edit 6.12.2021: Ich hab mal eine neuere Version auf den Grill gelegt. https://www.federfeuer-forum.de/forum/index.php?topic=18563.0------------------------------------------------------------------------------------------------
Damit der arme Uli sich nicht immer allein auf den Grill legen muss, hab ich hier mal den Anfang meiner neuen Geschichte.

Fühlt euch nicht zum Rösten genötigt *PIEKS*, aber vielleicht fallen euch ja irgendwelche Fehler auf.
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Prolog
„Niemals!” rief die Grüne Hexe. „Ich werde dich vernichten!”
Der Sturmkönig lachte. Blitze zuckten über den Horizont, und Donner rollte in den Bergen. „Mich vernichten? Du Närrin! Weißt du nicht, dass dein Schicksal an meins gebunden ist? Es ist uns bestimmt, für immer
KRACH!
Ich erschrak so sehr, dass mir das Buch aus der Hand und in hohem Bogen durchs Zimmer flog.
Eigentlich war ich an Lärm gewöhnt. Unsere Wohnung lag im zweiten Stock an einer Hauptverkehrsstraße in einer großen deutschen Stadt, die nicht nur einen Flughafen, sondern auch zwei Autobahnanschlüsse und ein Fußballstadion hat. Zwei Häuser weiter war eine Kneipe, fünf Häuser weiter eine Pizzeria, die Straße links runter eine Grundschule und rechts rauf die Feuerwehr. Wir hatten Autos, Motorräder, Busse, Krankenwagen, bellende Hunde, kreischende Kinder, dröhnende Flugzeuge und immer wieder Sirenengeheul. Ich hatte noch nie im Leben
kein Geräusch gehört, und wenn es wirklich mal ruhiger wurde, machte entweder jemand (ich zum Beispiel) Musik an oder es war spät und ich ging ins Bett.
Es war also immer laut. Aber es gibt unterschiedliche Arten von Lärm. Die eine Art ist einfach nur “lautes Geräusch”. Dabei kann ich problemlos lernen, Hausaufgaben machen, lesen und schlafen. Die andere Art ist die, vor der ich Angst habe.
Leute, die sich im Wohnzimmer anbrüllen.
Das Klirren zerbrechender Teller und Tassen.
Faustschläge gegen verschlossene Türen.
Und das Krachen der Wohnungstür.
Die Stille danach war die einzige Stille, die ich kannte: über all dem Lärm der Stadt ein tonnenschweres Schweigen, während ich stocksteif auf meinem Bett lag und abwartete, wie es jetzt weiterging. Das hing immer davon ab, wer nun gerade die Wohnungstür hinter sich zugeschmettert hatte: Mama oder Rainer.
Wenn es Mama war, geschah nichts. Dann holte Rainer einen Kasten Bier aus dem Keller und setzte sich damit vor den Fernseher, bis Mama irgendwann spät nachts zurückkam. Am nächsten Tag taten sie dann immer so, als sei nichts gewesen.
Wenn aber Rainer ging, konnte alles Mögliche passieren. Manchmal kam Mama in mein Zimmer, grinste triumphierend und spendierte uns beiden ein Eis. Manchmal schloss sie sich stundenlang im Schlafzimmer ein und weinte. Und manchmal musste ich ihre beste Freundin Sandra anrufen, damit sie Mama ins Krankenhaus fuhr. Das kam nicht oft vor, aber oft genug, dass ich vor dem Warten und dem Schweigen fast noch mehr Angst hatte als vor dem Krach.
Diesmal dauerte es nicht lange, bis Mama an meine Tür klopfte. “Lula?”
Ich kann es nicht leiden, wenn sie mich Lula nennnt, aber manchmal ist es schlauer, erst die Lage zu erkunden, bevor man mit dem Zanken anfängt. Ich setzte mich auf. “Ja.”
Sie öffnete die Tür und kam herein, und ich wusste sofort, dass heute etwas anders war. Es würde kein Eis geben, aber sie hatte auch kein blaues Auge und kein gebrochenes Handgelenk. Sie hatte allerdings geweint. Doch sie hatte etwas an sich, das mich an den Abend erinnerte, als sie mir sagte, dass Tante Vera gestorben war. Ich wusste sofort, dass sich etwas Grundlegendes verändert hatte, und dann sagte sie: “Pack zusammen, was du für vier Wochen Ferien auf dem Land brauchst. Morgen schicke ich dich zu Sophioma.”
Ich war so verblüfft, dass ich sie nur anstarren konnte. Dann sagte ich: “Äh, nein? Ich muss in die Schule!”
