Autor Thema: (KG) Der beste Freund des Menschen  (Gelesen 8089 mal)

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Nightingale

  • Gast
(KG) Der beste Freund des Menschen
« am: 30 January 2018, 22:15:48 »
Hallo Bratwürste,  :devgrin:

ich versuche, mich gerade wieder einzuschreiben, und fand vorgestern ein wenig Zeit, um ein paar zusammenhängende Sätze zu tippen. Mir ist bewusst, dass wir hier niemanden mit „mal eben so hingeschrieben“-Texten gruseln sollen, aber ohne eure Hilfe wird das wohl nichts mehr mit mir.
Ich bin sowas von raus.  :kunst:




Der beste Freund des Menschen


Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will, schaue mich ratlos im Wohnzimmer um und frage mich, welcher Hund wohl am besten zu meinen Möbeln passt. Wahrscheinlich der Dalmatiner. Schlicht, weiß, ein paar Flecken. Fast wie der Wohnzimmerteppich: schlicht, weiß, ein paar Flecken. Eigentlich egal. Hund ist Hund, wollte ich immer schon haben, nur nicht so richtig. Also so richtig richtig.
Ich lade die App runter, starre durchs Display und mein neuer bester Freund sieht mich mit treuen Augen an. Toll, wie schön man die einzelnen Härchen erkennt. Auch die Feuchtigkeit der Nase, wie sie im Licht glänzt, beeindruckend.
Das Geschlecht des Hundes kontrolliere ich, indem ich seine Daten checke. Ist ein Weibchen. Außerdem steht da, dass sie einen gehorsamen und freundlichen Charakter hat. Bei der Auswahl hatte ich gar nicht drauf geachtet, Glück gehabt.
Eine sie also. Gut, wie soll sie heißen?
Mit der Entscheidung lasse ich mir Zeit, setze Kaffee auf und überlege.
„Lucy“, raune ich schließlich ins Display und weil mein Hund nicht reagiert, rufe ich noch einmal: „Lucy!“
Lucy beguckt mein Sofa, dreht sich dann aber um. Sie kommt näher, schwanzwedelnd. Ich streichel sie, also das Display. Lucy hechelt, schließt die Augen. Sie genießt die Berührung und ich die Gesellschaft. Eine ganze Weile bin ich damit beschäftigt, sie zu liebkosen, die Ohren zu kraulen und Vertrauen aufzubauen. Wir lernen uns kennen, so geht das eben. Später spielen wir noch Ball, üben das Apportieren.
Die Illusion ist perfekt. Da flitzt ein virtueller Hund einem virtuellen Ball in meinem Wohnzimmer hinterher und macht einen Bogen um den Wäscheberg, der da tatsächlich liegt. Stets läuft ihr Schatten mit. Lucy ist so gut in ihre Umgebung integriert, dass ich mich immer mal wieder bei dem Bedürfnis ertappe, das Smartphone beiseitezulegen, damit ich beide Hände frei habe.
Es wird spät, viel später als beabsichtigt. Um 2:00 Uhr lege ich mich ins Bett, das Smartphone in der Hand. Lucy folgt mir, springt aufs Bett, rollt sich am Fußende zusammen. Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen. Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.

Statt des Weckers ist es Lucys Gebell, das mich weckt. Ha! Da hat man einen Hund und sofort krempelt er dir das Leben um. Gähnend taste ich neben meinem Kopfkissen nach dem Smartphone, schaue hindurch und muss grinsen. Lucy hüpft vergnügt auf dem Bett herum, springt über meine Beine, von links nach rechts und wieder zurück und bellt.
Es ist 6:30 Uhr, Aufstehzeit. Offenbar hat Lucy die Weckfunktion automatisch abgelöst. Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt, und prüfe ihre Einstellungen. Dort sehe ich, dass sie mich künftig auch auf Geburtstage hinweisen will, indem sie Happy-Birthday-Melodien bellt. Die Option lässt sich leicht deaktivieren, dennoch ... Wer denkt sich bloß so einen Schwachsinn aus? Das Hochgefühl nach dem Erwachen verfliegt und hinterlässt mich seltsam ernüchtert. Ich werfe das Smartphone aufs Bett und sperre den Hund aus meinem Leben aus.
Natürlich nicht für lange. Bald kehre ich zurück, das Display tätscheln, bis die ganze Anspannung von mir weicht.

Im Wohnzimmer klappe ich den Laptop auf, aktiviere die Kamera und melde mich anwesend. Telearbeit, so geht das seit drei Jahren. Ich überzeuge Kunden und nenne das Beratungsgespräch. Da für Kunden wie Vorgesetzte nur mein Gesicht und ein Teil des Oberkörpers zu sehen ist, trage ich zur Bluse keine Hose und Lippenstift zu unrasierten Beinen.
Stunde um Stunde verschwende ich meine Lebenszeit. Es ist leichter mit Lucy an meiner Seite. Zwar sehe ich sie nicht, aber sie ist da und wartet.
Inzwischen muss ich die Wohnung praktisch nicht mehr verlassen. Diverse Einkaufsdienste liefern alles, was sich mit Geld bezahlen lässt. In meiner Mittagspause gehe ich Lucy zuliebe ausnahmsweise raus, um sie Gassi zu führen. Virtuelle Spaziergänge wären genauso möglich, aber ich will ihr eine Freude machen.
Das Wetter ist mies, die Luft abgestanden und das Stadtbild ein Grau in Grau mit schrillen Plakaten, die wie bunte Fetzen auf verschlissenen Arbeitshosen kleben. Beim Asia Imbiss will ich mir Bratnudeln holen, sehe dann aber schon von weitem, dass der Laden aufgegeben wurde. Nur wenige Passanten sind unterwegs, alle scheinen beschäftigt. Niemand sieht mich an, für die anderen bin ich so unsichtbar wie Lucy.

Von Lucy gibt es jetzt ein Plüschmodell mit Sensoren, das einen schlafenden Hund simuliert. Streichelweiches Fell, eine Nase aus glänzendem Leder, der Körper ist zusammengerollt. Eine lebensechte, lebensgroße Attrappe, deren Augen im immerwährenden Dornröschenschlaf geschlossen bleiben. Natürlich erwerbe ich sie. Das Paket trifft an einem Montag ein, ich packe aus und parke Lucy neben mir auf dem Sofa. Endlich kann ich mir den Umweg übers Display sparen, wenn ich sie streicheln will. Beruhigend, wie sie so daliegt. Wie sich ihr Körper hebt und senkt.
Ich sehe ihr beim Atmen zu und muss weinen.

Irgendwann höre ich auf, mir etwas vorzumachen. Mir fehlt etwas, was Lucy mir nicht geben kann. Nachdenklich schlender ich durch verwaiste Straßen. Wind und Regen säuseln „April“. Ein Mann mit Hund kreuzt meinen Weg, der ganz auf sein Tier fokussiert, an mir vorbeispaziert. Der Hund weicht keiner Pfütze aus, sein Fell mieft unangenehm und tropft. Ich blicke den beiden nach und bin erleichtert, dass ich mir das nicht angetan habe. Der Dreck, das ständige Rausgehen, nichts für mich.
Mein Ziel ist ein Café, ich suche die Nähe anderer Menschen, will dazugehören, ohne teilzunehmen. Dort bestelle ich einen Capuccino, surfe ein wenig im Internet und starte ein neues Programm. Es stammt von den Leuten, die Lucy entwickelt haben.
Ich atme tief durch, trinke einen Schluck und zöger den Moment hinaus. Ein solches Ereignis will gewürdigt werden.
Wie soll er aussehen? Nicht muskulös, eher drahtig. Schwarzes, langes Haar. Graue oder blaue Augen? Vielleicht sogar violett? Alt genug, dass ich ihn ernstnehmen kann; jung genug, dass ich ihn ansehen mag.
Charakter, die Option gibt es auch? Ist ja toll!


Danke fürs Lesen!





Bevor ich zu den Fragen komme, sei noch erwähnt, dies ist eine Scherbenweltgeschichte. Die schreibe ich mir gelegentlich, seitdem ich seitens Pratchett auf keine neuen Einsichten zu Themen des gesellschaftlichen und politischen Lebens hoffen kann (in Anspielung an seine Scheibenwelt-Romane). In der Regel sind sie humorlos, nicht allzu phantastisch und bedauerlicherweise auch nicht genial - ist halt bloß `ne Scherbenwelt.
Da diese Geschichten nicht den üblichen Konventionen einer guten Kurzgeschichte folgen, gleich die Frage aller Fragen: Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?

Ansonsten interessiert mich:
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?

Noch ´ne blöde Frage: Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen? Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.

Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.

Die allerblödeste Frage: Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt.
« Letzte Änderung: 29 May 2019, 19:46:14 von FF »

Offline Xaranis

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  • Beiträge: 97
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #1 am: 31 January 2018, 12:31:24 »
Hallo Nightingale,

dann viel Spaß beim Einschreiben. Schön, dass du uns dran teilnehmen lässt.
Als ehemaliger Scheibenweltleser lass ich mir Scherbenweltgeschichten natürlich nicht entgehen.  :cheese:

Ich komme gleich zu deinen Fragen:

Zitat
Da diese Geschichten nicht den üblichen Konventionen einer guten Kurzgeschichte folgen, gleich die Frage aller Fragen: Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?

Der Text transportiert zumindest eine Aussage. Wir vereinsamen durch Technik. Ein Thema, über das wir wohl alle schon in der ein oder anderen Form nachgedacht haben. Ich habe mich selber schon öfter gefragt, ob wir mal soweit sind, nach Feierabend daheim eine Illusion aufzulegen wie eine Schallplatte und mit virtuellen Freunden durch die Kneipen ziehen.
In meinen Augen funktionert er für sich allein. Er erzeugt wenig Schall und Rauch, aber ich habe ihn zumindest zu Ende gelesen. Wirklich berührt oder etwas ausgelöst hat er bei mir aber nicht. Mehr dazu unten, bei den Fragen um die Perspektive. Ich gebe aber auch offen zu, kein großer Freund von Kurzgeschichten zu sein. Meine Meinung ist hier also nicht unbedingt mustergültig.

Zitat
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?

Wieso sollte ich mich überrumpelt fühlen? In einer Welt, in der das ganze Leben eine einzige Simulation ist, ist es wohl kaum überraschend, dass es statt Hunden auch Partner nach Wunschvorstellung zum Download gibt. Wobei sich mir der Gedanke aufdrängt, wie das dann mit dem Sex funktioniert. Handy auf Vibration stellen? - Egal.
Sie sagt, sich hört auf, sich etwas vorzumachen. Etwas fehlt. In Wahrheit hört sie nicht auf, sich etwas vorzumachen. Mit der Simulation eines Partners tauscht sie nur eine Illusion gegen eine Illusion. Das wahre Leben zieht an ihr vorbei.

Zitat
Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen?

Ääähm, ich kapier die Frage nicht.

Zitat
Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.

Ich finde, es passt da rein. In ihrer anonymen Welt geht sie einem anonymen Job nach. Ich würde das drin lassen. Zur Anonymität passt auch, dass die Protagonistin keinen Namen hat.

Zitat
Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.

Ich finde, es passt. Alles ziemlich leblos, unmotiviert, farblos. Es spiegelt ihre Welt und ihr Befinden wider. Das Problem was ich allerdings beim Lesen habe: Die Trostlosigkeit färbt auf mich ab. Ich lese zwar die Geschichte, empfinde dabei aber nicht mehr als deine Protagonistin. Bei diesem trübsinnigen Thema ist das wohl kaum zu vermeiden. Ist aber nicht meine Vorstellung von Unterhaltung.
Womit ich Probleme hatte: Als die Geschichte anfing, ging ich davon aus, sie sucht ganz normal einen Hund aus. War dann irritiert, dass sie mitten im Wohnzimmer steht (sind die Hunde bei ihr zu Hause?) und sie nen Hundenamen ruft. Irgendwann kapier ich dann, dass es eine Simulation auf dem Handy ist. Aber bis dahin bin ich reichlich verwirrt. Ebenso verwirrt bin ich dann, dass man mit einer Handy-Simulation um einen realen, körperlich vorhandenen Wäscheberg toben kann. Ich brauche ziemlich lange, bis ich verstehe, dass das Handy offenbar die Raumumgebung nachahmt. Gedanklich umsetzen kann ich das trotz der Erkenntnis nicht einwandfrei. Wenn die Frau mit Smartphone im Bett liegt und Lucy aufs Bett springt, sehe ich einen Hund, der auf das Bett springt. Ich sehe aber kein Display mit einem Hund, auf dem das simuliert wird. Auch ansonsten scheint Lucy ihrer Besitzerin in sehr physischer Weise zu folgen. Ein Fantasiegebilde einer einsamen Frau. Die Art und Weise, wie sich Realität und Simulation (gedanklich, optisch) miteinander vermischen ist für mich gedanklich ein wenig schwierig umzusetzen. Liegt womöglich auch an meiner Aversion gegen Smartphones.
Ist das beabsichtigt?

