Hallo Sir Jason!
Hier ist noch offen, es war gerade Traffic, und ich kam gerade vorbei.

Ein paar ungeordnete Gedanken zu Deinem Text.
Unsere Träume sind wie die Wurzeln unserer TexteSoll heißen: Träume sind extrem wichtig, aber wenn man sie zu sehen kriegt, steht der Baum nicht mehr lange. Oder irgendwie so. Den meisten von uns macht es wahrscheinlich Freude, mit unseren Figuren mitzufliegen und uns emotional in ihren interessanten Eigenschaften zu suhlen. Mach ich auch. Aber es gibt bestimmte Dinge, die wichtig sind und Spaß machen, bei denen man die Öffentlichkeit aber besser ausschließt. Du machst Dich in diesem Text zum Anwalt der Begeisterung, die Du für Deine Figuren hegst. Das ist naheliegend. Aber es wäre besser, wenn Du Dich zum Anwalt Deiner FIGUREN machen würdest. Man merkt recht zuverlässig, dass man in diese Falle getappt ist, wenn der eigene Text viel Gewicht auf das Nennen von Attributen legt, während die Dramaturgie eine Pause einlegt. Figuren, die in Sprichwörtern reden, statt zu sagen, was sie meinen, sind ein weiteres Symptom.
Ich habe nicht viel Kampferfahrung, aber so viel weiß ich: Wenn ich unterliege, habe ich nur noch Luft zum Kämpfen, wenig Luft zum Reden. Dein Gariel schwatzt ganze Epen. Grumoy verzeihe ich seine Predigt ja noch fast, denn er hat gerade einen Schub Morbus Mentor.
Es ist die (leider bisweilen etwas dröge) Pflicht des Autors, die eigenen Träume, die Emotionalität des Geschehens, die Coolness der Figuren, das Setting, das Wasauchimmer in eine sorgfältige Dramaturgie zu verpacken. Nur dann wird es für den Leser entzifferbar. Das ist alles andere als einfach. Aber man kann erst dann damit beginnen, wenn man gewahr ist, dass der Traum der BEGINN des Schreibens ist, nicht das Ende. Fertig ist man dann, wenn glaubhafte Figuren glaubhaft handeln. Tritt einen Schritt zurück von Deiner Begeisterung und sorge dafür, dass die vielen kleinen Rädchen und Federn an der richtigen Stelle sitzen, die Deinen Text am Laufen halten. Da ist Technik gefragt. Hast Du die erworben? Was tust Du, um zu erfahren, was Dir fehlt?
TempoEin actionreicher Anfang ist durchaus möglich, aber sauschwer zu schreiben: Neben Exposition, Szenendramaturgie (Konflikt, Stakes, Thema, etc.) muss man auch noch das Tempo einer Actionszene im Griff haben. Und Letzteres allein ist schon sauschwer. Zum Tempo ein paar Stichwörter, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- szenisch vs. narrativ
- Tempovariation
- Sprachfluss und sein Einfluss auf das Tempo
- Thema und Bedeutung der Szene
- Vision des günstigsten Ausgangs
- Vision des desaströsesten Ausgangs
- wendisches Schlachtenglück (zwischen günstig und desaströs pendeln)
Character establishing MomentWir müssen wissen, wer hier Haue bekommt, warum er Haue bekommt, und vor allem, warum er es verdient hat oder auch nicht verdient hat, Haue zu bekommen. Ich meine nicht nur die Vorgeschichte. Wir müssen wenigstens einen kurzen Blick darauf werfen dürfen, aus welchem Holz die Figuren geschnitzt sind. Ein Griff in die Trickkiste fördert zu Tage: "Kick-the-Dog"-Moment oder "Pet-the-Dog"-Moment. Etwas weiter unten in der Kiste liegen noch andere dieser sogenannten "Character establishing Moments", die noch nicht ganz so abgegriffen sind. Der Connaisseur erfindet wengistens gelegentlich seine eigenen.

Was an der Sache wichtig ist: Der Character establishing Moment muss(!) in der Szene, die ihn beherbergt, eine Spannung erzeugen. Zum Beispiel eine offenkundige Ungerechtigkeit etablieren. Ein gutes Stichwort hier ist "Kognitive Dissonanz". Eine Goldgrube für Schreiberlinge. (By the way: "Show, don't tell." Ja, ich weiß, schon wieder. "Ungerechtigkeit" zu schreiben, etabliert die Ungerechtigkeit nicht. Ich muss die erfassen, ohne dass Du sie benennen musst. Und "erfassen" reicht noch nicht mal. Ich muss sie spüren.)
