Hallo Nightingale!
Schön, mal was von dir zu lesen.

Ich weiß allerdings nicht, ob du dir damit einen so großen Gefallen tust, wirklich ins ernsthafte Schreiben zu kommen. Kritik ist selten motivierend, schlägt eher erst mal nieder, als dass sie einen beflügelt.
Leider habe ich beim Verfolgen dieses Threads, den Fehler gemacht, die anderen Röstungen und deine Antworten zu lesen. Nun fühle ich mich vor den Kopf gestoßen. Was genau erwartest du von mir als Rösterin? Welches Feedback erhoffst du dir? Was soll, was kann, was
will dieser Text?

Dass die Geschichte nicht berührt, war zu erwarten, daher bin ich an dieser Stelle nicht enttäuscht. Meine Frage, ob der Text als Kurzgeschichte funktioniert, beruht auf dieser Annahme.
Als ich die Geschichte begann, war ich zum Ende des ersten Absatzes näher an der Protagonistin, ihrem Erleben und Befinden. Dann löschte ich die Zeilen und schmiss derartiges (sobald es sich beim Schreiben einschlich) auch gleich wieder raus und beschloss, den Text bei meinen Scherbenweltgeschichten anzusiedeln. Die sind in der Regel eher Betrachtungen, bei denen ich mich an einem Thema abarbeite, das mich irgendwie beschäftigt. Langweilen möchte ich trotzdem nicht.
Meine Ansprüche an den Text sind dementsprechend nicht allzu hoch ...
Aber wo sind sie dann angesiedelt, deine Ansprüche?
Wenn du den Text schon nicht ernst nimmst, nicht ernst nehmen
willst, warum sollte ich das tun? Ich tue es natürlich, weil mich Textarbeit interessiert, aber, tja, ich verstehe nicht so recht, was die Autorin von mir will.
"Dafür, dass du es nicht allzu ernst gemeint hast, ist es noch ganz gut geworden"?

Dich beschäftigen die Themen doch, also warum sollten sie den Leser nicht beschäftigen?
Nichtsdestotrotz hier meine Meinung zum Text. Auch wenn sie dich dem Ziel, deinen Text in Scherben zu lassen, nicht wirklich näher bringen wird, hoffe ich, dass sie dich dennoch im Schreiben weiterbringt.
Jeder Text ist eine Erfahrung und es gibt was zu lernen - und sei es nur, es beim nächsten Mal nicht wieder so zu machen.
Also, auf geht's! Ein paar Baileysbällchen, um nicht an den Fingernägeln zu knabbern:

Meine Meinung kurz und knapp: Mir gefällt der Text nicht.
In seiner jetzigen Form wirkt er auf mich wie ein langgezogener Witz: "Frau kauft sich einen virtuellen Hund, hat Spaß mit ihm. Frau wird langweilig. Also kauft sie sich einen virtuellen Freund."
Haha?
Um deine Fragen zu beantworten (die sind nicht blöd, solange du dich für ehrliche Meinungen interessierst!