Zitat
Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt.

Für mich nicht.

Ich hoffe, das hilft dir weiter.

Wünsch dir einen schönen Tag.

P.S. Ein Lehrer hat mal zu mir gesagt: Dumme Fragen gibt es nicht.

 
  • Ich schreibe gerade: Schatten der Vergangenheit

Uli

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #2 am: 31 January 2018, 14:57:38 »
ay Nightingale
Schön, dass du wieder schreibst!
Und zur Beruhigung: Das klappt auch ganz gut ...
Aber erst die Fragen:


Zitat
Da diese Geschichten nicht den üblichen Konventionen einer guten Kurzgeschichte folgen, gleich die Frage aller Fragen: Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?

Funktioniert problemlos als KG - und ist gut lesbar (wenn ich auch an der Formatierung ein wenig ändern würde ...)

Zitat
Ansonsten interessiert mich:
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?

Tja ... es funktioniert. Und leider bin ich kein bisschen überrumpelt.
Was für mich die Schwäche dieser Geschichte ist: Nach dem V-Hund und der Begeisterung darüber (besonders im Vergleich zum Real-Hund) ist das einfach nur folgerichtig. Und damit erwartbar (gleichwohl immer noch eine Pointe).


Zitat
Noch ´ne blöde Frage: Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen? Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.

Nun ... du weißt, dass ich sehr gerne ˋeindampfe ´ ... wenn das eine Zielsetzung wäre, gäbe es bestimmt Dinge, die man kürzen könnte. Muss aber nicht sein.
Den Beruf der Prota sollte man unbedingt behalten, das ist ein echter Mehrwert.

Zitat
Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.

Passt gut zusammen, kein Problem.

Zitat
Die allerblödeste Frage: Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt.

Hmmm ... nicht die Häufigkeit ist m.E. das Problem, sondern der sperrige Begriff. Niemand sagt Smartphone, wenn es nicht grad geschäftlich ist. Handy, das Gerät, Taschenhirn ... hört man alles.
Smartphone hört man nie.

Die Erwähnung des technischen Geräts mit der korrekten Bezeichnung spielt noch dazu dem zu, was ich für die Schwäche des Textes halte:
Jedem (Leser wie Prota) ist jederzeit bewusst, dass der Hund ein ˋunechter´ ist, dass es sich um eine virtuelle Angelegenheit handelt ...
Ich fände es besser, wenn das erst nach und nach offenbar würde, und zwar letztlich nur dem Leser - die Prota hingegen in der Haltung ˋSie ist so wirklich wie meine Zuneigung´ verbleibt - faktisch weiß sie es, praktisch will sie es nicht wissen.

daher dürfte sie Dinge wie
Die Illusion ist perfekt.
Da flitzt ein virtueller Hund einem virtuellen Ball ...
auch nicht aussprechen.

Das würde zwar die Sache mit dem V-Mann noch etwas wahrscheinlicher machen, aber das ist lösbar - denke ich.
Andererseits würde es den Horror-Wiederstandsbeiwert erhöhen, wenn die Gute das alles verdrängt und nicht wahrhaben will. Und mehr davon ... kauft.

hoffe, es hilft.
wenn ´s nicht hilft, nimm eine  :lava:, die hilft bestimmt

cheers, Uli

Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #3 am: 01 February 2018, 20:53:01 »
Danke für eure Rückmeldungen!  :blume:
Soweit liest sich das ja ganz bekömmlich.  :)


Aber der Reihe nach ...

Hallo Xaranis,
freut mich, dass du dir die Zeit genommen hast!

Der Text transportiert zumindest eine Aussage. Wir vereinsamen durch Technik. Ein Thema, über das wir wohl alle schon in der ein oder anderen Form nachgedacht haben. Ich habe mich selber schon öfter gefragt, ob wir mal soweit sind, nach Feierabend daheim eine Illusion aufzulegen wie eine Schallplatte und mit virtuellen Freunden durch die Kneipen ziehen.
In meinen Augen funktionert er für sich allein. Er erzeugt wenig Schall und Rauch, aber ich habe ihn zumindest zu Ende gelesen. Wirklich berührt oder etwas ausgelöst hat er bei mir aber nicht.
Dass die Geschichte nicht berührt, war zu erwarten, daher bin ich an dieser Stelle nicht enttäuscht. Meine Frage, ob der Text als Kurzgeschichte funktioniert, beruht auf dieser Annahme.
Als ich die Geschichte begann, war ich zum Ende des ersten Absatzes näher an der Protagonistin, ihrem Erleben und Befinden. Dann löschte ich die Zeilen und schmiss derartiges (sobald es sich beim Schreiben einschlich) auch gleich wieder raus und beschloss, den Text bei meinen Scherbenweltgeschichten anzusiedeln. Die sind in der Regel eher Betrachtungen, bei denen ich mich an einem Thema abarbeite, das mich irgendwie beschäftigt. Langweilen möchte ich trotzdem nicht.

Meine Ansprüche an den Text sind dementsprechend nicht allzu hoch ...

Zitat
Sie sagt, sich hört auf, sich etwas vorzumachen. Etwas fehlt. In Wahrheit hört sie nicht auf, sich etwas vorzumachen. Mit der Simulation eines Partners tauscht sie nur eine Illusion gegen eine Illusion. Das wahre Leben zieht an ihr vorbei.
... das wollte ich zum Ausdruck bringen. Habe mich gefreut, das zu lesen.  :)


Zitat
Zitat
Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen?
Ääähm, ich kapier die Frage nicht.
Die Frage rührt daher, weil im Rahmen dieser Art von Schilderung keine emotionale Bindung erreicht werden konnte und ich nicht langweilen wollte (und ohne emotionale Teilhabe droht stets die Langeweile).

Zitat
Ich finde, es passt da rein. In ihrer anonymen Welt geht sie einem anonymen Job nach. Ich würde das drin lassen. Zur Anonymität passt auch, dass die Protagonistin keinen Namen hat.
Gut, schön zu hören.  :cheerful:

Zitat
Ich finde, es passt. Alles ziemlich leblos, unmotiviert, farblos. Es spiegelt ihre Welt und ihr Befinden wider. Das Problem was ich allerdings beim Lesen habe: Die Trostlosigkeit färbt auf mich ab. Ich lese zwar die Geschichte, empfinde dabei aber nicht mehr als deine Protagonistin. Bei diesem trübsinnigen Thema ist das wohl kaum zu vermeiden. Ist aber nicht meine Vorstellung von Unterhaltung.
Deswegen wollte ich den Text kurz halten. Lang genug, meinen Gedankengang abzuschließen; kurz genug, um nicht zu verschrecken.
Ich fürchtete, wenn ich der Protagonistin mehr Raum gäbe, würde das die Geschichte zu sehr in die Länge ziehen. Natürlich gewinnt jede Geschichte durch interessante Persönlichkeiten, aber hier wollte ich keine Anteilnahme oder Verständnis für sie. Vielleicht auch, weil ich mich da gar nicht so weit reindenken wollte, sie zu mögen, zu verstehen. ... Dann hätte ich mich ja nicht mehr auf meine Weise so gut über diese Entwicklung ärgern können.  :uhoh:

Zitat
Womit ich Probleme hatte: Als die Geschichte anfing, ging ich davon aus, sie sucht ganz normal einen Hund aus. War dann irritiert, dass sie mitten im Wohnzimmer steht (sind die Hunde bei ihr zu Hause?) und sie nen Hundenamen ruft. Irgendwann kapier ich dann, dass es eine Simulation auf dem Handy ist. Aber bis dahin bin ich reichlich verwirrt. Ebenso verwirrt bin ich dann, dass man mit einer Handy-Simulation um einen realen, körperlich vorhandenen Wäscheberg toben kann. Ich brauche ziemlich lange, bis ich verstehe, dass das Handy offenbar die Raumumgebung nachahmt. Gedanklich umsetzen kann ich das trotz der Erkenntnis nicht einwandfrei. Wenn die Frau mit Smartphone im Bett liegt und Lucy aufs Bett springt, sehe ich einen Hund, der auf das Bett springt. Ich sehe aber kein Display mit einem Hund, auf dem das simuliert wird. Auch ansonsten scheint Lucy ihrer Besitzerin in sehr physischer Weise zu folgen. Ein Fantasiegebilde einer einsamen Frau. Die Art und Weise, wie sich Realität und Simulation (gedanklich, optisch) miteinander vermischen ist für mich gedanklich ein wenig schwierig umzusetzen. Liegt womöglich auch an meiner Aversion gegen Smartphones.
Ist das beabsichtigt?
Nicht beabsichtigt. Deswegen gab ich dem Ganzen so viel Raum, wohl mehr Raum als beispielsweise Uli bräuchte.

Ich verrate dir was!  :wichtel:
Ideengeber für diese Geschichte ist die Entwicklung des Spiels "Pokemon Go!", das nach Veröffentlichung in allen mir bekannten Nachrichtenseiten Erwähnung fand. Ich dachte mir, wow, da laufen jetzt also die Leute durch die Gegend und spielen Schnitzeljagd mit ihren Pokemons und folgen ihnen in Krankenhäuser, auf Friedhöfe und überall sonst hin, wo man sich als ungebetener Gast breit ins Smartphone grinsend in etwa so beliebt macht, wie ein Clown auf einer Beerdigung. :gewalt:
Seit diesem Tag warte ich darauf, dass sich irgendwo im Hause Nintendo folgende Szene abspielt: Ein Mitarbeiter aus Nintendos Pokemon-Go-Fraktion läuft einen anderen Mitarbeiter aus der Nintendogs-Fraktion über den Haufen, und dann sehen sich die beiden tief in die Augen und rufen gleichzeitig: Nintendogs Go!  :trink2:

So in etwa meine diesbezüglichen Gedanken. Ich habe da übrigens 'ne Wette laufen ...  :cheese:



Zitat
Ich hoffe, das hilft dir weiter.
Ja, tut es. Vielen Dank!
 :danke2:

Zitat
P.S. Ein Lehrer hat mal zu mir gesagt: Dumme Fragen gibt es nicht.
Meine Lehrer haben auch eine Menge zu mir gesagt, das meiste ließ sich glücklicherweise verdrängen ...  :grinwech:


Liebe Grüße
Nightingale

Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #4 am: 01 February 2018, 23:40:31 »
ay Nightingale
Schön, dass du wieder schreibst!
Und zur Beruhigung: Das klappt auch ganz gut ...

Hallo Uli,
ich habe mich sehr über deine Röstung gefreut!  :cheerful:
Und gleich zweimal danke - für die Ermutigung zu Schreiben und die Beruhigungspille. 

Zitat
Funktioniert problemlos als KG - und ist gut lesbar (wenn ich auch an der Formatierung ein wenig ändern würde ...)
Schön, dass es für dich auch als KG funktioniert.
Was würdest du denn an der Formatierung ändern, die Absatzgestaltung? Da war ich mir etwas unsicher, letztlich schienen mir die verschiedenen Abschnitte aber so am sinnigsten zusammengefasst.

Zitat
Tja ... es funktioniert. Und leider bin ich kein bisschen überrumpelt.
Was für mich die Schwäche dieser Geschichte ist: Nach dem V-Hund und der Begeisterung darüber (besonders im Vergleich zum Real-Hund) ist das einfach nur folgerichtig. Und damit erwartbar (gleichwohl immer noch eine Pointe).
Ja, das Ende war zu erwarten. Die ganze Geschichte bewegt sich in eine Richtung, überrascht nicht und erzeugt keine Anteilnahme. Dafür müsste ich wohl Herzblut investieren und - fürchte ich - mich der Geschichte ganz anders nähern.