Schriftliche Explosionen sind strunzlangweiligDa hat es der Film als Medium so gut, der weiß gar nicht, wie gut der das hat. Wenn's auf der Leinwand knallt und zischt, hat man wenigstens eine Chance, dass das Publikum nicht merkt, wie wenig Bedeutung dahintersteckt. Uns Schreiberlingen ist das versagt. Ich demonstriere das mal kurz:
BUMM!Hat das Ding nicht so richtig gerockt, was?

Wenn man Leute kämpfen lässt, kann man sich nicht auf Roundhouse-Kicks und Gymnastik verlassen. Die kann man noch nicht mal darstellen. Umso wichtiger wird es, zu zeigen, wie die inneren Befindlichkeiten, der Kontext, das Thema den Kampf beeinflussen. Man überlege sich bei jedem Schwerthieb, ob sich was ändern würde, wenn man stattdessen einen säuregetränkten, supertödlichen Wattebausch schmisse:
Erneut kam das Schwert auf ihn zu. Diesmal sah er den Faustschlag nach der Parade kommen, wich zurück und ging zum Gegenangriff über. Ein Schwertstreich zielte auf den ausgestreckten Arm, ein weiterer zwang Meister Grumoy zurückzuweichen und sich mit seinem Schwert zu verteidigen. Gariel wusste, dass er nachsetzen musste, zögerte aber und gab seinem Gegner Gelegenheit, wieder Haltung anzunehmen.
Nagelprobe:
Erneut kam der Wattebausch auf ihn zu. Diesmal sah er den Wattebausch nach der Parade kommen, wich zurück und ging zum Gegenangriff über. Ein Wattebausch zielte auf den ausgestreckten Arm, ein weiterer zwang Meister Grumoy zurückzuweichen und sich mit seinem Wattebausch zu verteidigen. Gariel wusste, dass er nachsetzen musste, zögerte aber und gab seinem Gegner Gelegenheit, wieder Haltung anzunehmen.OK, klingt lächerlich. Aber die dramaturgische Nutzlast ist die gleiche. Keine. Nebenbemerkung: Ohne tieferen Sinn hinter den Streichen klingt "Schwert" genauso lächerlich wie "säuregetränkter, supertödlicher Wattebausch".
Wie spiegeln Gariels Handlungen sein Wesen? Er wird offenbar gerade gemaßregelt, weil er die Klappe zu weit aufgerissen hat. Damit aus dem Kampf eine Strafe wird, müsste der Kampf deutlich machen, wie Gariels große Klappe ihn zu Fehlern verleitet. (N.B.: Mangelnde Erfahrung seitens Gariels reicht hier NICHT! Die sagt nur was über seine Ausbildung aus, nicht über seinen Charakter.) Wo Grumoy hinprügelt, und was er dafür verwendet, ist zweitrangig. Wenn Grumoy statt seines Schwertes mit einer Federboa kämpfen würde, und Gariel kann trotzdem nichts gegen ihn ausrichten, das würde zumindest Gariels Demütigung betonen. Jede Szene ändert ihre Figuren. Wie ändert sich Gariel? Wie führt der Kampf diese Änderung herbei? Wie fühlt sich Gariel dabei? Wie übersetzt der Kampf dieses Gefühl in Handlung (und enthebt Dich der Notwendigkeit, das Gefühl, z.B. "Weinerlichkeit", direkt zu benennen)?
Emotionen in Reinform und MischungEmotionen treten auch im realen Leben selten in Reinform auf. Selten ist jemand nur wütend, nur ängstlich, nur erfreut. Es ist fast immer eine Mischung aus verschiedenen Geschmäckern. Die Balance zwischen den Emotionen verschiebt sich durch die Handlung. Das lässt Figuren "echt" wirken. In Deinen ersten Absätzen sehen wir die Hauptemotion Weinerlichkeit und die daraus resultierende Handlung: Unterwürfigkeit. Im Subtext der erlebten Rede Gariels sehen wir Arroganz, das ist nicht übel, denn wir lernen was über Gariels Innenleben, aber es verschweigt uns den Nebengeschmack in seiner Weinerlichkeit. Ist es Wut? Ist es Angst? Beides? Wie äußert sich das in seinem Verhalten? Er ist wahrscheinlich bereits ziemlich fertig. Was hält ihn am Laufen? Was sind seine Alternativen? Warum gibt er nicht auf? Wie ändert sich sein emotionales Kostüm, wenn die Lektion dieser Szene langsam einsinkt?
