Hallo Uli,
ich bin's wieder.
Keine Angst, ich habe jetzt nicht drei Monate lang über deinen Text gegrübelt. Aber er ist mir gestern noch mal eingefallen, als ich über den Sprachstil einer meiner Figuren nachdachte und den weit verbreiteten "weil"-Fehler als Idiotismus/Charakteristikum in Betracht zog. Ich glaube, ich weiß jetzt endlich, was mich am Text (und deinen Erklärungen) so gestört hat; basierend auf meiner Überzeugung, "was einen guten Text ausmacht". Die Begründung ist also sehr subjektiv gefärbt und entsprechend zu werten.
Erstmal: Genau. Die ˋRosenpflegehandlungen ´ sind austauschbar, durch so ziemlich jedes Hobby- Nerd-Zeug. Da steckt nichts weiter drin, als eben dieses ˋSpezialistenwissen ´, und einzig der Satz über die Motivation könnte ˋspannend ´ sein: ˋDamit sie reich blühen, denn dafür liebt man sie ´.
Das grundsätzliche Nicht-wirklich-interessiert-Sein an den Handlungen an sich ist für mich OK, ich könnte inhaltlich auch sagen:
Leute, die Rosen lieben, machen einen Haufen komisches Zeug, damit die Rosen reich blühen. Denn dafür lieben sie Rosen, wegen der Blüte.
Nur ... dann hinge die Pointe völlig in der Luft.
Den Eindruck habe ich auch.
Die einzelnen Handlungen ˋpointierter ´ darzustellen ist erstmal keine Option (obwohl das ginge). Nur die Sache ˋgibt sich echt viel Mühe, aus Liebe ´ wäre dann dahin.
OK ...
die Spur ist: Offenbar braucht dieser Text tatsächlich noch etwas, einen weiteren Zugang.
Vielleicht als Teil einer Sammlung, vielleicht durch den Vortrag - oder durch beides, als Teil einer Lesung. Um a) Den wichtigen Satz pointieren zu können, und b) durch den anderen Teil zu tragen.
Ach ja:
Dass der Text noch einmal gelesen wird, um die Pflegehandlungen noch einmal zu betrachten, ist auch kein Plan: Da sind schlicht keine Details, aus denen man ableiten könnte, dass dies alles falsch ist. Das ist Lehrmeinung, ohne eine Chance, das zu hinterfragen.
Und auch dem stimme ich zu.
Eigentlich hast du selbst die Begründung dafür gefunden, warum das (bei mir) nicht funktioniert und wo die Lösung zu finden ist:
Und eine Bibelstelle:
Spr 13,24,
»Wer seine Rute schont, der haßt seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn bald.«
Ich denke, der Grundwert/-konflikt, auf dem dieser Text aufbaut, ist Überzeugung vs. Wahrheit im Sinne des Nietzsche-Zitats: "Die Überzeugung ist ein schlimmerer Feind der Wahrheit als die Lüge."
Rosenzucht übertragen auf Beziehungen, die ganz grundsätzlich auf einer Form von Liebe fußen: z.B. Partnerschaften, aber eben auch Eltern-Kind-Beziehungen oder manche Freundschaften - "Sei bitte so, wie ich dich gerne hätte." Wenn der Grundsatz der Liebe, so wie ich deine Aussage verstehe, sein sollte: "Ich liebe dich so, wie du bist",
ohne den Zusatz: "So und nicht anders", sondern: "Wenn ich dich liebe, liebe ich dich immer so, wie du bist, und nicht, wie ich dich gerne sehen würde." Ist das richtig?
Man könnte auch Zucht vs. Natur draus machen, aber das finde ich nicht so, hm, archaisch.
(Menschen züchten Pflanzen und Tiere, damit sie ihre Bedürfnisse besser erfüllen, die Natur wird zu einem Zweck benutzt/ausgenutzt. Etwas/jemand darf nicht sein, wie die Natur es vorsieht, sondern muss einem Ideal entsprechen - womit wir wieder bei Überzeugung und Wahrheit wären.)
Die Pointe im Vergleich zum Rest ist das, was mir am Text negativ auffällt: Ich habe den Eindruck, der Text trägt die Pointe nicht bzw. nur schwach. Insofern führt "die Spur" mit dem Modelleisenbahner wohl tatsächlich in die gewünschte Richtung: Jemand ist vernarrt in etwas (jemanden) und tut dafür allerlei Dinge, die von außen besehen "seltsam" anmuten. Nur: eine Modelleisenbahn leidet nicht unter dem Wunschbild, das ihr Besitzer von ihr hat. Eine Rose könnte drunter leiden - als Lebewesen -, aber wird es wahrscheinlich nicht tun, wenn man sie "nach Lehrmeinung" aufzieht. Wie sehr das stimmt, können du und andere passionierte Gärtner besser beurteilen als ich, aber für den Laien sind die Feinheiten aus dem Text kaum erkennbar.
Zum "weil" möchte ich sagen, dass mich das deshalb stört, weil ich denke, dass die Nuance, auf die du abzielst, von den meisten nicht so gelesen/gehört wird. Natürlich kann man darauf verzichten, ich z.B. habe sie aus dem Kontext heraus nicht so verstanden, wie du sie erklärt hast. Mir fiel eben der Fehler auf und aus solchen Details charakterisiert sich für mich die Sprecherfigur: So könnte der Fehler ein Hinweis auf junges Alter sein oder einen niedrigen Bildungsstand oder einen saloppen Umgang mit Sprache. Letzterer hebelt sich für mich aber dadurch aus, dass du als Autor wiederum sehr viel Wert auf sprachliche Feinheiten zu legen scheinst (siehe Zitate weiter unten), das heißt für mich als Röstteufel dann im Umkehrschluss, dass der Text an Stimmigkeit verliert, weil es keinen ersichtlichen Sinn hinter der Wortwahl zu geben scheint. Unabhängig davon, was intendiert worden ist.
Was erkennbar wäre, wären Eigenheiten im Sprachgebrauch (die "weil"-Konstruktion ist so eine) oder der Fokus des Erzählers auf das Erzählte: der kann sich z.B. in der Pointe als falsch oder verdreht erweisen. Hmmm, ein plakatives Beispiel wäre: ein Mann stalkt eine Frau. Der Text erzählt aber erst einmal glaubhaft von einer romantischen Verbindung zwischen ihm und ihr, er tut alles, um sie für sich zu gewinnen ("fachgerecht"

