Hoi eska

Ich versuch's mal von einem anderen Standpunkt aus als meine Vorredner.
Grundlegender Eindruck: Verwirrt. Zu viel durcheinander, zu vieles gleich oder unklar gewichtet, es entsteht inhaltliches Konfetti.
Zwar will ich deinem Protagonisten (ich dachte nicht drüber nach und neige im Nachhinein mehr zu einem männlichen Erzähler) nicht absprechen, dass es in seiner Wahrnehmung so wirr daher geht, aber der Brückenschlag zu deinen Lesern hält das am Anfang einer Geschichte nur schwer aus.
Was muss dieser Text leisten?
- Situation
- Figur
- Konflikt
Der Konflikt ist da, aber zu schwach, das Meiste geht an die Kulisse.
Was kann die Kulisse leisten?
Anhaltspunkte liefern, für die Figur und deren Konflikt. Gestern habe ich in einem Buch über Tauchmedizin den dringenden Rat gelesen, bei Taubheit auf einem Ohr das andere nicht auch aufs Spiel zu setzen und den Sport besser aufzugeben, oder einfach mal auszuprobieren, einer Fernsehsendung ohne Ton zu folgen und zu merken, wie sehr Menschen auf ihr Gehör angewiesen sind.
Blöderweise steckt der Anfang voller Bilder, die selbstverständlich da sind, aber keinen Rückschluss auf die Behinderung zulassen. Die ist aber die Grundlage des Konflikts: ohne Gehörschaden kein Problem, kein ständiger Ärger, kein verbissenes Festhalten an diesem Problem (ich widerspreche hier mal: es ist
nicht verarbeitet, oder nur teils), Lösungssuche über Rache.
Hier ein Detail, das Normalität suggeriert, obwohl es beim Lesen nicht auffällt:
Schreien tun die Kids wie alle anderen auch,
Aber wie hört dein Protagonist sie? Das geht unter. Explizit genannte Geräusche bringen unweigerlich den Gehörschaden und damit auch schnell Bitterkeit und / oder Rachegedanken hoch.
War ich zu leise?
Ist okay, geht aber wiederum auf die eigene Stimme ein und nicht auf Geräusche von außen. Die eigene Lautstärke ist zwar ein Problem, aber es kann auch ganz banale Schüchternheit und Unsicherheit sein. Klar ist es Letztere; aber nimm dir die Zeit, sie zu konkretisieren und mit mehr Gefühlen zu verbinden. Das ist ein Moment, in dem die gefühlte Unzulänglichkeit übers Hören hinaus klar wird, die Verständigung ist auch eingeschränkt.
Das da muss präsenter werden, früher, erlebter, nicht am Stück. Die am Tor, die gestikultieren, könnten früher auftauchen, das Lachen, die Blicke, vielleicht von der Küchenhilfe.
Wie das ist, wenn du nichts mehr mitkriegst, ob sie mit dir reden oder über dich, kein Lachen ohne Argwohn, kein Blick ohne Mitleid, sobald du den Mund aufmachst; irgendwas ist immer falsch, nie mehr Sicherheit. Die da, die Größeren am Tor, meinen die mich mit ihrem Gestikulieren? Ignorieren, einfach ignorieren.
Die Situation bzw die Kulisse dient ja nur dem Auftritt der Figur - von der sie dank der Wahrnehmung recht viel zeigt, aber eben wirr - und des Konflikts, und all das ist im Moment durcheinander, der Konflikt hier klar mitten rein geworfen, aber nicht eingewoben.
Noch ein paar Erbsen:
Vorsichtig, ganz vorsichtig.
Womit?
Frühestens bei den losrennenden Kindern ist klar, dass hier jemand im Auto sitzt.
Weiß man ja.
Das klingt hier einfach nur floskelhaft.

Platanen sind das doch, mit diesen hellen Flecken am Stamm.
Der kursive Teil lenkt den Fokus auf die Frage, ob das Platanen sind. Die ist nicht wichtig, also können es auch einfach welche sein, wenn dein Protagonist es weiß, und es ist ein nettes Detail für den Eindruck der Szenerie: "Platanen, mit diesen hellen Flecken am Stamm".
Da, mein Parkplatz.
Verschenktes Potential: einparken ohne Gehör, auf die Ruckelei des Autos achten, wenn die Reifen am Bordstein anstoßen, hinter sich vorbeifahrende Autos beim Zurücksetzen nicht hören, etc.
Der Weg ist nicht weit, nicht mal mit den großen Kisten. Styropor ist ja nicht schwer. Nur die Eimer zerren einem die Arme lang, schon auf den paar Metern.
Styropor ist nicht schwer, aber der Inhalt (ich hatte mal das Vergnügen, jemandem die Kiste mit sechs Pizzen abzunehmen

)
Aber das ist nicht so wichtig; wichtiger ist der Bruch im Text. Kein Aussteigen (wäre kein Problem), kein Kisten nehmen, hier wäre der Schreckmoment mit dem Hund gut, Konfrontation mit der Welt außerhalb der Autoburg. Stattdessen suggerierte Problemlosigkeit auf einer anderen Ebene: Liefern. Nicht leben, nicht Hörschaden. Ergo geht der unter.
Schreien tun die Kids wie alle anderen auch, so sieht es jedenfalls aus.
Das "so sieht es jedenfalls aus" geht ebenfalls unter, es hängt unvorbereitet und dezent an einem Satz dran, der mit "Schreien" beginnt und damit den Eindruck kreischender Schulkinder wachruft - den aber dein Protagonist nicht hat.
Ich gehe mal die nächste Kiste holen.
"Mal" wirkt wieder so unpassend, als sei hier eine Menge Zeit. Zu umgangssprachlich?