Zitat
Nun ... du weißt, dass ich sehr gerne ˋeindampfe ´ ... wenn das eine Zielsetzung wäre, gäbe es bestimmt Dinge, die man kürzen könnte. Muss aber nicht sein.
Den Beruf der Prota sollte man unbedingt behalten, das ist ein echter Mehrwert.
Beruf bleibt, ok.  ;D
Über das Kürzen werde ich nachdenken. Du würdest vermutlich an den Stellen ansetzen, in denen ich versuchte, dem Leser Klarheit zu lasten eines Überraschungseffekts zu verschaffen, oder?

Zitat
Zitat
Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.

Passt gut zusammen, kein Problem.
Schön zu hören.
Rösten habe ich in ganz anderer Erinnerung, gerade fühle ich mich eher sanft gegrillt.  :cheese:

Zitat
Hmmm ... nicht die Häufigkeit ist m.E. das Problem, sondern der sperrige Begriff. Niemand sagt Smartphone, wenn es nicht grad geschäftlich ist. Handy, das Gerät, Taschenhirn ... hört man alles.
Smartphone hört man nie.
Handy. Wird geändert.

Zitat
Jedem (Leser wie Prota) ist jederzeit bewusst, dass der Hund ein ˋunechter´ ist, dass es sich um eine virtuelle Angelegenheit handelt ...
Ich fände es besser, wenn das erst nach und nach offenbar würde, und zwar letztlich nur dem Leser - die Prota hingegen in der Haltung ˋSie ist so wirklich wie meine Zuneigung´ verbleibt - faktisch weiß sie es, praktisch will sie es nicht wissen.
Ich verstehe den Einwand und erkenne die Wahrheit darin, und doch ...
ich möchte eine Figur zeigen, die sich stets der Illusion bewusst ist, aber trotzdem Nähe daraus gewinnen will oder besser gesagt, die Einsamkeit für den Moment vertreiben will. Durchaus so, wie du es ausdrückst: Faktisch weiß sie es, praktisch will sie es nicht wissen. Oder fast so, wie du es ausdrückst: Sie will keine Verantwortung, keine Verpflichtung, nicht lieben, aber das Gefühl, gebraucht oder sogar geliebt zu werden. Eine egoistische, einseitige Beziehung - der Trugschluss eines nicht zu Ende gedachten Gedankens.

Zitat
daher dürfte sie Dinge wie
Die Illusion ist perfekt.
Da flitzt ein virtueller Hund einem virtuellen Ball ...
auch nicht aussprechen.
Dessen ungeachtet denke ich noch einmal über deinen Einwand nach.


Zitat
hoffe, es hilft.
wenn ´s nicht hilft, nimm eine  :lava:, die hilft bestimmt
Hat geholfen. Hab dank, Uli!
Und Lava nehme ich immer gerne, nur her damit!  :lava:


Liebe Grüße :blume:
Nightingale

Uli

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #5 am: 02 February 2018, 18:30:36 »

ay Nightingale

Schön, dass es hilft ...

Zitat
Schön, dass es für dich auch als KG funktioniert.
Was würdest du denn an der Formatierung ändern, die Absatzgestaltung? Da war ich mir etwas unsicher, letztlich schienen mir die verschiedenen Abschnitte aber so am sinnigsten zusammengefasst.

Ich mache mich nachher mal daran, den Text umzuformatieren (mit Begründung) - ein paar Absätze mehr sind möglich und wären für mich hilfreich


Zitat
Ja, das Ende war zu erwarten. Die ganze Geschichte bewegt sich in eine Richtung, überrascht nicht und erzeugt keine Anteilnahme. Dafür müsste ich wohl Herzblut investieren und - fürchte ich - mich der Geschichte ganz anders nähern.

Ich denke, dass es gar nicht soooo aufwändig ist, da noch etwas rauszukitzeln - wenn du erstmal wieder richtig drin bist im Schreiben.


Zitat
Über das Kürzen werde ich nachdenken. Du würdest vermutlich an den Stellen ansetzen, in denen ich versuchte, dem Leser Klarheit zu lasten eines Überraschungseffekts zu verschaffen, oder?

ziemlich wahrscheinlich - werde ich beim Umformatieren mit versuchen ...


Zitat
Rösten habe ich in ganz anderer Erinnerung, gerade fühle ich mich eher sanft gegrillt.  :cheese:

Oh ... das andere Rösten kann ich auch noch ... :mob:
Erschien mir hier nur nicht nötig.





Zitat
Ich verstehe den Einwand und erkenne die Wahrheit darin, und doch ...
ich möchte eine Figur zeigen, die sich stets der Illusion bewusst ist, aber trotzdem Nähe daraus gewinnen will oder besser gesagt, die Einsamkeit für den Moment vertreiben will. Durchaus so, wie du es ausdrückst: Faktisch weiß sie es, praktisch will sie es nicht wissen. Oder fast so, wie du es ausdrückst: Sie will keine Verantwortung, keine Verpflichtung, nicht lieben, aber das Gefühl, gebraucht oder sogar geliebt zu werden. Eine egoistische, einseitige Beziehung - der Trugschluss eines nicht zu Ende gedachten Gedankens.

OK - damit habe ich eine Zielvorstellung und die ist auch OK.
Ändert nicht viel daran, dass die wiederholte Betonung auf das Virtuelle daran m.E. nicht ganz passt - aber weniger radikal als ich erst angenommen habe.
In den gefühlsbetonten Situationen sollte die Irrealität ausgeblendet sein, aber sie darf wiederkehren in praktischen Überlegungen.

bis später!
Uli

Uli

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #6 am: 02 February 2018, 18:40:47 »
ay Nightingale,

ein bisschen ˋreinschmieren ´ wg Absätzen und evtl Kürzungen






Der beste Freund des Menschen


Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will, schaue mich ratlos im Wohnzimmer um und frage mich, welcher Hund wohl am besten zu meinen Möbeln passt.
(Absatz möglich weil Sinnwechsel von Frage zu Antwort.)
Wahrscheinlich der Dalmatiner. Schlicht, weiß, ein paar Flecken. Fast wie der Wohnzimmerteppich: schlicht, weiß, ein paar Flecken.
(Vorschlag Zeilenumbruch)
Eigentlich egal. Hund ist Hund, wollte ich immer schon haben, nur nicht so richtig. Also so richtig richtig.

Ich lade die App runter, starre durchs Display und mein neuer bester Freund sieht mich mit treuen Augen an. Toll, wie schön man die einzelnen Härchen erkennt. Auch die Feuchtigkeit der Nase, wie sie im Licht glänzt, beeindruckend.

Das Geschlecht des Hundes kontrolliere ich, indem ich seine Daten checke. Ist ein Weibchen. Außerdem steht da, dass sie einen gehorsamen und freundlichen Charakter hat. Bei der Auswahl hatte ich gar nicht drauf geachtet, Glück gehabt.
Eine sie also. Gut, wie soll sie heißen?

Mit der Entscheidung lasse ich mir Zeit, setze Kaffee auf und überlege.
„Lucy“, raune ich schließlich ins Display und weil mein Hund nicht reagiert, rufe ich noch einmal: „Lucy!“

Lucy beguckt mein Sofa, dreht sich dann aber um. Sie kommt näher, schwanzwedelnd. Ich streichel sie, also das Display. (das Display ist hier noch OK) Lucy hechelt, schließt die Augen. Sie genießt die Berührung und ich die Gesellschaft. Eine ganze Weile bin ich damit beschäftigt, sie zu liebkosen, die Ohren zu kraulen und Vertrauen aufzubauen. Wir lernen uns kennen, so geht das eben. Später spielen wir noch Ball, üben das Apportieren.

Die Illusion ist perfekt. Da flitzt ein virtueller Hund einem virtuellen Ball in meinem Wohnzimmer hinterher und macht einen Bogen um den Wäscheberg, der da tatsächlich liegt. Stets läuft ihr Schatten mit. Lucy ist so gut in ihre Umgebung integriert, dass ich mich immer mal wieder bei dem Bedürfnis ertappe, das Smartphone beiseitezulegen, damit ich beide Hände frei habe.

Es wird spät, viel später als beabsichtigt. Um 2:00 Uhr lege ich mich ins Bett, das Smartphone in der Hand (Kein Rückschluss in Realität an dieser Stelle!). Lucy folgt mir, springt aufs Bett, rollt sich am Fußende zusammen. Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen. Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.
(der letzte Satz ist wieder OK, der sollte bleiben)

Statt des Weckers ist es Lucys Gebell, das mich weckt. (Zeilenumbruch)
Ha! Da hat man einen Hund und sofort krempelt er dir das Leben um. Gähnend taste ich neben meinem Kopfkissen nach dem Smartphone, schaue hindurch und muss grinsen. Lucy hüpft vergnügt auf dem Bett herum, springt über meine Beine, von links nach rechts und wieder zurück und bellt.

Es ist 6:30 Uhr, Aufstehzeit. Offenbar hat Lucy die Weckfunktion automatisch abgelöst. Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt, und prüfe ihre Einstellungen. Dort sehe ich, dass sie mich künftig auch auf Geburtstage hinweisen will, indem sie Happy-Birthday-Melodien bellt. Die Option lässt sich leicht deaktivieren, dennoch ... Wer denkt sich bloß so einen Schwachsinn aus? Das Hochgefühl nach dem Erwachen verfliegt und hinterlässt mich seltsam ernüchtert. Ich werfe das Smartphone aufs Bett und sperre den Hund aus meinem Leben aus.
Natürlich nicht für lange. Bald kehre ich zurück, das Display Lucy tätscheln, bis die ganze Anspannung von mir weicht.

Im Wohnzimmer klappe ich den Laptop auf, aktiviere die Kamera und melde mich anwesend. Telearbeit, so geht das seit drei Jahren. Ich überzeuge Kunden und nenne das Beratungsgespräch. Da für Kunden wie Vorgesetzte nur mein Gesicht und ein Teil des Oberkörpers zu sehen ist, trage ich zur Bluse keine Hose und Lippenstift zu unrasierten Beinen.

Stunde um Stunde verschwende ich meine Lebenszeit. Es ist leichter mit Lucy an meiner Seite. Zwar sehe ich sie nicht, aber sie ist da und wartet.

Inzwischen muss ich die Wohnung praktisch nicht mehr verlassen. Diverse Einkaufsdienste liefern alles, was sich mit Geld bezahlen lässt. Lässlich - wir wissen schon, dass wir eine weitere Stufe der V-Welt erricht haben, also ist das klar.)

 In meiner Mittagspause gehe ich Lucy zuliebe ausnahmsweise raus, um sie Gassi zu führen. Virtuelle Spaziergänge wären genauso möglich, aber ich will ihr eine Freude machen.

Das Wetter ist mies, die Luft abgestanden und das Stadtbild ein Grau in Grau mit schrillen Plakaten, die wie bunte Fetzen auf verschlissenen Arbeitshosen kleben. Beim Asia Imbiss will ich mir Bratnudeln holen, sehe dann aber schon von weitem, dass der Laden aufgegeben wurde. Nur wenige Passanten sind unterwegs, alle scheinen beschäftigt. Niemand sieht mich an, für die anderen bin ich so unsichtbar wie Lucy.

Von Lucy gibt es jetzt ein Plüschmodell mit Sensoren, das einen schlafenden Hund simuliert. Streichelweiches Fell, eine Nase aus glänzendem Leder, der Körper ist zusammengerollt. Eine lebensechte, lebensgroße Attrappe, deren Augen im immerwährenden Dornröschenschlaf geschlossen bleiben. Natürlich erwerbe ich sie. Das Paket trifft an einem Montag ein, ich packe aus und parke Lucy neben mir auf dem Sofa. Endlich kann ich mir den Umweg übers Display sparen, wenn ich sie streicheln will. Beruhigend, wie sie so daliegt. Wie sich ihr Körper hebt und senkt.
Ich sehe ihr beim Atmen zu und muss weinen.

Irgendwann höre ich auf, mir etwas vorzumachen. (Zeilenumbruch)
Mir fehlt etwas, was Lucy mir nicht geben kann. Nachdenklich schlender ich durch verwaiste Straßen. Wind und Regen säuseln „April“. Ein Mann mit Hund kreuzt meinen Weg, der ganz auf sein Tier fokussiert, an mir vorbeispaziert. (Zeilenumbruch)
Der Hund weicht keiner Pfütze aus, sein Fell mieft unangenehm und tropft. Ich blicke den beiden nach und bin erleichtert, dass ich mir das nicht angetan habe. Der Dreck, das ständige Rausgehen, nichts für mich.