):
Da diese Geschichten nicht den üblichen Konventionen einer guten Kurzgeschichte folgen, gleich die Frage aller Fragen: Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?
Ja, kann er.
Wie er funktioniert, ist allerdings eine ganz andere Frage.
In dem Sinne, dass er irgendetwas in mir auslöst, das kein Urteil über (!) den Text darstellt, funktioniert er bei mir nicht.
Ansonsten interessiert mich:
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?
Es "funktioniert" insofern, als dass ich mich nicht überrumpelt fühle, weil es zu erwarten ist. Keine Überraschung auf dieser Seite.
Noch ´ne blöde Frage: Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen? Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.
Nein, die Erwähnung des Berufs ermöglicht überhaupt erst einmal eine Einordnung in einen Kontext, die dem Text etwas geben kann, das über den erwähnten langgezogenen Witz hinausgeht.
Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.
Deine Figur ist deine Figur. An der zerre ich nicht herum, solange sie in sich stimmig wirkt.
Ich frage mich allerdings, ob der Ich-Erzähler dich deinem Ziel näherbringt. Du schreibst selbst, dass du gar nicht zu sehr mit der Protagonistin mitfühlen wolltest ... Für einen Ich-Erzähler ist das allerdings durchaus vonnöten. Ich frage mich, ob ein auktorialer, klar wertender Erzähler, der sein Urteil harsch, vielleicht auch ironisch, über Figur und Welt fällt, wie du es im Text unterschwellig tust, indem du
über deine Protagonistin erzählst, aber sie nicht von sich und ihrer Lebenswelt erzählen lässt.
Das erspart ihr zumindest den Maulkorb.
Die allerblödeste Frage: Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt.
Das Smartphone an sich hat mich nicht gestört - abgesehen davon, dass ich mit Uli konform gehe und es lieber "Handy" nennen würde. Mein Problem war ein anderes.
Während des Lesens ging es mir ähnlich wie Xaranis. Ich ging zuerst von einem echten Hund aus. Das ist insofern okay, als dass deine Protagonistin ihn so wahrnehmen dürfte. Sobald aber klar war, dass dieser Hund eine virtuelle Projektion ist, war ich mir nicht sicher, worauf du hinauswillst:
Virtual oder
Augmented Reality?
Die Erwähnung des Smartphones ließ mich tatsächlich an "Pokémon Go" (Augmented Reality) denken, die Beschreibungen wirkten jedoch eher wie aus einer virtuellen Realität geschöpft, dadurch dass die Protagonistin Lucy als sehr lebensecht wahrnimmt und, so wie ich es gelesen hatte, nicht ständig
durch ihr Smartphone betrachtet. Ich persönlich fände eine elegantere Variante einer Oculus Rift oder ähnlichem passender, weil die eine bessere Verschmelzung mit der gelebten Wirklichkeit erlaubt. Also kein monströser Kasten, wie man sich ihn heute aufsetzt, sondern eine schlanke, bequeme VR-Brille, die sich deine Protagonistin einfach aufsetzen kann, um ihre Lucy immer um sich zu haben und in der erweiterten Virtualität mit ihrer Lucy zu leben.
Ich habe sowohl mit VR als auch AR Devices gearbeitet und die Gefühle, die dabei entstehen, sind sehr unterschiedlich. VR erlaubt ein direkteres Eintauchen in die alternative Welt, AR ist eine nette, aber deutlich von der Welt der Tatsachen abgegrenzte Erweiterung, die einem stärker bewusst macht, wie aufgesetzt sie ist. In VR kann man nach Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten wie Übelkeit und Schwindel regelrecht versinken ... die direkte Immersion ist viel tiefer.
Eine komplette virtuelle Realität wäre wohl nicht in deinem Sinne, immerhin soll Lucy noch mit durch die Wohnung laufen, aber ich würde die Stoßrichtung vertiefen.Konkret am Text:
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will, schaue mich ratlos im Wohnzimmer um und frage mich, welcher Hund wohl am besten zu meinen Möbeln passt. Wahrscheinlich der Dalmatiner. Schlicht, weiß, ein paar Flecken. Fast wie der Wohnzimmerteppich: schlicht, weiß, ein paar Flecken. Eigentlich egal. Hund ist Hund, wollte ich immer schon haben, nur nicht so richtig. Also so richtig richtig.
Du steigst ein mit der Sehnsucht, dem Wunsch nach einem Hund, da assoziiere ich noch nichts virtuelles.
Der erste Hinweis sind "nur nicht so richtig" und "so richtig richtig", aber die beziehe ich (!) hier noch auf den Wunsch, nicht auf den Hund selbst. Ich lese das so, dass sie sich bisher nie richtig dazu entscheiden konnte, sich einen Hund anzuschaffen, nicht, als ob sie keinen "echten Hund" haben wollte. Dazu fehlt auch die Begründung und sei sie nur angedeutet, stattdessen folgt nur eine Emphase ihrer vorigen Aussage.
Ich lade die App runter, starre durchs Display und mein neuer bester Freund sieht mich mit treuen Augen an. Toll, wie schön man die einzelnen Härchen erkennt. Auch die Feuchtigkeit der Nase, wie sie im Licht glänzt, beeindruckend.
Die App verwirrt mich nur kurz und ehrlich gesagt dachte ich hier erst mal an eine Tiervermittlungs-App.

Ich dachte also, sie sucht sich den Hund nur aus, schaut auf ein Foto von ihm, nicht auf eine Simulation.
Der Verständnisfehler wird m. E. auch durch einen Formulierungsfehler begünstigt. Sie lädt die
App herunter, das bedeutet, sie lädt sich das Programm herunter - das Programm, dass letztlich ihren Hund simuliert. Tatsächlich müsste sie aber wohl eher die App schon heruntergeladen haben und innerhalb der App dann entsprechenden Content.
So würde ich es erwarten, da ich sie, beeinflusst durch den ersten Absatz, durch ein virtuelles Schaufenster scrollen sehe, nicht den Google Play Store oder was auch immer sie in ihrer Welt nutzt.
Das Geschlecht des Hundes kontrolliere ich, indem ich seine Daten checke. Ist ein Weibchen.
Außerdem steht da, dass sie einen gehorsamen und freundlichen Charakter hat. Bei der Auswahl hatte ich gar nicht drauf geachtet, Glück gehabt.
Eine sie also. Gut, wie soll sie heißen?
Da denke ich immer noch an einen seltsamen Onlineshop.
„Lucy“, raune ich schließlich ins Display und weil mein Hund nicht reagiert, rufe ich noch einmal: „Lucy!“
Lucy beguckt mein Sofa, dreht sich dann aber um. Sie kommt näher, schwanzwedelnd. Ich streichel sie, also das Display. Lucy hechelt, schließt die Augen. Sie genießt die Berührung und ich die Gesellschaft. Eine ganze Weile bin ich damit beschäftigt, sie zu liebkosen, die Ohren zu kraulen und Vertrauen aufzubauen. Wir lernen uns kennen, so geht das eben. Später spielen wir noch Ball, üben das Apportieren.
Das hat mich entsprechend verwirrt.
"Warum ist der Hund auf einmal da, was hab ich verpasst?"

