Hoi Lilith

Beim ersten Lesen habe ich mich nur durchtragen lassen von der (unaufdringlichen) Sprache, den Eindrücken, habe nicht innegehalten oder kaum und den Text einfach nur wirken lassen

... und kam mir nicht fähig vor, ihn überhaupt zu rösten.
Hier also Leseeindrücke nach dem ichweißnichtwievielten Lesen. Dabei sind immer noch so viel mehr Zusammenhänge aufgetaucht, mehr Details ins Auge gefallen und mehr zwischen den Zeilen vor meine Füße.
Vielleicht ist es das Leben: an den Menschen vorüberzugehen,
Eine Betrachtung, aber ich sehe sie als die eines Erzählers, einen Gedanken, aus dem sich auch gleich eine Szenerie ergibt, ein Bild.
Ansonsten eine etwas traurige Grundstimmung, die sich steigern wird und eine gewisse Einsamkeit vermittelt, ganz leicht.
ohne Bezug, das Kind auf der Schaukel sehen, weiter hinten die Eltern auf einer Bank,
Familie ... eine fremde Familie, stellvertretend? Sie fängt so explizit den Blick, kein Zufall; zumindest nicht, dass sie den Gedanken einfängt.
froh, endlich etwas Zeit für sich gefunden zu haben.
Eine Mutmaßung, aber eine, die diese anderen, fremden Menschen aneinanderschweißt und die Erzählerin (ich höre eine Frau) ausschließt.
Zu der Rechten ein Mann – neben ihm eine Babypuppe.
Das Bild bewirkt, auch, weil es durch den Gedankenstrich abgesetzt ist und ohnehin schon "zusammenhangloser" als die Familie (und durch ein fehlendes zweites Kind), einen gewissen Grusel. Ich war versucht, "leichten Grusel" zu schreiben, aber leicht ist der nicht mehr, die Mutmaßung da, dass hier jemand an etwas ganz Bestimmtes denkt. (Das sich später bestätigt.)
Auf ihrem Kopf verläuft ein roter Streifen, als habe ihr jemand den Schädel eingeschlagen.
Und das Gefühl wird verstärkt. Den Schädel eingeschlagen, das Kind "getötet".
Zusammenhangslos, die Bilder, sie stürzen ein.
Und das, was gedacht wurde, löst etwas aus, reißt die Erzählerin aus der Szenerie und die in Stücke.
Am Ende bleibt nicht viel: zwei Frauen, zwei Männer, das Kind; die Puppe.
Festhalten an dem, was da ist, bezugslos, emotionslos, Fakten.
Da hört das Ohr nur der Stimme zu, die in ihm singt: I can hear you, und wie Atem hindurchzieht, going through my head.
Und noch etwas, diesmal näher an sich selbst, zumindest im Versuch ...
das Ohr, wie Atem, das lese ich hier nicht einmal als pars pro toto.
Wie Atem hindurchzieht, wie etwas, das am Leben hält, vegetativ, automatisch, nur für den Augenblick bewusst registriert.
Hinter den Rücken spricht es sich leichter.
Über die anderen (I can hear you [thinking]) und die anderen hinter dem eigenen, das vielleicht noch präsenter, auch durch den zweiten Teil der Liedzeile; gelesen, bevor ich das Lied angehört habe.
Weiter führt nur der Weg. Vorwärts, vorwärts und selbst im Innehalten noch die Eindrücke sammeln. Der Kies unter den Sohlen, der knirscht, das Gras auf der Wiese, grün und frisch, die Sonne über dem Kopf,
Weg, weg, und Eindrücke sammeln, sich an ihnen entlanghangeln, bevor der Halt entgleitet. Achtsamkeit?
die wärmt und die Frage weckt: Hätte man sich nicht lieber leichter angezogen? Es besser machen, das können sie immer.
Eine Empfindung, eine persönliche, eine Frage dazu ... die aber schon wieder unpersönlicher wird und gleich in eine bittere Bemerkung über die anderen mündet und aus der Frage einen Vorwurf macht.
Die anderen, hinter denen das Ich zurückbleibt, die ein Loch in es reißen, sobald sie zurückbleiben.
Keine Zugehörigkeit, und Schmerz daraus, jedes Mal. Und ich muss auch an die Familie denken, die doch nichts mit der Erzählerin zu tun hat, außer vielleicht, sie an die eigene zu erinnern.
Hinter den Blicken bricht es sich leichter.
Allein, ungesehen, nachdem ein Loch ins Ich gerissen wurde.
Ein Gespräch, darin ein Gedanke, und die Gefühle zerstreuen sich in alle Richtungen.
Der Satz ist einfach zu gut.

