Uli Moll, Die Detektive von Eichenburg, BoD / Selbstverlag
Eine völlig utopische Erzählung und ein vorsätzliches Ableben.
:whee: :hach:
Liebe Mitteufel und -felin(n)en,
ich werde mich dafür hassen, aber ich muss das jetzt tuen. *Strauß NeuRosen schwenk*
*glühenden Koks der Hölle nehm*
*in Weihrauchfass einleg*
*dasselbige bis zum Rand mit Weihrauch auffüll*
*losschwenk* (aber so was von!)
Als ich vor 2 Jahren dieses Buch bestellte, wollte ich einfach nur mal etwas molliges am FF-Kamin lesen, und mein erster Eindruck vom Klappen-, Geleit-, und sonstigen Drumrumtext war, dass da jemand unsere Gesellschaft durch den Kakau ziehen würde.
Nun bin ich zur Hälfte durch und eines Besseren belehrt: es entfaltet sich eine Utopie mit wohl bedachtem Rechtssystem, durch welches uns der ehrwürdige Herr von Waldhof, seines Zeichens Richter und Protagonist, führt, und auch wenn dessen unerhörte Abenteuer als Erzählung dar nieder geschrieben wurden, welche das show eindrucksvoll tellt sowie Dialoge eher erzählt denn ausspricht, oder vielleicht gerade dadurch, ist die Sprache des Buches ein wahrlicher Genuss, welchen ich zuletzt, als ich dieser Sprache begegnen durfte, verwesene 35 Lenze zuvor in gelber Reclam-Schul-Literatur, ganz sicher nicht hatte, und an den Lehrern oder den Autoren oder den für mich damals völlig uninteressanten Themen gelegen haben möge.
Eine post-apokalyptische Utopie, die an das Gute im und an post-skandinavisches High-Tex-Stil-Gewebe am Menschen glaubt, und deren mehrere hundert jährige Rechtsgeschichte den Begriff des heimtückischen Mordes nicht vernommen zu haben scheint, ist mit der vorgefundenen "verschlauften Sprache" - ein aus vollem Herzen aufrichtiges Kompliment, in der die Sätze beständig versuchen die Absätze in deren Länge einzuholen und die in der modernen Häppchen-Literatur lockerflockig 20 Absätze, wahlweise 30 schnelle Filmüberblenden ergeben würden, auf das vortrefflichste berichtet.
Aber noch ist die Stunde - der Autor bezeichnet das Werk als Stundenroman, was mich bei meiner eigenen Einordnung in die Zielgruppe irgendwie verladen hatte - nicht um, und ich werde erst wenn es diese Stunde geschlagen hat, erkennen, ob ich meinem Geschwurbel noch etwas hinzufügen sollte.
Leute,
ich habe absolut keine Ahnung vom Verlagsgeschäft, noch weniger von Literatur. Aber wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen ...
mehr Wünsche. Und dass der zeitgemäße Uli M. irgendwann - und sinniger Weise links - neben Thomas M. im Regal steht, mit einem dezenten Reclam drauf. Schon jetzt hat das Cover die passende Primärfarbe. Und die ganzen Fußnoten 1) erstmal!
Was mich in letzter Zeit dazu berufen hat, wie am Fließband Bücher zu besprechen? Ich weiß es nicht. Vielleicht musste ich mangels sprachlicher Schulleistungen erst Physik und Astronomie studieren, um Sprache zu begreifen.
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1) Was ich ganz sicher nicht lesen möchte auf der Reklame-Rückseite: "... und nichts ist, wie es vorher einmal war.", auch wenn es stimmt. Irgendwie.
