Hoi eska

Ich schreibe zwar keine Thriller, lese aber ab und an welche (Tendenz abnehmend).
Der Auftrag lautete, den Anfang eines Thrillers zu schreiben.
Hier steckt das Hauptproblem: Es ist ein Anfang ohne Roman, ohne Ziel, ohne Fokus. Zumindest kommt er so rüber. Die ersten Sätze ...
Mist! Der Scheibenwischer stottert. Jetzt sind die Tropfen nicht mehr vereinzelte Linsen, die das Licht brechen und die Sicht verzerren, sondern ein Film von Schlieren, der sich über die Scheibe verteilt. Guten Morgen, Martina!
... sogar der erste Absatz, tragen nichts von der Essenz der Story, außer möglicherweise etwas Stimmung. Allerdings sehe ich darin weniger Kritik am Text als an der Aufgabenstellung.
Klar, man kann auch einen Thriller damit beginnen und plotten, eine solche Szene zu schreiben, aber dass sie auch nur weitgehend so stehen bleibt, ist verdammt unwahrscheinlich.
Ich mag aber, wie ihr Name eingebunden ist und gleich noch ihre Stimmung trägt.
Erbse: ein Film von Schlieren erscheint mir doppelt gemoppelt.
Na schön.
Nach "Mist" und "Auch das noch" und "Guten Morgen" wird es zu viel mit diesen Einwürfen, zumal wieder einer am Anfang des Absatzes steht. Dieser hier kann einfach weg.
Ich öffne den Gurt, die Tür, steige aus. Irgendetwas hat sich da verfangen. Auch Gleitsichtbrillen nützen nichts bei Regen.
Rumdrehen.

Wenn du mit den Schlieren beginnst, dann halte den Fokus auf dem, was sie verursacht, und lass die Figur dann agieren, sonst holpert der Text, und die Spannung zieht Schlieren.

Diesen Impervius-Zauber von Hermine müsste man haben.
Hmm, zu konkret. Bei mir ist es schon beinahe Zufall, dass ich Harry Potter kenne. Was der Zauber macht, weiß ich nicht, nur mein bisschen Latein hilft weiter. Und selbst, wenn man's weiß, wird noch mehr Gewicht auf die Umgebung gelegt, weg vom Problem.
Auf Zehenspitzen balanciere ich auf dem Kopfsteinpflaster und angele,
Ist der Untergrund wichtig? Hier geht der Grund ihres Angelns fast komplett verloren.
neben mir spritzen die Vorbeifahrenden durch die Pfützen. Meine Strümpfe sind schon nass. Da!
Sie kommt mir außerdem halbblind vor, Regen oder nicht, ihr Auto hat doch sicher Innenbeleuchtung. Auch wenn nicht, lass sie etwas konkreter vorgehen, nicht "angeln", sondern den Scheibenwischer wegklappen und abwischen, etwas in der Art.
Ein Stöckchen, nichts weiter.

