Hi Uli, ich schon wieder!
Meine Röstgabel riecht schon völlig nach deinen Texten, auch wenn sie nicht viel piekt.

Im Voraus: Diese KG ist nicht ganz meins, und ich glaube, das liegt am Ende, denn gut lesbar und wohl auch verständlich ist sie. Aber Schritt für Schritt:
Ich verstehe die Aussagen zum Boot als allegorisch. Jemand spricht mit der Autorität dessen, der etwas besser weiß als der Angesprochene, einer väterlichen oder elterlichen Autorität, denn er/sie nennt den Adressaten 'mein Kind'. Es geht aber nicht um Hierarchie, sondern um Einsichten: Wie muss man sich benehmen, wenn man mit anderen in einem gefährdeten Boot sitzt und überleben und ankommen will? Der Sprecher weiß das, zweifelt nicht an seinem Wissen, gibt es als lebensnotwendig weiter. Lebensnotwendig für alle im Boot, ihn eingeschlossen (wir).
Übertragen auf eine Situation, in der alle 'in einem Boot sitzen' und aufeinander angewiesen sind, z.B. alle Menschen, egal aus welchem Volk oder Erdteil, auf einer zerbrechlichen Erde, sagt der Text, dass es einen klaren Verhaltenskodex gibt, der für alle verbindlich sein muss, weil nur dann alle es schaffen können: Eine Hand fürs Boot und eine fürs Sich-Festhalten, einen Teil aller eigenen Ressourcen also für alle, uneigennützig da einzusetzen, wo es not tut, den anderen Teil aber - als wesentliche Voraussetzung für überhaupt Ressourcen - für eine/n jede/n selbst. Platt gesagt: Wer nicht für sich selbst sorgt, kann schnell nicht mehr für andere sorgen und nimmt ihnen allen damit etwas Wichtiges weg. Laut Text sogar die Lebensgrundlage, weil jede einzelne Hand so wichtig ist, dass es auf sie ankommt.
Und hier schlägt mein Unbehagen zu: 1. Wer oder was gibt dem Sprecher-Ich diese überhöhte Rolle? Wieso weiß es mehr? Wo sind die stummen anderen Mitfahrer? 2. Wenn jede/r Einzelne wichtig ist, dannn hoffentlich nicht nur als Teil eines Ganzen, als die Hand, die sonst fehlt, sondern als Individuum. Gerade einem elterlich fürsorgenden, evtl. liebenden Sprecher müsste es auch um das Glück des Du unabhängig von anderen gehen.
Zum Ende:
Und jetzt ... ruhe dich aus, damit deine beiden Hände Kraft haben, wenn das Wetter losbricht. Denke nicht an den Sturm, damit der dir nicht den Schlaf raubt, die Kraft, die wir brauchen werden. Denke an das Ufer, das noch außer Sicht ist, und denke an die, die es nur sehen werden, wenn das Boot nicht scheitert.
Schlafe ruhig.
In Liebe.
Ich empfinde das als zu knapp, und damit irgendwie lieblos (vom Ich, nicht vom Autor). Immerhin ist dies der Part mit den Anweisungen für das Leben vor dem Sturm, die bestmögliche Vorbereitung auf die Krise: Körperlich Ruhe finden. Seelisch keine Angst schüren. Ein positives Ziel setzen. An Mitreisende (oder sogar erst Nachkommen?) denken, sich als Bindeglied sehen.
Alles richtig, aber hier immer mit der negativen Konsequenz gekoppelt statt mit der Hoffnung auf etwas Besseres. Das Ufer (Ziel) taucht hier zum ersten Mal auf und nur ganz vage. Wäre das nicht die viel stärkere Motivation? (Aber vielleicht ist das das momentane Problem der Welt, dass wir keine gemeinsame Vision vom Ufer jenseits unseres Jetzt haben und nicht wissen, wohin wir rudern sollen.)
Die beiden letzten Sätze stören mich richtig. Das 'in Liebe' wirkt wie ein Vermächtnis, was womöglich zur Textform passt, nicht aber zum Absatz davor mit 'und jetzt'. (Und wenn, fehlt eine Unterschrift.)
Das Schlafen wiederholt sich erstens und ist zweitens als letzte Anweisung zu passiv. Da fehlt mir mindestens eine Info, wer stattdessen wacht.
So, zum Schluss noch zwei Erbsen:
weil dieses Boot, dass uns an ein Ziel bringen soll, zerbrechlich ist ... weil dieses Meer, dass unser Boot trägt, so gnadenlos ist,
dieses Boot, das
dieses Meer, das
Ach ja, das Meer, das Freiheit verspricht, wird zwar zweimal erwähnt, man spürt diese Sehnsucht aber nicht. Für das Ich ist das Meer nicht Hoffnungsträger, sondern Gefahr, tückisch und gnadenlos. Der erste Aspekt könnte stärker herauskommen.
Und dabei ist mir noch etwas aufgefallen: Weiß das Du eigentlich, wofür sich all diese Pflicht lohnt? Nicht erst irgendwann in grauer Zukunft, sondern jetzt? Wie wär's mit ein bisschen Lebenslust, dem Wind in den Haaren, dem Salz auf den Lippen, dem Glitzern der Sonne auf dem Wasser, dem Jagen der Wolkenfetzen, der Hand neben der eigenen am Ruder? Könnte das Ich dem Du nicht auch davon etwas zeigen?
Bastele mal noch ein bisschen am Text rum, ich freue mich auf die nächste Version!
Gruß,
eska