“Nein. Ich nehme dich aus der Schule, wir ziehen weg, ich habe mich eben von ihm getrennt. Ich muss eine Menge organisieren, und es ist besser, wenn du nicht jede unerfreuliche Einzelheit mitbekommst. Nimm nur mit, was du dringend brauchst, alles andere kommt in den Umzugswagen. Keine Angst, es wird nichts verloren gehen oder weggeworfen.”
“Aber wo ziehen wir denn hin?”
“Das weiß ich noch nicht. Vielleicht muss ich die Sachen auch erst einmal einlagern, bis ich etwas gefunden habe. Mach dir darüber keine -”
“Ich will ans Meer.” Wenn schon mein ganzes Leben gerade auseinandergerissen wurde, wollte ich wenigstens eine mögliche Richtung mitbestimmen. Aber Mama sagte: “Ich kann’s nicht versprechen, Lula. Wir werden das Erstbeste nehmen, was wir bekommen können. Danach können wir weitersehen. Aber jetzt fang an zu packen. Ich bringe dir den Koffer. Brauchst du Hilfe?”
Ich zog einen hochmütigen Flunsch. “Seh’ ich aus, als wäre ich erst zwölf?” Immerhin war mein dreizehnter Geburtstag schon fast eine Woche her!
Mama grinste, und da wusste ich, dass es irgendwann an diesem Tag doch noch Eis geben würde. Und als sie mir den Koffer brachte und ich mich in meinem Zimmer umsah, wurde mir allmählich klar, dass wir tatsächlich etwas zu feiern haben würden. Nicht den Umzug, nicht den Abschied von der Schule (da mochte mich eh niemand) oder der Wohnung oder der Stadt, sondern den Abschied von der Angst. Es würde keine Kämpfe, keinen bösen Krach, kein Gebrüll und keine zuschlagenden Türen mehr geben. Ich hatte zwar keine Lust auf Ferien bei Sophioma, aber die paar Wochen würde ich wohl durchhalten, und dann waren wir frei! Und vielleicht am Meer!
Ich begann sofort, Klamotten aus dem Schrank zu reißen.
Später saßen wir im Wohnzimmer und aßen unser Eis. Zwar keins vom Italiener an der Ecke, sondern Fruchteis aus der Tiefkühltruhe, aber Eis ist Eis. Es bestand auch keine Gefahr, dass Rainer plötzlich im Zimmer stand, denn Mama hatte die Kette an der Wohnungstür vorgelegt. “Soll er doch bei seiner neuen Freundin übernachten”, sagte sie. “Jetzt ist es mir wirklich egal.”
Ich schaute sie an, und sie sah wirklich anders aus als in den letzten zwei Jahren. Jünger. Wacher. Mutiger. “Weißt du was”, sagte ich, “ich bin froh, dass er aus unserem Leben verschwindet. Das war doch alles nur noch doof.”
“Ja”, sagte sie. “Und es tut mir leid, dass du das so lange mitmachen musstest. Das habe ich wirklich falsch gemacht.”
Da stimmte ich ihr zu, aber erstens war es jetzt vorbei, und zweitens hatte ich Eis und war großzügig gestimmt. “Naja”, sagte ich weise. “Er war wohl nicht der Richtige.”
Mama seufzte. “Menschen verändern sich. Ein paar Jahre lang war er durchaus der Richtige. Aber dann ging es eben nicht mehr.”
“Wie bei Papa, oder?”
Aber da war ich einen Schritt in die falsche Richtung gegangen.
“Du weißt, dass wir darüber nicht reden”, sagte Mama scharf, stand auf und ging in die Küche.
Sie redete nicht darüber.
Ich hätte liebend gern stundenlang darüber geredet, warum mein richtiger Vater uns ohne ein Wort verlassen hatte, als ich zwei war. Aber das würde ich wohl nie herausfinden.
Sie kam nicht zurück, und ich hörte, wie sie die Spülmaschine ausräumte. Also aß ich mein Eis allein auf, aber es war nicht mehr so schön wie vorher. Danach ging ich wieder in mein Zimmer und packte meine Schminksachen ein. Und noch ein paar Bücher. Und natürlich Harpo, meinen Plüschraben. Alle anderen Stofftiere und die Puppen, für die ich eigentlich seit einer Woche viel zu alt war, würden eine Weile in den Umzugskisten wohnen müssen. Aber nicht Harpo.
Als es dunkel wurde, legte ich mich ins Bett. Eigentlich wollte ich mich noch eine Weile im Zimmer umsehen und darüber nachsinnen, dass dies meine letzte Nacht hier war, aber mein Körper hatte mal wieder kein Gespür fürs Drama, und ich schlief beinahe sofort ein.
So fing es an.