), sie nähern sich einander an, das führt zu Verwicklungen; der Leser fühlt mit ihm mit, hofft und bangt - und erst am Ende stellt sich raus, dass sie sich eigentlich gar nicht kennen.
So ähnlich könnte das, denke ich, auch in deinem Text funktionieren: Wir lernen einen Rosenzüchter kennen, der sich korrekt um seine Rose kümmert, vermeintlich aus Liebe, aber die Liebe wird eben
nicht von aufrichtiger Zuneigung und das Kümmern nicht von Altruismus getragen, sondern beides basiert auf Egoismus. "Ich liebe nicht die Rose an sich, sondern ihre Blütenpracht." Oder so ähnlich, du weißt besser, wohin du mit diesem Text willst.
Vielleicht hilft auch ein Kontrast: die eingegangene Rose vs. die blütenreiche Rose vs. die kränkliche Rose vs. die verblühte Rose. So, wie ich deinen Rosenzüchter verstehe, dürfte er nur das eine Stadium der Rose lieben und den Rest verachten. Oder Überspitzung: Es gibt nur eine Art, auf die eine Rose blühen darf - alles, was drunter liegt, zählt nicht. Übertragen auf Kinder denke ich z.B. an die Rede vom "verzogenen" oder "missratenen Kind". *grusel*
Ein paar Hinweise gibt es im Text übrigens schon:
Weil sie artig blüht.
Seit wann haben Rosen artig zu sein? In diesem Wort schwingt für mich übrigens der Vergleich zur Kindererziehung am deutlichsten mit.
Wie schön.
Das klingt so schwelgerisch unehrlich.
Eine Rose zu sein ist nicht einfach, ganz besonders, wenn man so geliebt wird.
Durch die Personifizierung wird die Übertragung auf Menschen klar.
Ich würde für diesen Text übrigens dazu tendieren, "so" aus diesem Satz zu streichen:
Eine Rose zu sein, ist nicht einfach, ganz besonders, wenn man geliebt wird. Für mich ist da der wtf-Effekt größer.
Meine Herangehensweise wäre, stärker mit Bildern und einer charakteristischeren Figurensprache zu arbeiten: Jedes Wort, das wir schreiben, zieht im Kopf des Lesers eine kleine Schublade mit Assoziationen auf, die sich mehr und mehr miteinander verbinden und zuletzt eine Aussage ergeben. Hinter jedem Text stecken eigene Gefühle, Gedanken, Erlebnisse, Überzeugungen und Wahrheiten. Darum denke ich, dass wir als Schriftsteller unsere Worte sorgsam wählen sollten, um keine Eindrücke zu erwecken, die wir nicht beabsichtigt haben, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Text am Ende doch wieder unserer Kontrolle entzieht und im Leser auf seine ganz eigene Art zu wirken beginnt.
Auch das ist ein Sinnbild dessen, wovon dein Text handelt: Lieben scheint so leicht und ist doch so schwer. Den Geliebten ihre Freiheit zu lassen, sie loszulassen, kann genauso schwer sein.
Alles Liebe!

Lilith
PS.: Aus dem eigentümlichen "weil"-Fehler ist bei mir dann doch (noch?) nichts geworden, weil (

) die Kausalsätze zu kurz waren, um irgendetwas draus zu machen. So kann's auch laufen.