* * *
Anhang 1.0 (23.09.10)
Da wäre ich nun fertig mit dem Buch und zur Feier des Tages gab es in der Herberge zum Abend ein gut bürgerliches und vortrefflich Mahl, von dem ich kurz berichten möchte. 2)
Feine Streifen von Bergen
auf frisch angeschlagenem Blatt
dazu ein Glas 680er Südmüller "Erster Mann", in Eichenholz gereift 3)
Bärenfaust Waldhofer Art
an Seedorfer Spitzen
dazu Eichenburger Doppelbräu, frisch vom Faß
Seekeltische Käsevariationen
Rugienische Zigarre und Eichenburger Bär
Das Menue hatte einen Gegenwert von zwei Tagelöhnen, und die Zigarre deren zweimal mehr, wogegen beim Bär jeglich Maß nicht gehalten wurde, allerdings die Gastgeber des Festmahles darauf Wert legten festzustellen, dass die Besteckhüllen an diesem Abend nur als Tischkärtchen Verwendung fänden. Und weil es sich um eine völlig utopische Erzählung handelte, gab es zum Festmahl reichlich Zupfmusik und Gesang. 5)
Indes noch zu ergänzen wäre, der Humor. Konnte ich doch zeitweise auch bei sternhagelblauem Himmel gleich dem Johannes von Waldhof so manches nicht erkennen: mir stand das Pipi in den Augen, dem Johannes die Bäume vor dem Wald.
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2) Der Anstand verbietet es hingegen über jegliches Geschehen des Endes offen zu berichten.
3) "Erstes Gewächs" ist ein Marketing Name für eine gehobene Klasse 4) von Riesling Wein, westlich von Wiesbaden.
4) Weniger erstaunlich wird dadurch eine andere Klasse angesprochen und der Wein von dieser gehoben.
5) Dieser Absatz ist reine Fan-Fiction und entspringt der völlig utopischen Vorstellung, dass der eigens angereiste seekeltische Party-Musiker nicht an einen Baum gefesselt mitfeiern darf.
* * *
Und bevor ich mich vor den hohen Teufeln wegen Fan-Fiction verantworten muss, kratz ich die Kurve und die Wildsau sich am Eichenbaume.
Zafón, Das Spiel des Engels
Eine Rezension
Oder warum ich es irgendwann lesen werde.
* * * ACHTUNG ! SPOILER * * *
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Vor kurzem bat mich eine FFreundin, einen Bekannten von sich zu empfangen. Ich sollte mir die unglaubliche Geschichte seines Lebens anhören. Eigentlich war mein Terminkalender für dieses Jahr bereits geschlossen. Die letzten Tage des Jahres wollte ich entspannen und mir kein weiteres Mal “Wenn sie das hören, wird nichts mehr so sein, wie es einmal war” anhören müssen. Zu oft waren mir Leute als weltbeste Erzähler empfohlen worden. Doch ihr Vortrag hatte dann den Charm eines Fachreferates oder Lexikon.
Schließlich gab ich dem Drängen der FFreundin nach. Ich kannte ihren kritischen Umgang mit neuen Geschichten. Sie würde mir schon nicht irgendwen ins Haus schicken.
Zwei Tage später, am Abend des Fünfundzwanzigsten, stand im gelben Licht der Straßenlaterne ein junger Mann von vielleicht 30 Jahren vor der Tür. Er nannte den Namen unserer FFreundin und stellte sich selbst als David Martín vor. Und als ob er sich für sein Aussehen entschuldigen wollte, bestand er noch auf der Türschwelle auf der Tatsache, 45 Jahre alt zu sein. Dass er in den letzten 15 Jahren nicht gealtert sei, hinge mit seiner Geschichte zusammen. Er stamme aus Barcelona und hätte viele Jahre vom Schreiben einer Romanserie gelebt.
Ich bat Don Martín in meine bescheidene Bibliothek, wo die eicherne Standuhr gerade ihre 20 Schläge tat und öffnete eine Flasche Cran Reserva. Martín begann sogleich von seiner Zeit als 17-jähriger Nachrichtenredakteur zu erzählen und wie er zum Romanautor wurde. Er nannte seinen damaligen Vorgesetzten beim Namen: Don Basilio Moragas. Wer denkt hier nicht an Basilisken und deren mordenden Blick? Und er charakterisierte ihn als einen, der "... die Theorie vertrat, verschwenderisch gebrauchte Adjektive und Adverbien seien etwas für Perverse und Leute mit Vitaminmangel. Wenn er einen Redakteur mit Hang zu blumiger Prosa ertappte, verdonnerte er ihn drei Wochen lang zum Verfassen von Todesanzeigen. Hatte der Betroffene nach dieser Reinigung einen Rückfall, so versetzte ihn Don Basilio lebenslänglich zur Handarbeitsseite". Don Basilio erkannte, dass der junge David zu anderem als Journalismus berufen schien und förderte ihn wohlwollend.