Liegt vielleicht dran, dass mein Bruder ätzende Geschichten aus der Werkstatt erzählt, aber ein Stöckchen klingt nicht wie "nichts weiter", sondern nicht gut für die Scheibe.
Ein Lächeln breitet sich in mir aus. Erleichterung. Alles okay. Ab in die Tonne damit und gut.
Was immer es ist, was hat sie denn erwartet? Bisher war das Ganze nur eine Alltagsepisode, deren schlimmstmöglicher Ausgang in etwa lautete: der Scheibenwischer ist kaputt. Jetzt wird es seltsam. Weshalb das Lächeln und die Erleichterung?
Kurz bevor ich es wegwerfen will, fühle ich es: eine Kante, glatt und gerade. Tesafilm. Kein Stöckchen. Ein eingerolltes Stück Papier, sorgsam umwickelt, kein bisschen durchweicht.
Das fühlt sich schwer anders an als ein Stöckchen, vermute ich, und die Farbe ist völlig anders. Überspring die Fehleinschätzung am Besten ganz.
Der Milchkaffee rumort in meinem Magen. Es tropft aus meinen Haaren.
"Es" sollte Regenwasser sein, um eindeutig wieder zum Außen zu lenken. Auf der anderen Seite: besser umgekehrt, hin zu ihr? Ich bin nicht siche, denn "rein ins Haus" ist eher mit dem Regen verbunden.
Ansich hat der Absatz aber ein größeres Problem:
Ich starre auf die vielleicht zwei Zentimeter und versuche, mich zu fassen.
Warum denn? Hier weiß die Figur mehr als ich, und sie löst das auch nicht sofort auf. Dadurch entsteht weniger Spannung, als dass die Taktik Abstand zur Figur schafft.
Was jetzt - rein ins Haus und lesen oder weiter? Ich muss los. Egal, was da jetzt wieder steht, die Schule wartet nicht. Ich steige ins Auto, umklammere das Lenkrad. Mir ist schlecht.
Eine wilde Abfolge ohne nennenswerten Konflikt, da ich als Leserin weder weiß, was es mit dem Zettel auf sich hat, noch, dass sie für den größten Teil der Entscheidungsfindung in die Schule muss. Und schon gar nicht - zum Teil eben darum - wie sie sich fühlt.
Ein Teil des mangelnden Konflikts steckt im "rein ins Haus" ... weshalb denn? Im Auto gibt es Licht. Und dass die Protagonistin daran vielleicht gar nicht denkt, dass "Haus" auch "Tür zu und sicher" bedeuten kann, das kann hier so unkonkret noch kaum rüberkommen. Falls es relevant ist, wäre das aber interessant, zumal ein weiterer Aspekt dazukommt: sie hat im Haus, durch die SMS, zum ersten Mal von etwas erfahren. "Und (die Botschaft) klemmt noch nicht lange hier" sagt außerdem aus, dass sie sich im Auto nicht ein Bisschen sicher fühlt. Diese Aspekte sind hier zu sehr durcheinander gefürfelt, um Wirkung zu entfalten.
„Du wirst schon sehen.“ Da sind sie wieder, diese Worte von heute Nacht, ungerufen, eingebrannt in mein Gedächtnis wie in ein Display ohne Bildschirmschoner.
Hmm, ich mag den Vergleich nicht, er bringt nichts. "Ohne Bildschirmschoner" trägt ein bisschen was davon, dass sie das nicht vergessen kann, aber "da sind sie wieder" hat das schon vorweg genommen, sogar ausnehmend spät in der Abfolge dessen, was eben geschehen ist. An diesen Worten hängt Angst, und die wartet normalerweise nicht brav, bis über lesen oder nicht lesen der Botschaft entschieden wurde (was es nicht wurde, aber das ist okay, sie versucht ja noch, ihren normalen Tagesablauf beizubehalten.)
Erst eine SMS um drei Uhr nachts auf meinem privaten Handy, die Nummer rück ich nicht oft raus, und jetzt, um halb acht, eine physische Botschaft. Und sie klemmt noch nicht sehr lange hier.
Die Rekapitulation in diesem Absatz hilft der Spannung auch nicht auf die Sprünge. Die Botschaft ist da, ungelesen, die Figur weiß wieder mehr als ich, und ich will sie nur anpieken, den Zettel endlich zu öffnen. Ich verstehe - oder würde verstehen - dass sie unfähig ist, das zu tun, dass sie nicht entscheiden oder reagieren kann, dass ihr im Gedankenkarussel schlecht wird, aber ich bin gefühlt viel zu weit weg von ihr, und die Hälfte dessen ist bloße Annahme.
Die notwendigen Informationen kommen viel zu spät. Je nachdem, was die Geschichte hergibt, könnte sie wirklich um drei aufwachen und die SMS lesen. Damit gibt es auch einen, der sie abgesendet hat, und einen schnellen Stimmungsumschwung von z.B. ruhiger Nacht (kann ungenannt bleiben) zum Inhalt der SMS und den Gedanken, die daran anschließen. Pläne, Polizei, wenn nicht, weshalb nicht? Ignorieren wollen und nicht können, den Rest der Nacht wach bleiben, etwas in der Art.
Ich nehme an, dass diese Szene hier ein zu später Einstieg ist, weil sie es nötig macht, die Informationen über alles Frühere zu vermitteln und zugleich eine Stimmung zu erzeugen, die ohne diese Informationen nicht möglich ist; und zudem noch eins draufsetzen muss durch die neue Botschaft.
Ein weiteres Hauptproblem nach dem Ablauf, aber damit verknüpft, ist die Gewichtung. Ich habe den Text schon vor ein paar Tagen gelesen, und meine Erinnerung war vor allem die an den Regen. Die SMS hatte ich sogar fast vergessen. Nicht, dass der Regen verkehrt wäre, es kann helfen, Eindruck an etwas festzumachen, das mehr Sinne anspricht als eine SMS oder ein Blatt Papier, aber
er drängt sich in den Vordergrund die eigentlichen Spannungselemente schaffen es nicht, der Atmosphäre und vor allem sich selbst Rechnung zu tragen.
Thrill: Den fühle ich nicht wirklich, weil aufgrund von zu vielen Unbekannten nichts nachvollziehbares auf dem Spiel steht und ich das Innenleben der Hauptfigur fast nur aus deren eigener Beschreibung mitbekomme.
Ich-Erzähler: Meiner Meinung nach ist die Perspektive für einen Thriller völlig irrelevant, wenn sie gut ist (okay, auktorial finde ich nicht sehr thrillertauglich). Die Probleme hier wären in der personalen Perspektive dieselben. Der Rest sind Schreib- und Lesevorlieben; ich ziehe die 3. Person vor. Aber die 1. hat mich hier nicht gestört.
Ich hoffe, mein bisschen Blah hilft dir weiter.

Liebe Grüße,
Ril