Mein Ziel ist ein Café, ich suche die Nähe anderer Menschen, will dazugehören, ohne teilzunehmen. Dort bestelle ich einen Capuccino, surfe ein wenig im Internet und starte ein neues Programm. Es stammt von den Leuten, die Lucy entwickelt haben.
Ich atme tief durch, trinke einen Schluck und zöger den Moment hinaus. Ein solches Ereignis will gewürdigt werden.


Der Umweg über das Café ist mir unklar - einerseits unter (echten) Menschen sein wollen, dazugehören wollen - und dann einen Ken bestellen, da fehlt etwas.
Möglichkeiten:
1) sie wollte in das Café, aber das ist auch geschlossen (oder wenigstens leer, oder unangenehme Gesellschaft)
2)weglassen. Wenn die Gesellschaft dort nicht taugt, dann ist das mit dem echten Hund schon geklärt
3) ausbauen. Und den Ken erst zu Hause bestellen, nach irgendeinem Impuls, der in der Café-Szene eingebaut werden kann. (wäre für mich aber unnötig)

Wie soll er aussehen? Nicht muskulös, eher drahtig. Schwarzes, langes Haar. Graue oder blaue Augen? Vielleicht sogar violett? Alt genug, dass ich ihn ernstnehmen kann; jung genug, dass ich ihn ansehen mag.
Charakter, die Option gibt es auch? Ist ja toll!

Und hier wäre noch eine Gelegenheit für in Extra:
Wenn sie das neue Angebot erstmal nir anschaut, die Optionen nur wahrnimmt, aber nicht ernstlich daran denkt, den Ken zu buchen - und erst mit der Option Charakter dafür entscheidet ...

***
Ich hoffe, alles ist erkennbar - sonst frag einfach nach

cheers, Uli





Bevor ich zu den Fragen komme, sei noch erwähnt, dies ist eine Scherbenweltgeschichte. Die schreibe ich mir gelegentlich, seitdem ich seitens Pratchett auf keine neuen Einsichten zu Themen des gesellschaftlichen und politischen Lebens hoffen kann (in Anspielung an seine Scheibenwelt-Romane). In der Regel sind sie humorlos, nicht allzu phantastisch und bedauerlicherweise auch nicht genial - ist halt bloß `ne Scherbenwelt.
Da diese Geschichten nicht den üblichen Konventionen einer guten Kurzgeschichte folgen, gleich die Frage aller Fragen: Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?

Ansonsten interessiert mich:
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?

Noch ´ne blöde Frage: Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen? Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.

Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.

Die allerblödeste Frage: Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt.

[/quote]
« Letzte Änderung: 02 February 2018, 18:53:45 von Uli »

Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #7 am: 03 February 2018, 13:35:46 »
ay Nightingale,
ein bisschen ˋreinschmieren ´ wg Absätzen und evtl Kürzungen
Vielen Dank, Uli, dass du dich noch einmal so intensiv mit meinem Text auseinandergesetzt hast.  :blume:
Über die Absatzgestaltung werde ich ein wenig nachdenken müssen. Du magst ja gerne viele Zeilenumbrüche, ;D in deinen Randbezirken funktioniert das auch für mich. Bloß bei eigenen Geschichten wirkt der Text auf mich schnell zerfranst, da brauch ich immer ein bissel Fließtext, bis ich mich in den nächsten Absatz wage.
Das Handy ist ja schon mal gekauft, inwieweit ich die Erwähnung des Displays und des Handys reduziere, weiß ich noch nicht. Gerade bei der Bettszene, wo dich die Erwähnung störte, war Xaranis unsicher.
Zitat
Mein Ziel ist ein Café, ich suche die Nähe anderer Menschen, will dazugehören, ohne teilzunehmen. Dort bestelle ich einen Capuccino, surfe ein wenig im Internet und starte ein neues Programm. Es stammt von den Leuten, die Lucy entwickelt haben.
Ich atme tief durch, trinke einen Schluck und zöger den Moment hinaus. Ein solches Ereignis will gewürdigt werden.

Der Umweg über das Café ist mir unklar - einerseits unter (echten) Menschen sein wollen, dazugehören wollen - und dann einen Ken bestellen, da fehlt etwas.
Hm. Sie „will dazugehören, ohne teilzunehmen“. Der Weg ins Café ist die Konsequenz aus den vorangegangenen Sätzen: „Ich sehe ihr beim Atmen zu und muss weinen. Irgendwann höre ich auf, mir etwas vorzumachen. Mir fehlt etwas, was Lucy mir nicht geben kann.“
Die Prota ist einsam und will diesem Gefühl entkommen. Sie sucht die Nähe anderer Menschen, bleibt aber anonym. Die ganze Zeit weicht sie ihrem Problem aus, löst es zu keinem Zeitpunkt, sondern dämmt den Leidensdruck, so dass sie in diesem (unsinnigen) Zustand verweilen kann.
Ich danke dir für die vorgeschlagenen Möglichkeiten, auch wenn sie ein wenig an dem vorbei führen, worum es mir geht. Rösten ist zeitintensiv und ich freue mich über jeden Gedanken, den du mir mitteilst.  :)

Liebe Grüße
Nightingale



Uli

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #8 am: 03 February 2018, 14:21:44 »
ay Nightingale,

OK, damit
Zitat
Die Prota ist einsam und will diesem Gefühl entkommen. Sie sucht die Nähe anderer Menschen, bleibt aber anonym. Die ganze Zeit weicht sie ihrem Problem aus, löst es zu keinem Zeitpunkt, sondern dämmt den Leidensdruck, so dass sie in diesem (unsinnigen) Zustand verweilen kann.

habe ich jetzt einen anderen Blick - was gut ist.

Also ... grundsätzlich ich der Gedanke da, nur war der bei mir ein wenig überlagert. Wohl, weil mir das ˋdämmen des Leidensdrucks ´ nicht so im Vordergrund stand in den Anfangsszenen. Vielleicht, weil ich ˋHaustier gegen Einsamkeit´ zwar kenne, aber so gar nicht nachfühlen kann ... aber klar, das ist oft so.
Und damit hat deine Prota ja auch eine Entwicklung: Sie erkennt, dass der Hund (ob real oder nicht) nicht das Problem löst.
Dass sie dann doch wieder zurückfällt und statt echter Menschen den Ken aussucht, ist dann etwas anders beleuchtet - und ein guter Schlusspunkt für die KG.

Hmm ...
Ich vermute, dass die Geschichte für mich (wahrscheinlich aber nur für mich ...) besser funktioniert hätte, wenn die Arbeitsszene vorangestellt würde - die anonyme Situation vor dem Bildschirm, und um da rauszukommen eben ein Hund gewünscht wird.
Dann hätte ich zuerst den Eindruck von Entfremdung und Einsamkeit, Lucy als Lösungsversuch und das Erkennen, dass Lucy nicht reicht in einem zeitlichen Ablauf - und am Schluss die ˋPointe ´, dass die Prota doch wieder das unechte wählt, weil richtiges Leben zu anstrengend und schmutzig (Real-Hund) ist.

Aber das ist wirklich nur eine persönliche Anmerkung - ich habe keine Ahnung, ob das zu verallgemeinern ist.

alles Liebe! Uli
Aber wie gesagt, dass kann ich nur für mich sagen,

Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #9 am: 03 February 2018, 15:23:07 »
Ein Wort sagt manchmal alles:
 :danke2:

Lilith

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #10 am: 03 February 2018, 17:10:45 »
Hallo Nightingale!

Schön, mal was von dir zu lesen. :cheerful:
Ich weiß allerdings nicht, ob du dir damit einen so großen Gefallen tust, wirklich ins ernsthafte Schreiben zu kommen. Kritik ist selten motivierend, schlägt eher erst mal nieder, als dass sie einen beflügelt.

Leider habe ich beim Verfolgen dieses Threads, den Fehler gemacht, die anderen Röstungen und deine Antworten zu lesen. Nun fühle ich mich vor den Kopf gestoßen. Was genau erwartest du von mir als Rösterin? Welches Feedback erhoffst du dir? Was soll, was kann, was will dieser Text? :weissnicht:

Zitat
Dass die Geschichte nicht berührt, war zu erwarten, daher bin ich an dieser Stelle nicht enttäuscht. Meine Frage, ob der Text als Kurzgeschichte funktioniert, beruht auf dieser Annahme.
Als ich die Geschichte begann, war ich zum Ende des ersten Absatzes näher an der Protagonistin, ihrem Erleben und Befinden. Dann löschte ich die Zeilen und schmiss derartiges (sobald es sich beim Schreiben einschlich) auch gleich wieder raus und beschloss, den Text bei meinen Scherbenweltgeschichten anzusiedeln. Die sind in der Regel eher Betrachtungen, bei denen ich mich an einem Thema abarbeite, das mich irgendwie beschäftigt. Langweilen möchte ich trotzdem nicht.

Meine Ansprüche an den Text sind dementsprechend nicht allzu hoch ...

Aber wo sind sie dann angesiedelt, deine Ansprüche?
Wenn du den Text schon nicht ernst nimmst, nicht ernst nehmen willst, warum sollte ich das tun? Ich tue es natürlich, weil mich Textarbeit interessiert, aber, tja, ich verstehe nicht so recht, was die Autorin von mir will.
"Dafür, dass du es nicht allzu ernst gemeint hast, ist es noch ganz gut geworden"? :schwitz:
Dich beschäftigen die Themen doch, also warum sollten sie den Leser nicht beschäftigen?

Nichtsdestotrotz hier meine Meinung zum Text. Auch wenn sie dich dem Ziel, deinen Text in Scherben zu lassen, nicht wirklich näher bringen wird, hoffe ich, dass sie dich dennoch im Schreiben weiterbringt.
Jeder Text ist eine Erfahrung und es gibt was zu lernen - und sei es nur, es beim nächsten Mal nicht wieder so zu machen.

Also, auf geht's! Ein paar Baileysbällchen, um nicht an den Fingernägeln zu knabbern: :b5:

Meine Meinung kurz und knapp: Mir gefällt der Text nicht.
In seiner jetzigen Form wirkt er auf mich wie ein langgezogener Witz: "Frau kauft sich einen virtuellen Hund, hat Spaß mit ihm. Frau wird langweilig. Also kauft sie sich einen virtuellen Freund."
Haha?

Um deine Fragen zu beantworten (die sind nicht blöd, solange du dich für ehrliche Meinungen interessierst! :nudelholz: ):
Zitat
Da diese Geschichten nicht den üblichen Konventionen einer guten Kurzgeschichte folgen, gleich die Frage aller Fragen: Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?
Ja, kann er. Wie er funktioniert, ist allerdings eine ganz andere Frage.
In dem Sinne, dass er irgendetwas in mir auslöst, das kein Urteil über (!) den Text darstellt, funktioniert er bei mir nicht.

Zitat
Ansonsten interessiert mich:
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?
Es "funktioniert" insofern, als dass ich mich nicht überrumpelt fühle, weil es zu erwarten ist. Keine Überraschung auf dieser Seite.

Zitat
Noch ´ne blöde Frage: Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen? Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.
Nein, die Erwähnung des Berufs ermöglicht überhaupt erst einmal eine Einordnung in einen Kontext, die dem Text etwas geben kann, das über den erwähnten langgezogenen Witz hinausgeht.

Zitat
Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.
Deine Figur ist deine Figur. An der zerre ich nicht herum, solange sie in sich stimmig wirkt.
Ich frage mich allerdings, ob der Ich-Erzähler dich deinem Ziel näherbringt. Du schreibst selbst, dass du gar nicht zu sehr mit der Protagonistin mitfühlen wolltest ... Für einen Ich-Erzähler ist das allerdings durchaus vonnöten. Ich frage mich, ob ein auktorialer, klar wertender Erzähler, der sein Urteil harsch, vielleicht auch ironisch, über Figur und Welt fällt, wie du es im Text unterschwellig tust, indem du über deine Protagonistin erzählst, aber sie nicht von sich und ihrer Lebenswelt erzählen lässt.
Das erspart ihr zumindest den Maulkorb.

