu machen, und die Legende vom Werwolf sollte die Tollwut-Symptome erklären.
Aversion gegen Licht und Wasser, Heißhunger, unmotivierte Angriffe ...
Nun gut - ich fühlte und verhielt mich wie ein Werwolf, nur eben wie ein zahmer - ein domestizierter Wolf.
Und ein domestizierter Wolf ist eben ein Hund, und Mia ... Mia hielt das andere Ende der Leine.
Gutes Frauchen.
Wuff.
———
Danke fürs Lesen!
Also, die Fragen:
Ich denke, das Ausgangs-Setting ist recht klar: Normalwelt, erst einmal.
Ist dabei die Einführung von ˋDingen, die unsere Schulweisheit nicht träumen lässt´ einigermaßen flüssig? (Ich meine das mutierten Virus, die angedeutete ˋOrganisation ´ und die Werwolf-Sache)
Georg (der ˋbürgerliche ´ Name von Gerg) erzählt das ˋheute ´ - also im Rückblick. Er gibt sich allerdings Mühe, kein späteres Wissen einfließen zu lassen, und nicht zu spoilern - ˋfärbt´ aber die Erzählung doch sehr. (Dinge, die er damals nicht kapiert hat, werden zwar angedeutet, aber eben nicht ausgesprochen, beispielsweise)
ist der Erzählmodus gelungen?
Und nein, der Text ist nicht so sehr zum ˋMiterleben ´, sondern eher zum ˋZuhören ´ konstruiert - eben ˋErzählung´, nicht ˋFilm´. Fehlt da irgendwas, um einen eigenen ˋFilm´ zu sehen? (Personenbeschreibungen beispielsweise - ich habe nur Mia ˋgezeigt´, Georg und Jock aber gar nicht. Da hoffe ich auf eigene Bilder, bei Georg durch seiner Erzählart, bei Jock hingegen auf ein Klischee ...)
Abseits der Fragen ist (wie immer) auch jede andere Anmerkung willkommen und nützlich!
cheers, Uli