Martín erhielt für eine Romanserie einen langfristigen Vertrag. Dieser stand dem charakteristischen Aussehen der dubiosen Verleger in nichts nach. Er mietete sich in ein verrufenes Haus ein, das seit vielen Jahren leer stand. Jahrelang schrieb er Tag und Nacht, um den Vertrag zu erfüllen.
Im Alter von 28 Jahren hatte sich sein Pseudonym einen Namen im Blätterwald der Kioske gemacht. Da erhielt Martín von einem mysteriösen Verleger das Angebot, ein Buch zu schreiben, mit dem sich eine neue Religion gründen ließe. Und nachdem seine Verleger auf grausame Weise veranlasst wurden, ihn aus dem Knebelvertrag zu entlassen, nahm er die Arbeit auf. Regelmäßig trafen sie sich, um den Fortgang der Arbeit zu besprechen. Fasziniert lauschte ich ihren hochtrabenden Dialogen, während ich ein drittes Glas bereit stellte. An einer Stelle wollte ich mich an der Diskussion beteiligen. Es ging dabei um das Wir-Gefühl der Auserwählten und dass dies letztlich nur durch ein Feindbild erreicht werden könne, in dem alles unreine der eigenen Gruppe in eine andere Gruppe hinein projiziert wurde. Doch der Patron, wie Martín ihn nannte, würdigte mich keines Blickes.
Ganz anders Don Martín. Gelegentlich unterbrach er den Handlungsstrang, um mir an passenden Stellen weitere Einblicke in seine Kindheit zu gewähren, oder zum Glas zu greifen. Dabei gestattete er mir Fragen zum Handwerk eines Schriftstellers. Hatte ich mir doch an der Umsetzung eigener Ideen schon die Zähne ausgebissen und dadurch meinen beruflichen Weg in fragwürdiger Weise beeinflusst. Einigen Fragen entgegnete er meisterhaft durch erzählerische oder szenische Formulierungen seiner Geschichte. Manche Geschehnisse könne man aber auch einfach nicht besser darstellen, so sagte er, als sie getreu zu berichten: der Patron erschien zu ihren Treffen wechselnd in komplett weißer wie auch in komplett schwarzer Kleidung. Und rückblickend fügten sich manche der von Martín zusammenhanglos eingestreuten Oberflächlichkeiten wie von selbst zusammen. Dabei erreichten sie eine Tiefe, in der sie dem Grauen in meinem Innersten in die engelsgleichen Augen schauten.
Doch waren die Berichte von David Martín in süffiger Atmosphäre noch so spannend, seine Haupt- und Nebenfrau waren beide flach. Ich konnte die Damen im Verlaufe der Geschichte nur mit Mühe an ihrem Altersunterschied erkennen. In vielen seiner Sätze war die Anzahl plakativer nichtssagender Adjektive gleich oder größer der Anzahl von Nomen. Und so wunderte es mich auch nicht wirklich, als er von einer Begegnung mit weniger wohlwollenden Kritikern erzählte. Bei einem Überfall ritzten sie ihm mit einem schmutzigen Messer ihre Bewertung in die Brust.
Nach dem dritten Glas Tempranillo waren wir zum vertrauten Du übergegangen. Da öffnete er sein Hemd, um mir die Narben jenes Vorfalles zu zeigen. David's Stern war deutlich zu sehen.
In dem einen Jahr seiner Auftragsarbeit für den Patron kam es zu mehreren mysteriösen wie bestialischen Todesfällen. Und fast wäre dabei nicht nur das Werk, sondern auch David selbst im biblischen Alter von 30 Jahren vollendet worden. Das Grabmal war bereits fertig gestellt und das Todesjahr 1930 eingemeißelt.