Zitat
Die allerblödeste Frage: Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt.
Das Smartphone an sich hat mich nicht gestört - abgesehen davon, dass ich mit Uli konform gehe und es lieber "Handy" nennen würde. Mein Problem war ein anderes.
Während des Lesens ging es mir ähnlich wie Xaranis. Ich ging zuerst von einem echten Hund aus. Das ist insofern okay, als dass deine Protagonistin ihn so wahrnehmen dürfte. Sobald aber klar war, dass dieser Hund eine virtuelle Projektion ist, war ich mir nicht sicher, worauf du hinauswillst: Virtual oder Augmented Reality?
Die Erwähnung des Smartphones ließ mich tatsächlich an "Pokémon Go" (Augmented Reality) denken, die Beschreibungen wirkten jedoch eher wie aus einer virtuellen Realität geschöpft, dadurch dass die Protagonistin Lucy als sehr lebensecht wahrnimmt und, so wie ich es gelesen hatte, nicht ständig durch ihr Smartphone betrachtet. Ich persönlich fände eine elegantere Variante einer Oculus Rift oder ähnlichem passender, weil die eine bessere Verschmelzung mit der gelebten Wirklichkeit erlaubt. Also kein monströser Kasten, wie man sich ihn heute aufsetzt, sondern eine schlanke, bequeme VR-Brille, die sich deine Protagonistin einfach aufsetzen kann, um ihre Lucy immer um sich zu haben und in der erweiterten Virtualität mit ihrer Lucy zu leben.
Ich habe sowohl mit VR als auch AR Devices gearbeitet und die Gefühle, die dabei entstehen, sind sehr unterschiedlich. VR erlaubt ein direkteres Eintauchen in die alternative Welt, AR ist eine nette, aber deutlich von der Welt der Tatsachen abgegrenzte Erweiterung, die einem stärker bewusst macht, wie aufgesetzt sie ist. In VR kann man nach Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten wie Übelkeit und Schwindel regelrecht versinken ... die direkte Immersion ist viel tiefer.
Eine komplette virtuelle Realität wäre wohl nicht in deinem Sinne, immerhin soll Lucy noch mit durch die Wohnung laufen, aber ich würde die Stoßrichtung vertiefen.

Konkret am Text:
Zitat
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will, schaue mich ratlos im Wohnzimmer um und frage mich, welcher Hund wohl am besten zu meinen Möbeln passt. Wahrscheinlich der Dalmatiner. Schlicht, weiß, ein paar Flecken. Fast wie der Wohnzimmerteppich: schlicht, weiß, ein paar Flecken. Eigentlich egal. Hund ist Hund, wollte ich immer schon haben, nur nicht so richtig. Also so richtig richtig.
Du steigst ein mit der Sehnsucht, dem Wunsch nach einem Hund, da assoziiere ich noch nichts virtuelles.
Der erste Hinweis sind "nur nicht so richtig" und "so richtig richtig", aber die beziehe ich (!) hier noch auf den Wunsch, nicht auf den Hund selbst. Ich lese das so, dass sie sich bisher nie richtig dazu entscheiden konnte, sich einen Hund anzuschaffen, nicht, als ob sie keinen "echten Hund" haben wollte. Dazu fehlt auch die Begründung und sei sie nur angedeutet, stattdessen folgt nur eine Emphase ihrer vorigen Aussage.

Zitat
Ich lade die App runter, starre durchs Display und mein neuer bester Freund sieht mich mit treuen Augen an. Toll, wie schön man die einzelnen Härchen erkennt. Auch die Feuchtigkeit der Nase, wie sie im Licht glänzt, beeindruckend.
Die App verwirrt mich nur kurz und ehrlich gesagt dachte ich hier erst mal an eine Tiervermittlungs-App. :blush:
Ich dachte also, sie sucht sich den Hund nur aus, schaut auf ein Foto von ihm, nicht auf eine Simulation.
Der Verständnisfehler wird m. E. auch durch einen Formulierungsfehler begünstigt. Sie lädt die App herunter, das bedeutet, sie lädt sich das Programm herunter - das Programm, dass letztlich ihren Hund simuliert. Tatsächlich müsste sie aber wohl eher die App schon heruntergeladen haben und innerhalb der App dann entsprechenden Content.
So würde ich es erwarten, da ich sie, beeinflusst durch den ersten Absatz, durch ein virtuelles Schaufenster scrollen sehe, nicht den Google Play Store oder was auch immer sie in ihrer Welt nutzt.

Zitat
Das Geschlecht des Hundes kontrolliere ich, indem ich seine Daten checke. Ist ein Weibchen.
Außerdem steht da, dass sie einen gehorsamen und freundlichen Charakter hat. Bei der Auswahl hatte ich gar nicht drauf geachtet, Glück gehabt.
Eine sie also. Gut, wie soll sie heißen?
Da denke ich immer noch an einen seltsamen Onlineshop.

Zitat
„Lucy“, raune ich schließlich ins Display und weil mein Hund nicht reagiert, rufe ich noch einmal: „Lucy!“
Lucy beguckt mein Sofa, dreht sich dann aber um. Sie kommt näher, schwanzwedelnd. Ich streichel sie, also das Display. Lucy hechelt, schließt die Augen. Sie genießt die Berührung und ich die Gesellschaft. Eine ganze Weile bin ich damit beschäftigt, sie zu liebkosen, die Ohren zu kraulen und Vertrauen aufzubauen. Wir lernen uns kennen, so geht das eben. Später spielen wir noch Ball, üben das Apportieren.
Das hat mich entsprechend verwirrt.
"Warum ist der Hund auf einmal da, was hab ich verpasst?" :watchout: ;D

Zitat
Die Illusion ist perfekt. Da flitzt ein virtueller Hund einem virtuellen Ball in meinem Wohnzimmer hinterher und macht einen Bogen um den Wäscheberg, der da tatsächlich liegt.
Und hier wird es dann erstmals konkret. Ah, okay, der Hund ist nicht echt. Alles klar. Allerdings: Du beschreibst das plastisch. Sie nutzt ihr Smartphone nicht als Gerät, das die Erweiterung erst möglich macht. Der Hund ist "da", das ließ mich an die VR-Brille denken.

Zitat
Stets läuft ihr Schatten mit. Lucy ist so gut in ihre Umgebung integriert, dass ich mich immer mal wieder bei dem Bedürfnis ertappe, das Smartphone beiseitezulegen, damit ich beide Hände frei habe.
Hier dann der "Pokémon Go"-Hinweis, ich bastel meine Vorstellung also wieder etwas um.

Zitat
Es wird spät, viel später als beabsichtigt. Um 2:00 Uhr lege ich mich ins Bett, das Smartphone in der Hand. Lucy folgt mir, springt aufs Bett, rollt sich am Fußende zusammen. Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen.
Hier wird es wieder wirr. "Das Smartphone in der Hand" sagt erst mal nichts darüber aus, wie sie es in der Hand hält. Die bildliche Beschreibung von Lucy, die sich am Fußende zusammenrollt, um friedlich zu schlafen, ruft wieder das VR-Bild wach. Das Display stört diesen Eindruck, holt mich zurück, nur um wieder gebrochen zu werden, denn: Die Protagonistin sieht Lucy an (betrachtet sie nicht nur durch's Display, so lese ich diese Steigerung) und fühlt sie sogar. Hm. Also kein Smartphone mehr dazwischen? Hm, hm, hmmm.

Zitat
Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.
Dieser Satz lässt mich übrigens stolpern und ich frage mich ernsthaft, ob du ihn so meinst wie er da steht. So wie er da steht, sagt er nämlich aus, dass ihre Zuneigung nichts weiter als eine Illusion ist. Das heißt, sie nimmt in diesem Augenblick ihr eigenes Gefühl entweder nicht ernst oder es ist tatsächlich nicht vorhanden und das heißt: Deine Protagonistin empfindet nichts für Lucy. Da stellt sich dann aber die Frage, warum sie Lucy bei sich behält. Die Frage lassen Text (und Protagonistin) offen, sodass ich wiederum unsicher werde, ob ich das richtig gelesen habe.

Und das bringt mich auch auf den nächsten Kritikpunkt, der viel elementarer ist.

Was ist das Thema? Was möchtest du aussagen (grob)? Dass Technik unsere Vereinsamung vorantreibt? Dazu ist mir der Text auch noch nicht böse genug in der Darstellung der Auswirkungen. Gerade auf deine Protagonistin. Dadurch, dass du so fern von ihr bleibst, sie in ihren Problemen kaum wahrnimmst (sich nicht wahrnehmen lässt), prallt das ab. Du verschärfst ihren Leidensdruck zwar, so sehr, dass sie zuletzt in die nächste Falle flüchtet, die diese neue moderne Gesellschaft ihr stellt (indem sie sich einen Partner herunterlädt), weil ihr keine andere Wahl bleibt, aber tänzelst dabei auf der Oberfläche herum.
Dein Text könnte eine Zuspitzung aktuell längst vorhandener Auswüchse sein (VR-Pornospiele gibt's schon), indem er die ganze Schmerzlichkeit und Falschheit dessen aufzeigt, aber das tut er nicht.
Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen. Wir brauchen einander. Als Säugetiere sind wir auf Fürsorge und Nähe angewiesen, anders können wir nicht überleben! Soziale Kälte macht Menschen krank - und wie bitter ist es bitteschön, wenn dann dem gemobbten Teenager, der sich in sein Onlinespiel rettet, um wenigstens virtuell Freunde zu finden, am Ende nichts bleibt als ein Bot, mit dem er versuchen kann, seine natürlichen Bedürfnisse zu stillen?
Das spart dieser Text aus, indem er sich um das eigentliche Problem herumschleicht.
Schade.

Für deine Protagonistin bedeutet das, dass sie sich aus ihrer anfänglichen Einsamkeit mit Hilfe von Lucy herauszukämpfen versucht. Den Schmerz dahinter mag sie nicht wahrnehmen, das vergrößert ihr Leiden jedoch, sodass Lucy sie nicht lange zufrieden stellen kann. Doch selbst, als sie den Schritt hinaus in die echte Welt wagt, kann sie niemanden erreichen. Hier müsste aber zumindest ein Versuch stattfinden! Einer, der abprallt, sodass sie keine andere Wahl mehr hat, als die Illusion am Ende ganz zu akzeptieren und in ihr aufzugehen und einen vollkommen menschlichen Teil von sich aufzugeben.
Was für Zukunftsaussichten! Ja, so eine Welt würde mir Angst machen.

Ich hoffe, das hilft dir irgendwie weiter.

Liebe Grüße,
Lilith

Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #11 am: 03 February 2018, 20:40:38 »
Hallo Lilith,

danke fürs Rösten.  :)

Aber wo sind sie dann angesiedelt, deine Ansprüche?

Meine Ansprüche an Geschichten unterscheiden sich wie meine Geschichten. Hier möchte ich einer Idee einen Raum geben. Nicht langweilen, vielleicht zum Nachdenken über ein Problem anregen. Das Thema ist emotionale Entfremdung von sich, von anderen. Der Text entspricht seinem Thema, alles bleibt kühl. Eine Betrachtung, ohne teilhabe.
Als Autor halte ich Distanz zur Figur, die Figur hält Distanz zu ihren Gefühlen und alle Statisten halten Distanz. Niemand sieht den anderen im Ganzen. Alles bleibt sich fremd.


Zitat
Wenn du den Text schon nicht ernst nimmst, nicht ernst nehmen willst, warum sollte ich das tun? Ich tue es natürlich, weil mich Textarbeit interessiert, aber, tja, ich verstehe nicht so recht, was die Autorin von mir will.
"Dafür, dass du es nicht allzu ernst gemeint hast, ist es noch ganz gut geworden"? :schwitz:
Dich beschäftigen die Themen doch, also warum sollten sie den Leser nicht beschäftigen?

Röstest du gerade meine Antwort auf eine Röstung?  :watchout:

Warum sollte ich den Text nicht ernst nehmen? Weil ich nicht tief in das Gefühlsleben der Figur eintauche? Gründe für diese Entscheidung findest du oben. Außerdem experimentiere ich gern mal mit Texten und bleibe minimalistisch. Daraus ergab sich dann meine Frage, ob der Text als KG funktioniert.


Zitat
Nichtsdestotrotz hier meine Meinung zum Text. Auch wenn sie dich dem Ziel, deinen Text in Scherben zu lassen, nicht wirklich näher bringen wird, hoffe ich, dass sie dich dennoch im Schreiben weiterbringt.
Jeder Text ist eine Erfahrung und es gibt was zu lernen - und sei es nur, es beim nächsten Mal nicht wieder so zu machen.