Am Eingang die Fototafel.
Und hier ein Problem der fehlenden Umgebung: ich habe ihn an die Küchentür gehen sehen, eine Hintertür, außen, und damit überhaupt nicht am Eingang. Damit will ich nicht sagen, dass eine eindeutige Beschreibung der Umgebung her muss, nur dieses eine klargestellte Detail: wenn dein Protagonist durch den Haupteingang geht, könnte das umso mehr Grund fürs Zeigen / Nennen der Villa bieten als geputzte Fenster. Die sind in jeder Hinsicht weit weg.
Ich muss dieses verdammte Hörgerät mitnehmen, auch wenn das Piepen mich wahnsinnig macht. „Es tut mir leid. Wir konnten die Gehörknöchelchen nicht wiederherstellen. Die Auflösung ist zu weit fortgeschritten.“ Es tut ihm leid? Wer‘s glaubt! Er muss ja nicht damit leben, mit dem Murks, den er aus meinen Ohren gemacht hat, zwei Jahre lang verschleppt, und natürlich hat das Gericht ihm keine Schuld zugesprochen, kein Schmerzensgeld. Oh, es wird ihm leid tun, ganz sicher wird es das!
Wie schon erwähnt zu unmotiviert reingeschmissen. Der ganze Ärger und das ganze Leid fließen hier frühestens ein, weil sie bisher im Text keine Aufhänger hatten; und umso schwächer sind sie hier.
Bis übermorgen. Sie heißt Lena.
Vor diesem Absatz ein Zeilenumbruch. Du verwendest hier sehr viel gehetzten Text dicht aufeinander, aber das verstärkt nur den Informationssalat, der eine oder andere Absatz kann eine Menge rausholen.
Oh Gott! Ein Hund. Beinahe. Diese Schreckmomente, wenn jemand urplötzlich neben dir auftaucht.
Im Auto? In der sicheren Burg? ... und der Hund läuft draußen vorbei? Der wäre wirklich früher im Text angebracht als hier, nach der Racheplanung, den Gründen, der Absicht.
Ob der Protagonist Frau oder Mann ist, war mir wie schon erwähnt ziemlich egal. Aber eine leichte Tendenz gibt es schnell, und wenn du es dann aufklärst, sei es durch die Reaktion einer Nebenfigur oder anderen Figur, dann läufst du Gefahr, einen Teil deiner Leser zu verprellen. Also lieber nicht zu lang mit einer recht eindeutigen Andeutung warten, und sei es die Wut auf das Klischee, dass Frauen nicht einparken könnten.

Hineinversetzen: Gerade bei der Ich-Perspektive des Täters ist das, finde ich, ein Muss. Mir fiel Folgendes auf:
Zitat
Kurz, trocken und ein Albtraum für jeden, der mal junge Kinder gehabt hat. Das fühlt sich echt an:
Genau. Bei diesem Satz rieselt es mir auch immer den Rücken runter.
Mir nicht, und das liegt nicht dran, dass ich keine Kinder habe. Aber ich bleibe in diesem Moment im Kopf des Erzählers / Täters, und dem rieselt es nicht kalt den Rücken runter. Da geht es um den Thrill, ob der Plan gelingt und ob aus alldem am Ende wirklich etwas zu gewinnen ist. Die Spannung, ob das Mädchen davonkommt, gefunden wird, die Sache unbeschadet übersteht, die liegt gegebenenfalls in der Polizeiarbeit, falls dein Thriller solche beinhaltet. Falls er im Kopf des Täters bleibt, dann - sorry, Lena - ist das zweitrangig. Aber es sollte zumindest kein Stück weniger spannend sein.
Den zweiten Ansatz finde ich insgesamt besser verständlich, aber er hat stellenweise noch dieselben Probleme und bricht auch aus der Aufgabenstellung aus, nicht mehr Alltag plus Thrill-Element, sondern driftet vollends aus der Situation in die Planung ab. Ob das was hilft ... Es geht zu großen Teilen nicht mehr weiter, die Rachegedanken drehen sich im Kreis, ufern zu weit aus, greifen Bekanntes in neuer Weise wieder auf, aber ohne Handlung, ohne Vorankommen. Und ich glaube, da liegt der Hase im nicht vorhandenen Pfeffer, dem nicht vorhandenen Roman hinter dem Anfang.
Du gehst hier weit von der Perspektive des Täters weg und ersetzt dessen Leid durch das angenommene des Vaters, der seine Tochter wiederhaben will. Einerseits großartig, weil genau das die Absicht des Täters ist, andererseits gefährlich nahe an einem Bruch mit diesem und Verspielen der Sympathie. Dazu kommt die Frage: gibt es eine Perspektive dieses Vaters später im Buch, die den Effekt konkret und deutlich rüberbringen kann? Gibt es mehr Ermittler? Oder bleibst du in der Täterperspektive?
Liebe Grüße

Ril