Die Illusion ist perfekt. Da flitzt ein virtueller Hund einem virtuellen Ball in meinem Wohnzimmer hinterher und macht einen Bogen um den Wäscheberg, der da tatsächlich liegt.
Und hier wird es dann erstmals konkret. Ah, okay, der Hund ist nicht echt. Alles klar. Allerdings: Du beschreibst das plastisch. Sie nutzt ihr Smartphone nicht als Gerät, das die Erweiterung erst möglich macht. Der Hund ist "da", das ließ mich an die VR-Brille denken.
Stets läuft ihr Schatten mit. Lucy ist so gut in ihre Umgebung integriert, dass ich mich immer mal wieder bei dem Bedürfnis ertappe, das Smartphone beiseitezulegen, damit ich beide Hände frei habe.
Hier dann der "Pokémon Go"-Hinweis, ich bastel meine Vorstellung also wieder etwas um.
Es wird spät, viel später als beabsichtigt. Um 2:00 Uhr lege ich mich ins Bett, das Smartphone in der Hand. Lucy folgt mir, springt aufs Bett, rollt sich am Fußende zusammen. Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen.
Hier wird es wieder wirr. "Das Smartphone in der Hand" sagt erst mal nichts darüber aus,
wie sie es in der Hand hält. Die bildliche Beschreibung von Lucy, die sich am Fußende zusammenrollt, um friedlich zu schlafen, ruft wieder das VR-Bild wach. Das Display stört diesen Eindruck, holt mich zurück, nur um wieder gebrochen zu werden, denn: Die Protagonistin sieht Lucy
an (betrachtet sie nicht
nur durch's Display, so lese ich diese Steigerung) und
fühlt sie sogar. Hm. Also kein Smartphone mehr dazwischen? Hm, hm, hmmm.
Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.
Dieser Satz lässt mich übrigens stolpern und ich frage mich ernsthaft, ob du ihn so meinst wie er da steht. So wie er da steht, sagt er nämlich aus, dass ihre Zuneigung nichts weiter als eine Illusion ist. Das heißt, sie nimmt in diesem Augenblick ihr eigenes Gefühl entweder nicht ernst oder es ist tatsächlich nicht vorhanden und das heißt: Deine Protagonistin empfindet nichts für Lucy. Da stellt sich dann aber die Frage, warum sie Lucy bei sich behält. Die Frage lassen Text (und Protagonistin) offen, sodass ich wiederum unsicher werde, ob ich das richtig gelesen habe.
Und das bringt mich auch auf den nächsten Kritikpunkt, der viel elementarer ist.
Was ist das Thema? Was möchtest du aussagen (grob)? Dass Technik unsere Vereinsamung vorantreibt? Dazu ist mir der Text auch noch nicht böse genug in der Darstellung der Auswirkungen. Gerade auf deine Protagonistin. Dadurch, dass du so fern von ihr bleibst, sie in ihren Problemen kaum wahrnimmst (sich nicht wahrnehmen lässt), prallt das ab. Du verschärfst ihren Leidensdruck zwar, so sehr, dass sie zuletzt in die nächste Falle flüchtet, die diese neue moderne Gesellschaft ihr stellt (indem sie sich einen Partner herunterlädt), weil ihr keine andere Wahl bleibt, aber tänzelst dabei auf der Oberfläche herum.
Dein Text könnte eine Zuspitzung aktuell längst vorhandener Auswüchse sein (VR-Pornospiele gibt's schon), indem er die ganze Schmerzlichkeit und Falschheit dessen aufzeigt, aber das tut er nicht.
Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen. Wir
brauchen einander. Als Säugetiere sind wir auf Fürsorge und Nähe angewiesen, anders können wir nicht überleben! Soziale Kälte macht Menschen krank - und wie bitter ist es bitteschön, wenn dann dem gemobbten Teenager, der sich in sein Onlinespiel rettet, um wenigstens virtuell Freunde zu finden, am Ende nichts bleibt als ein Bot, mit dem er versuchen kann, seine natürlichen Bedürfnisse zu stillen?
Das spart dieser Text aus, indem er sich um das eigentliche Problem herumschleicht.
Schade.
Für deine Protagonistin bedeutet das, dass sie sich aus ihrer anfänglichen Einsamkeit mit Hilfe von Lucy herauszukämpfen versucht. Den Schmerz dahinter mag sie nicht wahrnehmen, das vergrößert ihr Leiden jedoch, sodass Lucy sie nicht lange zufrieden stellen kann. Doch selbst, als sie den Schritt hinaus in die echte Welt wagt, kann sie niemanden erreichen. Hier müsste aber zumindest ein Versuch stattfinden! Einer, der abprallt, sodass sie keine andere Wahl mehr hat, als die Illusion am Ende ganz zu akzeptieren und in ihr aufzugehen und einen vollkommen menschlichen Teil von sich aufzugeben.
Was für Zukunftsaussichten! Ja, so eine Welt würde mir Angst machen.
Ich hoffe, das hilft dir irgendwie weiter.
Liebe Grüße,
Lilith