Nur einem folgen, dann einem anderen, von hier nach dort rennen,
Orientierungslos, haltlos, getrieben, keins der Gefühle greifen können ...
stehen bleiben, umsehen, wo geht es weiter?
... und ein Versuch, die Orientierung wieder zu erlangen, irgendeinen Bezug. (Ich finde es interessant, dass mir der Gedanke "Bezugslosigkeit" wörtlich nie durch den Kopf spukte, aber sofort passte, als ich ihn las.)
"Stehen bleiben" lese ich nicht wie innehalten, nur wie ein schwindelerregendes Herumdrehen auf der Suche.
Dann geht der Weg sich von allein.
Hier strauchle ich zwischen zwei Gedanken: Wann geht der Weg sich von allein - wenn ein Gefühl erhascht wurde, eines, dem man folgen kann, oder umsehen, wo geht es weiter, und dem erstbesten Anhaltspunkt folgen, irgendetwas, etwa ... einem Vogel?
Dann singt ein Vogel in den Bäumen und man könnte meinen, da freut sich einer des Lebens und läuft nicht nur die Folgen ab, die es nach sich zieht.
Selbstbestimmt, nicht nur sich entlanghangelnd an irgendetwas Greifbarem. Und dieser Versuch, nach etwas zu greifen, gleitet sofort ab in bittere Gedanken ...
Dann bleibt da nur ein Kind, Junge oder Mädchen, einerlei, und ein Elternpaar oder auch nicht, die sich alle mehr erhofften, als sie am Ende bekamen, und wo doch nichts so war wie sie es wollten und einen Schmerz hinterließ, den Junge und Mädchen in den Jahren später zu heilen versuchen.
... und weiter in persönlichere, die gar nicht aus dieser Familie am Spielplatz heraus entstanden sind (sie hat nie genau hingesehen, weiß nicht, ob das Kind Junge oder Mädchen ist, aber es wäre sowieso einerlei) und das Eingeständnis: ein Elternpaar oder auch nicht, sie könnten auch keines sein, was weiß sie schon über die zwei? Aber die Erinnerung ist da, an eigene schmerzhafte Vergangenheit. Vielleicht betrachtet sie's auch allgemein, aber ich lese es als etwas persönliches.
Ein Schmerz darf nie ein Schmerz sein.
Deshalb.
Freuen müsst ihr euch und singen wie die Vögel!
Ja, nur nie zeigen, wenn es einem schlecht geht, das will niemand sehen, Verbitterung mit einem Bild, das unmöglich ist, zumindest für sie.
Und ein Schmerz tut auch weh, sie will ihn nicht fühlen, oder will vielleicht, dass andere diesen Schmerz und (damit) auch sie wahrnehmen, kein Loch ins Ich reißen. Der Schmerz ist da, nur annehmen kann sie ihn nicht.
Wie all die anderen Menschen, die mit lächelndem Mund eine Straße passieren oder eine Bank heimsuchen und den Eindruck erwecken, es kümmere sie nicht, und bei ihnen, ja, da liefe alles besser.
Und nicht mehr nur die Vögel, Unmöglichkeit, jetzt anderen zugeschrieben, die sich auch nichts anmerken lassen. Aber sie weiß es nicht, auch das steckt hierin: Es
kümmere sie nicht, da
liefe alles besser.
Wenn hinter Grashalmen ein Glashals voller Zacken blitzt und die Hand sich zielsicher darum schließt, dann greift die Verlorenheit um sich, als wäre das Glück nicht mal in Momenten zu Hause.
Eine zerbrochene Flasche. Zufall. Die ist da, und in ihrer Verbitterung, im Schmerz, der sich Bahn brechen will, greift sie zu. Annehmen kann sie ihn nicht, aber sie kann etwas ergreifen, das ihr ermöglicht, Schmerz zuzufügen.
Ein Gedanke - will sie sich selbst verletzen?
Sie ist vollkommen haltlos, hat auch die Momente von vorhin nicht mehr, um sich daran zu klammern, den knirschenden Kies, das weiche Gras, den singenden Vogel. Beim mehrfachen Lesen denke ich auch: sie hört das Lied nicht mehr.
Sich in die Verlorenheit fallen zu lassen, das hieße ja, den Weg nicht mehr zu finden.
Nein, sie verletzt sich nicht ...
Hieran habe ich länger herumgedacht: Sich in die Verlorenheit fallen lassen, alles loslassen, nicht mehr kämpfen? Sich fallen lassen, weg von dem, was sie nicht aushalten kann. Aber eben auch nirgendwo hin finden.
Die Pfade der anderen nur zu kreuzen, weil dahinter die Erkenntnis weilt, dass sie alle auf der Suche sind – Mann, Frau, Kind;