 :bewerf:

Hier komme ich mir fast absichtlich missverstanden vor. Dagegen spricht die Mühe, die du dir machst, mir deine Gedanken ausführlich mitzuteilen. *Große Ratlosigkeit meinerseits*
Ich habe eine Textsammlung namens Scherbenweltgeschichten, war das derart missverständlich?


Zitat
Ich frage mich allerdings, ob der Ich-Erzähler dich deinem Ziel näherbringt. Du schreibst selbst, dass du gar nicht zu sehr mit der Protagonistin mitfühlen wolltest ... Für einen Ich-Erzähler ist das allerdings durchaus vonnöten. Ich frage mich, ob ein auktorialer, klar wertender Erzähler, der sein Urteil harsch, vielleicht auch ironisch, über Figur und Welt fällt, wie du es im Text unterschwellig tust, indem du über deine Protagonistin erzählst, aber sie nicht von sich und ihrer Lebenswelt erzählen lässt.
Das erspart ihr zumindest den Maulkorb.

Ein auktorialer Erzähler scheint mir ungeeignet. Vor allem bei diesem Thema würde es mir zu aufdringlich wirken, zu belehrend.


Zitat
Ich habe sowohl mit VR als auch AR Devices gearbeitet und die Gefühle, die dabei entstehen, sind sehr unterschiedlich. VR erlaubt ein direkteres Eintauchen in die alternative Welt, AR ist eine nette, aber deutlich von der Welt der Tatsachen abgegrenzte Erweiterung, die einem stärker bewusst macht, wie aufgesetzt sie ist. In VR kann man nach Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten wie Übelkeit und Schwindel regelrecht versinken ... die direkte Immersion ist viel tiefer.

Ist mir durchaus bekannt.  :)

Im Rahmen der Geschichte wäre mir das zu viel Aufwand seitens der Protagonistin. Sie unternimmt keinen Aufwand Abhilfe zu schaffen, das ist ihr Problem. Sie sucht den leichtesten Weg Einsamkeit zu überwinden, stillt ein Verlangen nach Gesellschaft, ohne Gesellschaft zu finden.


Zitat
Eine komplette virtuelle Realität wäre wohl nicht in deinem Sinne, immerhin soll Lucy noch mit durch die Wohnung laufen, aber ich würde die Stoßrichtung vertiefen.

Konkret am Text:
Zitat
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will, schaue mich ratlos im Wohnzimmer um und frage mich, welcher Hund wohl am besten zu meinen Möbeln passt. Wahrscheinlich der Dalmatiner. Schlicht, weiß, ein paar Flecken. Fast wie der Wohnzimmerteppich: schlicht, weiß, ein paar Flecken. Eigentlich egal. Hund ist Hund, wollte ich immer schon haben, nur nicht so richtig. Also so richtig richtig.
Du steigst ein mit der Sehnsucht, dem Wunsch nach einem Hund, da assoziiere ich noch nichts virtuelles.

Da ist keine Sehnsucht nach einem Hund vorhanden, sonst ließe ich den nicht passend zu den Möbeln aussuchen.  ;D
Das ist mein erster Hinweis, kann überlesen werden, klar.
„Eigentlich egal“ soll auf eine Gleichgültigkeit hinweisen, die Teil ihres Problems ist sowie die Tatsache, das dieser Hundekauf keine große Sache (an sich und für sie) ist.


Zitat
Zitat
Es wird spät, viel später als beabsichtigt. Um 2:00 Uhr lege ich mich ins Bett, das Smartphone in der Hand. Lucy folgt mir, springt aufs Bett, rollt sich am Fußende zusammen. Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen.
Hier wird es wieder wirr. "Das Smartphone in der Hand" sagt erst mal nichts darüber aus, wie sie es in der Hand hält. Die bildliche Beschreibung von Lucy, die sich am Fußende zusammenrollt, um friedlich zu schlafen, ruft wieder das VR-Bild wach. Das Display stört diesen Eindruck, holt mich zurück, nur um wieder gebrochen zu werden, denn: Die Protagonistin sieht Lucy an (betrachtet sie nicht nur durch's Display, so lese ich diese Steigerung) und fühlt sie sogar. Hm. Also kein Smartphone mehr dazwischen? Hm, hm, hmmm.

Hier war es Aufgabe des nachfolgenden Satzes, Klarheit zu bringen:
Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen. Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.


Zitat
Zitat
Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.
Dieser Satz lässt mich übrigens stolpern und ich frage mich ernsthaft, ob du ihn so meinst wie er da steht. So wie er da steht, sagt er nämlich aus, dass ihre Zuneigung nichts weiter als eine Illusion ist. Das heißt, sie nimmt in diesem Augenblick ihr eigenes Gefühl entweder nicht ernst oder es ist tatsächlich nicht vorhanden und das heißt: Deine Protagonistin empfindet nichts für Lucy. Da stellt sich dann aber die Frage, warum sie Lucy bei sich behält.

Nun, Lucy erzeugt keinen Aufwand. Die kann man bei sich behalten oder abstellen wie einen Bildschirmschoner. Allerdings bezieht sich dieser Satz auf den vorangegangenen.


Zitat
Und das bringt mich auch auf den nächsten Kritikpunkt, der viel elementarer ist.

Was ist das Thema? Was möchtest du aussagen (grob)? Dass Technik unsere Vereinsamung vorantreibt? Dazu ist mir der Text auch noch nicht böse genug in der Darstellung der Auswirkungen. Gerade auf deine Protagonistin. Dadurch, dass du so fern von ihr bleibst, sie in ihren Problemen kaum wahrnimmst (sich nicht wahrnehmen lässt), prallt das ab. Du verschärfst ihren Leidensdruck zwar, so sehr, dass sie zuletzt in die nächste Falle flüchtet, die diese neue moderne Gesellschaft ihr stellt (indem sie sich einen Partner herunterlädt), weil ihr keine andere Wahl bleibt, aber tänzelst dabei auf der Oberfläche herum.
Dein Text könnte eine Zuspitzung aktuell längst vorhandener Auswüchse sein (VR-Pornospiele gibt's schon), indem er die ganze Schmerzlichkeit und Falschheit dessen aufzeigt, aber das tut er nicht.
Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen. Wir brauchen einander. Als Säugetiere sind wir auf Fürsorge und Nähe angewiesen, anders können wir nicht überleben! Soziale Kälte macht Menschen krank - und wie bitter ist es bitteschön, wenn dann dem gemobbten Teenager, der sich in sein Onlinespiel rettet, um wenigstens virtuell Freunde zu finden, am Ende nichts bleibt als ein Bot, mit dem er versuchen kann, seine natürlichen Bedürfnisse zu stillen?
Das spart dieser Text aus, indem er sich um das eigentliche Problem herumschleicht.
Schade.

Für deine Protagonistin bedeutet das, dass sie sich aus ihrer anfänglichen Einsamkeit mit Hilfe von Lucy herauszukämpfen versucht. Den Schmerz dahinter mag sie nicht wahrnehmen, das vergrößert ihr Leiden jedoch, sodass Lucy sie nicht lange zufrieden stellen kann. Doch selbst, als sie den Schritt hinaus in die echte Welt wagt, kann sie niemanden erreichen. Hier müsste aber zumindest ein Versuch stattfinden! Einer, der abprallt, sodass sie keine andere Wahl mehr hat, als die Illusion am Ende ganz zu akzeptieren und in ihr aufzugehen und einen vollkommen menschlichen Teil von sich aufzugeben.
Was für Zukunftsaussichten! Ja, so eine Welt würde mir Angst machen.

Du möchtest eine Protagonistin zum Mitfühlen und Mitleiden und die Auswüchse eines thematisierten Problems in seinem ganzen Grauen erleben.
Dies zu erreichen ist nicht leicht im Rahmen einer Kurzgeschichte, von denen sich die besten mir bekannten in den „The Hugo Award Winners“ Sammelbänden finden lassen. Das ist großes Kino mit großen Talenten und selbst hier ist es bei den Kürzestgeschichten oft schwer, mitzufühlen.

Vier Seiten Text bieten wenig Raum, um Figuren glaubwürdig und tiefsinnig vorzustellen. Ich könnte der Figur natürlich mehr Raum geben, statt nur anzudeuten, ... aber gerade im Andeuten und erzählen auf wenig Seiten wollte ich mich versuchen.

Danke für deine Zeit.


Liebe Grüße
Nightingale

Offline nus

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Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #12 am: 03 February 2018, 22:10:10 »
Hallo Nightingale!

Ich habe Deinen Text gelesen und zwei Tage darüber nachgedacht. Ich habe auch darüber nachgedacht, ob es überhaupt sinnvoll ist, ein Feedback dazu zu schreiben. Vielleicht ist es das nicht. Aber ich gebe Dir trotzdem eins. Und bitte Dich, auch zwei Tage darüber nachzudenken, bevor Du darauf antwortest.

Der Kernsatz Deines Textes steht m.E. gar nicht in dem eigentlichen Text, sondern hier:
Zitat
... seitdem ich seitens Pratchett auf keine neuen Einsichten zu Themen des gesellschaftlichen und politischen Lebens hoffen kann

Warum, das erkläre ich gleich. Zuerst direkt zu Deinen Fragen (Ich hoffe, Du hältst es aus, wenn ich unverblümt ehrlich bin. Wenn nicht, dann lies jetzt bitte nicht weiter.):

Zitat
Funktioniert der Text für euch, kann er für sich alleinstehen?
Nein, er funktioniert nicht. Nicht allein und auch nicht mit mehreren hundert Seiten drumrum.

Zitat
Funktioniert das Ende oder fühlt ihr euch überrumpelt?
Nein, das Ende funktioniert nicht. Aber nicht, weil ich mich überrumpelt fühle, sondern weil es vollkommen vorhersehrbar ist.

Zitat
Der Text umfasst in etwa vier Normseiten, hat er Längen? Wirkt die Erwähnung der beruflichen Tätigkeit der Ich-Erzählerin auf euch überflüssig? Ich hatte die rausgenommen und fand, das etwas fehlte.
Der Text ist eine einzige Länge. Und das wäre auch nicht dadurch heilbar, dass man die berufliche Tätigkeit rausnimmt.

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Blödere Frage: Stört die Perspektive? Normalerweise ziehe ich intelligentere und wortgewandtere Ich-Erzähler vor, aber hier schien mir das kontraproduktiv.
Die Perspektive und die Wortgewandtheit des Ich-Erzählers spielt in diesem Fall eine eher untergeordnete Rolle. Das Kernproblem ist ein ganz anderes.

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Die allerblödeste Frage: Ich gebe es zu, ich nutze kein Smartphone. Gut, das ist keine Frage, sondern ein soziales Verbrechen - trotzdem interessiert mich, ob die Erwähnung des Smartphones hier irgendwie irgendwo (irgendwann *sing*) blöd rüberkommt. [/i]
Ja, tut es. Und ich finde, wenn man keine Erfahrung mit einer Sache hat, dann sollte man recherchieren, um Authentizität herzustellen.