Ein Polizeiinspektor versuchte ihm nachzuweisen, der Patron sei reine Einbildung und David sei selbst für die Todesfälle verantwortlich. Schließlich musste David nach Frankreich fliehen. Auf seiner Flucht erhielt er noch die vereinbarte Summe, die für den Abschluss seines Auftrages vereinbart war. Und dass er in den vergangenen 15 Jahren nicht gealtert ist, war ebenfalls Bestandteil seines Vertrages mit dem Patron gewesen.
:arbeit2: Als die Bibliotheksuhr zur 22. Stunde schlug, hatte ich den Eindruck, viel länger mit meinem Freund David zusammengesessen zu haben. Wir verabschiedeten uns herzlich und er überreichte mir zur Erinnerung seine Geschichte als Buch Manuskript. Es trug den Titel "Das Spiel des Engels" und David hatte sich dafür als Pseudonym den Namen Carlos Ruiz Zafón überlegt. Da erlaubte ich mir noch eine letzte Frage und berichtete ihm von meinen Schwierigkeiten die richtigen Bücher für mich zu finden. Das Problem war ihm bekannt und er versicherte mir aus seiner Erfahrung auf dem Friedhof der vergessenen Bücher, dass es nicht der Leser sei, der das Buch aussucht, sondern das Buch sich den Leser auswählt.
Am nächsten Morgen war ich gerade dabei mit stählerner Klinge ein rohes Ei zu köpfen, um den Kater zu besänftigen, als sich die FFreundin meldete. Warum ich mich am gestrigen Tag nichts von mir hören habe lassen? Ob sie mir den lieben David nicht hätte schicken sollen? Sie behauptete steif und fest, David hätte vorgestern schon kommen sollen und sie hatte mich gestern den ganzen Tag nicht erreichen können. Mit ungläubigen Blick auf die Datumsanzeige der Bibliotheksuhr stellte ich verwirrt fest, dass ich möglicherweise nicht nicht zwei, sondern 26 Stunden mit David in meiner Bibliothek verbracht hatte.
Nachdem ich das Manuskript in den letzten Tagen noch manches Mal in die Hand genommen habe, stehe ich immer noch unter dem Eindruck seiner fesselnden Erzählkunst. Ab jetzt würde nichts mehr so sein, wie es einmal war. Ich hatte wieder Spass daran, mir Geschichten anzuhören. Und hatte mir David zwar einiges über die Inhalte seiner Schauerromane berichtet, halte ich nun mit seinen Memoiren ein authentisches Zeugnis seiner Meisterschaft in Händen: Seine Autobiographie, abgefasst als grauenhaften Schundroman. Ob ich es nun weglege oder doch noch irgendwann lesen werde?
Denn das Lesen von sogenannten Schundromanen wurde mir im Alter von etwa 13 Jahren in einer Verschwörung von Eltern und Lehrern abgewöhnt. Ich sollte mich fortan mit Hochliteratur und Sachbüchern befassen. Meine daraufhin nicht mehr kanalisierten Gedanken trieben mich in den folgenden Jahren an Orte der totalen Finsternis. Vielleicht sollte ich mir die Lektüre grauenhafter Schundliteratur wieder angewöhnen, oder gar das Schreiben derselben? Scheint es doch die Seele im Zaum zu halten.
:arbeit2: Ich denke, ich werde das Manuskript nach den Feiertagen mit in den Verlag nehmen und einem meiner Lektoren anvertrauen. Wenn wir eine neue Sparte unter dem Motto "Biographien zeitgenössischer Meister" eröffneten, ließe es sich der Zafón vielleicht auch von einem renomierten Wissenschaftsverlag wie dem unseren vermarkten.
Da fällt mir ein, ich wollte für meine Enkel noch eine Geschichte aufschreiben, bevor ich diese Welt endgültig verlassen werde. Mein Großvater erzählte sie mir jedes Jahr zur Wintersonnenwende, welche von den Männern unserer Familie über Generationen unter dem Deckmantel des Weihnachtsfestes begangen wurde: über gefangene Seelen und über Christbaumkugeln, die keine sind. Und vielleicht ließe sich die auch als Biographie unterbringen, nur habe ich keine Ahnung, ob diese alten Familiengeschichten wahr sind.
* * * ENDE * * *