Das Bild von der glücklichen Familie vollends dekonstruiert, und auch von den lächelnden Menschen. Alle auf der Suche, alle fern von dem, was sie sich irgendwo, irgendwann zu finden erhofft. Und umso unerreichbarer scheint es.
Mann. Die Puppe,
Getrennt von den anderen, wieder eine Wahrnehmung. Und die Puppe, immer deutlicher.
auf deren lichtem Kopf die Sonne scheint, die weint, dass es nicht immer eine Heilung gibt, dass manches verloren geht und das für immer
Unschuld. Im Sinne von kindlicher, vor allem, der, die auch der Vogel singt, oder singen würde, würde er nicht nur die Folgen des Lebens ablaufen.
– die schnellen Wechsel, heute hier, morgen dort, der Geist bleibt in Bewegung und wenn er sich mit Neuem gefüttert hat, dann ist er bereit, das schnell zu verwerten und zu verwerfen und nur ein Minimum zu behalten, die schnellen Wechsel sollten ablenken können von dieser Angst, dass am Ende alles verloren geht. Gewöhn dich dran!
Es ist jetzt so, anders geht es nicht weiter, kein Anhalten und zur Ruhe finden, keine Entschleunigung und Zeit für sich finden (wollen?), nur äußere Eindrücke, Getriebenheit ... nein, eher schon weggeschwemmt mit der Flut, zu viel, zu viel!
Du Gierschlund kriegst den Hals nicht voll,
Erster Gedanke: Wovon? Eindrücken, alles mitnehmen, festhalten wollen, alles verlangen, was versagt blieb und bleibt?
Zweiter: Wer? Sie, oder ... richtet sie das an ihren Täter und meint etwas anderes als das zuerst gelesene?
bist leer wie die Flasche unter deinen Fingern
An sich, eindeutig; und sie hat nichts davon, die Flasche ist in Scherben, lässt sich nicht füllen.
und scharf wie die Spitzen,
Gefährlich, hier kann ich nur noch an eine Waffe denken, und zwar weniger die Flasche als sie selbst.
die am anderen Ende niederrasen auf einen Schädel, den viel zu lange niemand eingeschlagen hat.
Und sie richtet all ihren Schmerz gegen denjenigen, der ihn ihr zugefügt hat. Oder vermutlich eher einen ganz anderen, der nur das Pech hat, da zu sein und sie an denjenigen zu erinnern.
Ein Loch reißen in einen Mann, der sich auf einer Bank mit einer Puppe vergnügte,
Ihren Täter, in diesem Moment ist dieser Mann an seiner Stelle ... und Hölle, die Mehrdeutigkeiten!
bis Frau und Mann und Kind aufschrecken,
Bis die Familie etwas merkt ... Ihre Familie, die nie etwas von ihrem Schmerz merkte und darum nie versuchte, sie zu heilen.
Vogelgesang sich mischt mit Stimmen voll irren Geschreis von nirgendwo und überall her.
... und die (falsche?) Unschuld, die Ignoranz, die Fassade, die ihr noch mehr Halt entzogen hat, weil sie zu niemandem Zugang finden konnte und niemand zu ihr, zerbricht. Wessen Geschrei, ganz egal, das der Zeugen, des Mannes, das eigene, Hauptsache laut, hörbar, für alle!
In weichen Ritzen glänzt das Blut nicht anders als unter Flaschenglas.
Die Verletzung, die ihr zugefügt wurde, hat sie nun zurückgegeben ... oder eher weiter.
Im Keuchen wird der Atem eins mit einem Lied, das am Ohr verklingt: So that was that.
Erschöpfung, und eine zweite Reminiszenz an etwas Grausiges, Vergangenes: Keuchen und ein Lied, das verklingt (nebenbei noch ein Gedanke an Vogelgesang und Unschuld) ... Und das war's.
Gleichzeitig zurückfinden in die Welt, wieder etwas Gegenwärtiges wahrnehmen; oder auch endgültige Vermischung von Vergangenheit und diesem Augenblick.
Das Innehalten findet nur am Ende statt. Vielleicht ist es das Leben, wenn man das Ziel nicht erreichen kann, bevor es abbricht.
Sie kann nicht innehalten, nicht zur Ruhe kommen und zu sich finden ... und so auch ihr Ziel nicht erreichen, nur ihr Leben leben, bis -
Und was nun geschieht, bleibt offen.
Ich habe beim Lesen übrigens nie bezweifelt, dass die Tat auch stattfindet, und kam erst später durch Ulis Rösti drauf, dass dem vielleicht gar nicht so ist.
Die Fragen kann ich nicht direkt beantworten und hoffe, dass das alles hier schon drinsteckt.

Danke fürs lesen lassen!

*Blümelein nompf*
Alles Liebe!

Ril