So, und jetzt zum eigentlichen Problem:

Der Text sagt nichts und hat auch sonst keine Funktion. Das liegt m.E. an der Herangehensweise.
Meiner Meinung nach besteht künstlerisches Schaffen darin, eine neue Facette zu einem Thema, einem Gefühl, einem Aspekt (...) hinzuzufügen oder aber dem Betrachter, Leser, Hörer, (...) eine neue Sicht auf ein Thema, ein Gefühl, einen Aspekt (...) zu vermitteln.
Hier geht es um die Vereinsamung in einer zunehmend technisierten Welt (nehme ich mal an).
Also beschreibe ich als Schriftsteller/bildender Künstler/... das Leben eines Vereinsamten in einer zunehmend technisierten Welt.
NEIN!!!
Diese Beschreibung - und genau das macht dieser Text - fügt dem Thema überhaupt nichts hinzu. Sie gibt dem Leser keine neue Perspektive. Sie unterhält nicht einmal. Nicht mal das!
Zugegeben: Das Thema gibt auch nicht (mehr) viel her. Es ist von allen Seiten der Wissenschaft, der Politik und auch der Kunst schon so durchgekaut worden, dass davon wenig mehr übrig bleibt als ein matschiger, grauer Brei. Ausführungen zu diesem Thema sind inzwischen in etwa so ermüdend, wie dem ständigen Gejammer der Banken über die Niedrigzinsphase zuzuhören. Da ist es schwer, noch etwas Neues zu finden.
Aber wenn ich mich eines solchen Themas annehme, dann - so finde ich - MUSS ich etwas Neues daran finden.
Ein Ansatz wäre: Viele flüchten in virtuelle Welten, weil sie glauben, dass dort alles besser ist als im RL. Aber das ist es nicht. Im Gegenteil. Virtuelle Welten sind ungleich grausamer als das RL.
Daraus könnte sich folgende Story entspinnen: Jemand kauft sich, da er einsam ist, einen Hund. Der Hund wächst ihm ans Herz. WÄRMT ihm das Herz. Aber der Hund wird krank. Der Protagonist versucht alles, um den Hund zu retten. Aber der Hund stirbt. Die Gefühle des Protagonisten müssten dabei nachvollziehbar sein, so weit, dass der Leser nahezu genauso empfindet. Mit dem Protagonisten mitfiebert, mit ihm hofft, verzweifelt und am Ende trauert. Und dann wird das Ganze aufgelöst: Der Hund war nur ein virtueller Hund, und er ist gestorben, weil der Prota das Abo nicht mehr zahlen konnte.
Oder diese Story (in Form einer Groteske): Jemand kauft sich, da er einsam ist, einen Hund. Aber nach einer Weile reicht ihm der nicht mehr. Er kauft sich einen zweiten, einen dritten. Die Hunde vermehren sich. Die Hundeflut nimmt immer mehr zu, beschäftigt den Protagonisten mit der Futterbeschaffung, mit der Beseitigung der Hinterlassenschaften ... Die Hunde - zunächst treue Herzenswärmer - werden immer autonomer, interessieren sich nur noch für Ihresgleichen. Irgendwann schlägt die Woge über dem Protagonisten zusammen. Er versucht die Hunde zu töten, was nicht funktioniert, vielmehr wenden sie sich jetzt gegen ihn. Die letzte Option ist, den Stecker zu ziehen, die AR-Brille herunterzureißen. Jetzt sieht er das RL: eine graue, öde Wohnung. Er ist jetzt wieder allein. Aber dieses Alleinsein fühlt sich jetzt anders an. Weil er dem Horror der virtuellen Herzenswärmer entkommen ist.

Das sind nur zwei Geschichten, die mir dazu spontan eingefallen sind. Ob sie gut oder schlecht sind, kann man natürlich erst sagen, wenn sie umgesetzt sind. Aber ich denke, es wird klar, was ich meine. Das Hinzufügen eines neuen Aspekts. Nicht nur das Widerkäuen der ewig gleichen Argumente. Und: Eine Geschichte braucht eine Geschichte. Etwas, das den Leser fesselt, ihn unterhält, vielleicht überrascht.

Radikale Grüße
von der nus
« Letzte Änderung: 11 February 2018, 17:37:05 von nus »

Lilith

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #13 am: 04 February 2018, 00:43:34 »
Hallo Nightingale,

meine Fragen an deinen Anspruch haben keinen persönlichen Hintergrund. Sie beziehen sich allein auf meine Verwirrung, die entstanden ist, weil ich den Text gelesen, mir dazu meine Gedanken gemacht und bevor ich etwas dazu gesagt habe, die anderen Röstungen und deine Antworten darauf gelesen habe. Das mache ich zuweilen, weil sie mein Verständnis des Kontexts erweitern, in dem der Text entstanden ist.
Meine Röstung ist dadurch unbeeinflusst. Mir hat die Geschichte beim ersten Lesen nicht gefallen und es ist für mich nicht besser geworden. Das wollte ich dir mitteilen, denn ich sehe das durchaus am Text begründet. Es waren lediglich diese Äußerungen, die mich verunsichert haben, ob diese Art von Kritik bei dir überhaupt erwünscht ist. Das heißt nicht, dass ich dir Kritikunwilligkeit unterstelle, im Gegenteil. Ich habe mich aber mehr und mehr gefragt, welche Art von Antwort du dir erhoffst. Das ist alles, darauf habe ich mich bezogen.
Du musst das nicht annehmen, das liegt in deinem Ermessen.

Aber wo sind sie dann angesiedelt, deine Ansprüche?

Meine Ansprüche an Geschichten unterscheiden sich wie meine Geschichten. Hier möchte ich einer Idee einen Raum geben. Nicht langweilen, vielleicht zum Nachdenken über ein Problem anregen. Das Thema ist emotionale Entfremdung von sich, von anderen. Der Text entspricht seinem Thema, alles bleibt kühl. Eine Betrachtung, ohne teilhabe.
Als Autor halte ich Distanz zur Figur, die Figur hält Distanz zu ihren Gefühlen und alle Statisten halten Distanz. Niemand sieht den anderen im Ganzen. Alles bleibt sich fremd.
Ja, so habe ich den Text verstanden. Die Frage nach dem Anspruch war eher eine nach dem schriftstellerischen Anspruch. Aus deiner Antwort auf meine Röstung lese ich zum Beispiel den Anspruch heraus, deine Idee auf maximal vier Normseiten an den Leser zu bringen. Das habe ich aus deinem Eingangstext und deinen Fragen so nicht herausgelesen. Aber damit kann man arbeiten.

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Wenn du den Text schon nicht ernst nimmst, nicht ernst nehmen willst, warum sollte ich das tun? Ich tue es natürlich, weil mich Textarbeit interessiert, aber, tja, ich verstehe nicht so recht, was die Autorin von mir will.
"Dafür, dass du es nicht allzu ernst gemeint hast, ist es noch ganz gut geworden"? :schwitz:
Dich beschäftigen die Themen doch, also warum sollten sie den Leser nicht beschäftigen?

Röstest du gerade meine Antwort auf eine Röstung?  :watchout:

Warum sollte ich den Text nicht ernst nehmen? Weil ich nicht tief in das Gefühlsleben der Figur eintauche? Gründe für diese Entscheidung findest du oben. Außerdem experimentiere ich gern mal mit Texten und bleibe minimalistisch. Daraus ergab sich dann meine Frage, ob der Text als KG funktioniert.
Nein, ich kommentiere etwas, das mich verwirrt hat. Das ist kein Angriff, es tut mir leid, wenn es als solcher bei dir angekommen sein sollte. Dass du deinen Text nicht ganz ernst nehmen willst, das lese ich aus solchen Äußerungen:
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Das Thema ist emotionale Entfremdung von sich, von anderen. Der Text entspricht seinem Thema, alles bleibt kühl. Eine Betrachtung, ohne teilhabe.
Als Autor halte ich Distanz zur Figur, die Figur hält Distanz zu ihren Gefühlen und alle Statisten halten Distanz. Niemand sieht den anderen im Ganzen. Alles bleibt sich fremd.
Daraus lese ich, dass du dich deiner Figur nicht nähern willst. Das ist legitim. Nun ist der Text aber aus der Ich-Perspektive geschrieben, die gibt von sich aus eine große Nähe zur Figur vor, ob du das so beabsichtigst oder nicht. Ich bin auch in diesem Text sehr dicht an deiner Protagonistin und ihren Gefühlen dran, aber vor allem an ihren für sie leicht ertragbaren Gefühlen, der Freude, der Aufregung über Lucy - an der Begeisterung. Den Schmerz über die Einsamkeit lässt sie nicht zu, den überspielt sie erst mit Lucys Hilfe, später indem sie sich einen virtuellen Freund herunterlädt. Im Text soll sie sich aber ab dem Moment an ihren Schmerz heranwagen, als sie hinaus in die Welt geht und den Kontakt zu echten Menschen und Hunden sucht. Nicht ihr Ding, stellt sie dabei fest, und nähert sich nicht dem eigentlichen Problem, sondern hüpft fröhlich und gelangweilt zum nächsten Punkt. Der Moment der möglichen Veränderung fehlt, weil sie ihr eigentliches Problem umschifft - damit fehlt ihr aber auch der Knackpunkt, warum sie ihre alte Strategie, sich lieber einen virtuellen Kameraden anzuschaffen, als es mit einer echten Beziehung zu versuchen, wieder wählt. Es fehlt sozusagen die Krise, die sie zu ihrer bewährten Bewältigungsstrategie greifen lässt. Damit schöpfst du das Thema nicht voll aus. Sie findet auch keinen Kontrapunkt, an dem sich ihre emotionale Entfremdung ganz entfalten kann. Denn sie ist nicht zur Gänze entfremdet, sie ist emotional durchaus noch beteiligt, nur blendet sie dabei bestimmte (schmerzhafte) Anteile aus. Sie nimmt sich damit selbst nicht ernst. Sie übertüncht das lieber mit einer aufgesetzten Fröhlichkeit.
Vollständige emotionale Entfremdung entsteht in der Regel, wenn es ein Zuviel an Schmerz gibt, das unaushaltbar wird. Dann distanziert man sich von den eigenen Gefühlen, um sich selbst zu schützen.
Wenn du schreibst, dass du als Autorin (also nicht etwa als Erzählerin) Distanz zu deiner Figur hältst, liest sich das für mich so, als würdest du dich diesem schmerzhaften Punkt auch nicht nähern wollen. Das ist deine Entscheidung und ich vermute dahinter nichts weiter, das fände ich übergriffig und unangemessen.
Du wolltest eine Idee aufgreifen und unterhaltsam erzählen. Ich bin mir als Leserin nicht sicher, was dieses Thema sein soll. Die emotionale Entfremdung sehe ich, wie gesagt, nicht so stark in diesem Text wie du. Sie berührt mich deshalb nicht, weil ich sie nicht für ganz voll nehme, so wie sie mir hier präsentiert wird.
Dich beschäftigt dieses Thema - ich würde mir wünschen, dass sich von dieser Beschäftigung etwas im Text wiederfinden lässt, damit ich daran teilhaben kann. Das tue ich nicht. Noch.

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Ich habe sowohl mit VR als auch AR Devices gearbeitet und die Gefühle, die dabei entstehen, sind sehr unterschiedlich. VR erlaubt ein direkteres Eintauchen in die alternative Welt, AR ist eine nette, aber deutlich von der Welt der Tatsachen abgegrenzte Erweiterung, die einem stärker bewusst macht, wie aufgesetzt sie ist. In VR kann man nach Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten wie Übelkeit und Schwindel regelrecht versinken ... die direkte Immersion ist viel tiefer.

Ist mir durchaus bekannt.  :)
Ich wollte dir auch keine Unwissenheit unterstellen.
Mein Argument ist schlicht, dass ich (!) etwas mehr als übers Smartphone erzeugte AR als wirkungsvoller empfände aus genannten Gründen. Ich habe dir meine Erfahrung geschildert, weil du selbst schriebst, dass du kein Smartphone hast.

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Im Rahmen der Geschichte wäre mir das zu viel Aufwand seitens der Protagonistin. Sie unternimmt keinen Aufwand Abhilfe zu schaffen, das ist ihr Problem. Sie sucht den leichtesten Weg Einsamkeit zu überwinden, stillt ein Verlangen nach Gesellschaft, ohne Gesellschaft zu finden.
Ja, das ist eine Form von Verzweiflung.
Dein Text spielt in einer leicht alternativen Welt in einer nicht weit entfernten Zukunft (wenn ich ihn nicht völlig missverstanden habe), von der ich erwarte, dass diese Möglichkeiten leicht greifbar sind. Diese Brillen sind ja heute schon in der Entwicklung (Stichwort HoloLens), insofern fände ich es nicht ungewöhnlich, wenn deine Protagonistin eine besitzt.
Es ist natürlich deine Entscheidung, ob du ein Handy im Text drin haben willst, um vielleicht mehr Nähe zum Leser zu erzeugen, oder etwas anderes wählst. Das ist eine weitere Möglichkeit, die ich gesehen habe, weil mich dein Text beim ersten Lesen stark verwirrt hat.

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Eine komplette virtuelle Realität wäre wohl nicht in deinem Sinne, immerhin soll Lucy noch mit durch die Wohnung laufen, aber ich würde die Stoßrichtung vertiefen.

Konkret am Text:
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Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will, schaue mich ratlos im Wohnzimmer um und frage mich, welcher Hund wohl am besten zu meinen Möbeln passt. Wahrscheinlich der Dalmatiner. Schlicht, weiß, ein paar Flecken. Fast wie der Wohnzimmerteppich: schlicht, weiß, ein paar Flecken. Eigentlich egal. Hund ist Hund, wollte ich immer schon haben, nur nicht so richtig. Also so richtig richtig.
Du steigst ein mit der Sehnsucht, dem Wunsch nach einem Hund, da assoziiere ich noch nichts virtuelles.

Da ist keine Sehnsucht nach einem Hund vorhanden, sonst ließe ich den nicht passend zu den Möbeln aussuchen.  ;D
Das ist mein erster Hinweis, kann überlesen werden, klar.
„Eigentlich egal“ soll auf eine Gleichgültigkeit hinweisen, die Teil ihres Problems ist sowie die Tatsache, das dieser Hundekauf keine große Sache (an sich und für sie) ist.
Die erste Worte sind: "Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt einen Schäferhund, Dackel oder Dalmatiner will", daraus lese ich eine Sehnsucht nach einem Hund, kombiniert mit einer Entscheidungsmöglichkeit. Der Nachsatz, dass sie überlegt, ob er zu ihren Möbeln passt, ist interpretierbar, aber auch da packe ich persönlich nicht direkt die Desinteresse-Keule aus, sondern ordne deine Protagonistin als jemandem ein, dem solche Oberflächlichkeiten wichtig sind, wie einer Frau, die sich einen Chihuahua danach aussucht, ob er zu ihrer Handtasche passt. Der unterstelle ich auch nicht sofort, dass sie sich nicht für ihren Hund interessiert.
Das ist meine Lesart, die sich dadurch verstärkt, dass sie ein "eigentlich egal" nachsetzt, denn damit relativiert sie ihre oberflächliche Überlegung von vorher. Hund ist schließlich Hund und sie wünscht sich einen Hund.
(Und eigentlich wünscht sie sich Gesellschaft.)

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Es wird spät, viel später als beabsichtigt. Um 2:00 Uhr lege ich mich ins Bett, das Smartphone in der Hand. Lucy folgt mir, springt aufs Bett, rollt sich am Fußende zusammen. Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen.
Hier wird es wieder wirr. "Das Smartphone in der Hand" sagt erst mal nichts darüber aus, wie sie es in der Hand hält. Die bildliche Beschreibung von Lucy, die sich am Fußende zusammenrollt, um friedlich zu schlafen, ruft wieder das VR-Bild wach. Das Display stört diesen Eindruck, holt mich zurück, nur um wieder gebrochen zu werden, denn: Die Protagonistin sieht Lucy an (betrachtet sie nicht nur durch's Display, so lese ich diese Steigerung) und fühlt sie sogar. Hm. Also kein Smartphone mehr dazwischen? Hm, hm, hmmm.

Hier war es Aufgabe des nachfolgenden Satzes, Klarheit zu bringen:
Ich lächel und betrachte sie durchs Display, sehe sie an und kann sie fühlen. Sie ist so wirklich wie meine Zuneigung.
Das ist mir bewusst, nur hat mir dieser Satz beim ersten Lesen weniger Klarheit als Verwirrung gebracht. Ich habe das am Text erläutert, um dir aufzuzeigen, wie diese Verwechslung in meinem Kopf zustande gekommen ist.

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Und das bringt mich auch auf den nächsten Kritikpunkt, der viel elementarer ist.

Was ist das Thema? Was möchtest du aussagen (grob)? Dass Technik unsere Vereinsamung vorantreibt? Dazu ist mir der Text auch noch nicht böse genug in der Darstellung der Auswirkungen. Gerade auf deine Protagonistin. Dadurch, dass du so fern von ihr bleibst, sie in ihren Problemen kaum wahrnimmst (sich nicht wahrnehmen lässt), prallt das ab. Du verschärfst ihren Leidensdruck zwar, so sehr, dass sie zuletzt in die nächste Falle flüchtet, die diese neue moderne Gesellschaft ihr stellt (indem sie sich einen Partner herunterlädt), weil ihr keine andere Wahl bleibt, aber tänzelst dabei auf der Oberfläche herum.
Dein Text könnte eine Zuspitzung aktuell längst vorhandener Auswüchse sein (VR-Pornospiele gibt's schon), indem er die ganze Schmerzlichkeit und Falschheit dessen aufzeigt, aber das tut er nicht.
Wir Menschen sind nun mal soziale Wesen. Wir brauchen einander. Als Säugetiere sind wir auf Fürsorge und Nähe angewiesen, anders können wir nicht überleben! Soziale Kälte macht Menschen krank - und wie bitter ist es bitteschön, wenn dann dem gemobbten Teenager, der sich in sein Onlinespiel rettet, um wenigstens virtuell Freunde zu finden, am Ende nichts bleibt als ein Bot, mit dem er versuchen kann, seine natürlichen Bedürfnisse zu stillen?
Das spart dieser Text aus, indem er sich um das eigentliche Problem herumschleicht.
Schade.

Für deine Protagonistin bedeutet das, dass sie sich aus ihrer anfänglichen Einsamkeit mit Hilfe von Lucy herauszukämpfen versucht. Den Schmerz dahinter mag sie nicht wahrnehmen, das vergrößert ihr Leiden jedoch, sodass Lucy sie nicht lange zufrieden stellen kann. Doch selbst, als sie den Schritt hinaus in die echte Welt wagt, kann sie niemanden erreichen. Hier müsste aber zumindest ein Versuch stattfinden! Einer, der abprallt, sodass sie keine andere Wahl mehr hat, als die Illusion am Ende ganz zu akzeptieren und in ihr aufzugehen und einen vollkommen menschlichen Teil von sich aufzugeben.
Was für Zukunftsaussichten! Ja, so eine Welt würde mir Angst machen.

Du möchtest eine Protagonistin zum Mitfühlen und Mitleiden und die Auswüchse eines thematisierten Problems in seinem ganzen Grauen erleben.

Nein, in erster Linie möchte ich überhaupt irgendein Thema erleben. Darum habe ich gefragt, was dein Thema ist und auch die Vereinsamung durch Technik als Beispiel mit einem Fragezeichen versehen. Ich finde das Thema nicht stark und auch nicht interessant genug im Text verankert. Das ist meine Meinung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Mit der Protagonistin mitzufühlen, ist für mich kein Muss. Aber ein Thema sollte erkennbar sein und es sollte eine Relevanz erzeugen, sonst löst es in mir auch nichts aus. Dann bleibt der Text für mich hohl, ich zucke die Schultern und klicke (oder blättre) weiter.
Dein Text hat für mich kein nennenswertes Thema, das stark genug wäre, um diese Relevanz zu erzeugen. Es wird für mich nicht sichtbar. Was ich oben ausgeführt habe, ist nur eine Möglichkeit, wie man es machen könnte. Du hast deinen Text aus einem bestimmten Grund geschrieben, das Thema hat dich beschäftigt. Welches genau? Und warum? Wenn du dich damit auseinandersetzt und vielleicht auch mit den Gefühlen, die es in dir auslöst, dann dürftest du dem Kern deines eigenen Texts näher kommen und es dir leichter machen, dieses Ziel zu erreichen:
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Dies zu erreichen ist nicht leicht im Rahmen einer Kurzgeschichte, von denen sich die besten mir bekannten in den „The Hugo Award Winners“ Sammelbänden finden lassen. Das ist großes Kino mit großen Talenten und selbst hier ist es bei den Kürzestgeschichten oft schwer, mitzufühlen.

Vier Seiten Text bieten wenig Raum, um Figuren glaubwürdig und tiefsinnig vorzustellen. Ich könnte der Figur natürlich mehr Raum geben, statt nur anzudeuten, ... aber gerade im Andeuten und erzählen auf wenig Seiten wollte ich mich versuchen.
Ich bin mir nicht sicher, was du mir hier sagen möchtest. Ja, es ist schwer, auf wenig Raum eine große Wirkung zu erzeugen. Ich verlange von dir auch nicht, dass du deinen Text aufs Doppelte auswalzt, der darf so kurz sein wie er will. Woher du die Beschränkung auf vier Seiten nimmst, verstehe ich nicht ganz, akzeptiere es jedoch als selbst gesetzte Vorgabe.
Die Kunst dabei ist, wie Mark Twain schon so schön sagte: "Schreiben ist einfach, man muss nur die falschen Wörter weglassen."

Liebe Grüße,
Lilith

Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #14 am: 04 March 2018, 14:25:53 »
Liebe nus,

vielen Dank für deine Ausführungen, für deine schonungslose Ehrlichkeit. Wie du siehst, habe ich mir weit mehr Zeit als zwei Tage genommen, ehe ich antworte.

Du stellst die Sinnfrage, gnadenlos und das zu Recht. Wozu dieser Text, welchen Gewinn beinhaltet er für den Leser? Neue Erkenntnisse? Nein. Weckt er Emotionen? Nein. Wirft er ein neues Licht auf Altbekanntes? Auch nicht. Also wozu? Wozu schreiben, wozu lesen?

Der Text entstand aus einer Laune, getragen vom Wunsch nach einer langen Schreibpause mehr als Fragmente zu fabrizieren und etwas anzufangen, das seinen nahen Abschluss findet. Da steckt keine Leidenschaft dahinter, kein Herzblut, bestenfalls ist es eine Schreibübung und zu meinen Bedauern keine gelungene.
Ein Erklärungsversuch: Die Ideen für Kurzgeschichten oder brachliegende Romanversuche auf meiner Festplatte, die mir auf die eine oder andere Weise etwas bedeuten, schrecken mich. Sobald ich die Dateien öffne, stehen mir alle Worte im Weg, meine Gedanken sind flüchtig, Staub im Wind, und zerplatzen wie Seifenblasen, sobald ich sie zu fassen versuche. Dieser Text ist ein erster Gehversuch, ein Schritt nach dem anderen, Wort für Wort, in der Hoffnung schreiberisch wieder auf die Beine zu kommen, die innere Stimme wiederzufinden und nicht gleich wieder im Angesicht des inneren Kritikers zu erstarren.
Gutes Schreiben erfordert Mut. Das mutigste an diesem Text ist zweifellos, dass ich diesen im Federfeuer einstellte.

Ich fühle mich unsicher, unkonzentriert und chronisch übermüdet. Mit diesen drei Teufeln im Gepäck bleibt mir nur zu hoffen, irgendwann wieder etwas Lesenswertes zu fabrizieren. Vielleicht wird es Monate dauern, vielleicht Jahre, womöglich ein Hirngespinst, dem ich dann nachjagen kann wie einer Fata Morgana in der Wüste Ignoranz.
Aber ich möchte es wagen, die Teufel abschütteln und mich einmal wieder auf dieser traumgleichen Ebene bewegen, in denen Gedanken eine Welt formen und Figuren lauschen, die mich überraschen, während sie mir die Worte sagen, die ich ihnen unbewusst in den Mund lege. Um dahin zu kommen, helfen ehrliche Eindrücke, auch wenn es hart ist, ernüchternd, ich danke dir.


Einsichtige Grüße
Nightingale


Nightingale

  • Gast
Re: Der beste Freund des Menschen
« Antwort #15 am: 04 March 2018, 17:16:22 »
Liebe Lilith,

du gibst dir alle Mühe, diesem hinkenden Text mehr Leben einzuhauchen und ich fühle mich geehrt oder vielmehr: Es ehrt dich. Ich schätze deine Unerbittlichkeit, die vielen Fragen, um Punkte aus mir herauszukitzeln, an denen du Ansätzen kannst für eine konkrete Hilfestellung.
Bloß fürchte ich, dem Text in dieser Form ist nicht zu helfen, ich kann ihm nicht weiter helfen, sondern werde ihn eingraben, vielleicht irgendwann wieder ausgraben und mit frischem Blick abwägen, ob eine Widerauferstehung lohnt oder bloß ein Zombie zu erwarten ist, der mich dann mehr plagt als sein Vorgänger.
Das Thema einer Vereinsamung durch Technik beschäftigt mich durchaus, aber nicht so intensiv wie du in deiner letzten Antwort vermutest und auch weniger auf der Ebene, die der Text bereitstellt. Andere Aspekte dieser Technik wie Datenschutz und Datensicherheit interessieren mich mehr bzw. da kenne ich mich besser aus, aber hier wiederum will mir nichts Gescheites einfallen, um das lesenswert zu präsentieren.

Glaub bitte nicht, dass dein Nachbohren vergebens war. Ich las deine Worte, dachte darüber nach, das hilft immer. Ein Missverständnis will ich noch ausräumen: Der Text sollte kurz sein, eine Beschränkung auf vier Seiten gab ich nicht, allerdings auf wenige, so kurz wie möglich sozusagen.

Danke für deine Antwort.

Liebe Grüße
Nightingale