Text auf StelzenWenn EINE Figur gestelzt redet, ist das Charakterisierung. Wenn ALLE Figuren gestelzt reden, ist das Parodie.
„Wenn dich das schon zu Fall bringt, wirst du in einer Schlacht unter den ersten Toten sein.“
Ich übersetze: "Haut dich das schon um, Prinzesschen?"
„Es tut mir leid, Meister. Ich wollte nicht behaupten, ich sei bereit für den Krieg.“
Ich übersetze: "Sind wir hier auf dem Schlachtfeld?"
„Was sonst wolltest du zum Ausdruck bringen, als du sagtest, du wärst der beste Kämpfer unter den Söhnen des Lichts?“
Ich übersetze: "Ich dachte, du bist der Beste. Oder doch nur der beste Prahlhans?"
Und so fort. Ich weiß, die Sprache soll unter anderem auch Atmosphäre transportieren. Dennoch: Figuren benutzen IMMER eine der Situation angemessene Sprache. Auch wenn die Sprache an den Rändern vergilbt ist, kann man davon ausgehen, dass sie keine Schnörkel benutzt. Es sei denn, eine Figur neigt zu Schnörkeln.
DramaturgieHinter Dramaturgie verbirgt sich eine einfache Frage: Wie sorge ich dafür, dass der Leser versteht, worum es geht, was auf dem Spiel steht, und wie die Sache ausgeht? Wie man das anfängt, kann man z.B. einfach lernen. Aus Büchern, aus Blogs, auf Workshops. Manchmal macht es Spaß, selbst die Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, aber Lernen geht deutlich schneller, insbesondere, wenn man's systematisch betreibt.
Damit die Sache halbwegs proportioniert gerät, ein Strickmuster:
- Nach einem knappen Viertel der Szene sind Szenenziel und Antagonismus klargestellt: Was will Protagonist, warum kriegt er's nicht?
- Nach grob der Hälfte etabliert eine unvorhergesehene Wendung (oder Komplikation) die schriftstellerische Mission der Szene: Wie wird sich der Protagonist durch die Geschehnisse ändern? Unsere Vision vom Ausgang der Szene bekommt neue Nuancen. Der (Wett-)Einsatz der Szene ist nun klargestellt (und geht über das ursprüngliche Ziel des Protagonisten hinaus).
- Nach gut drei Vierteln der Szene spitzt sich die Situation zu: Das ursprüngliche Ziel des Protagonisten wird in Widerspruch mit seinem Wachstum gestellt, welches durch die Komplikation in Aussicht gestellt worden ist.
- Kurz vor Schluss entscheidet der Protagonist sich für oder gegen das Wachstum.
- Die Szene wird am Ende so knapp wie möglich aufgeräumt: Offene Enden werden vernäht, sofern erforderlich. "So knapp wie möglich" kann auch heißen: Hier kommt gar nix mehr.
Von Strickmustern kann man abweichen. Allerdings besagt das obengenannte Strickmuster nur: Der Pullover hat insgesamt vier Löcher, eins zum reinkommen, drei weitere, weil Kopf und Hände irgendwo rausgucken müssen. Wer will, kann auch gerne einen Pullover mit sechs Ärmeln stricken. Mirdochegal.

Mit dem Text habe ich versucht, Fehler zu meiden, die mir hier im Forum oft aufgezeigt wurden: Zu viel Exposition, zu wenig tatsächlicher Fokus auf der Szene. Mangel an Konflikt also schlicht Langeweile.
Würde mich freuen, wenn ich hier ein Urteil dazu haben könnte, wie gut oder schlecht ich mich diesmal in diesen Punkten geschlagen habe.
Fair enough. Here goes:
Zu viel Exposition? Jein. Der Kontext, den Du gewählt hast, ist schwierig: Im Kampfgeschehen ist Exposition schwer unterzubringen, insbesondere, wenn der Perspektivträger mitten im Kampfgeschehen steckt.
Zu wenig tatsächlicher Fokus auf der Szene? Nö, die Szene wirkt konzentriert, allerdings ist das Setting für eine erste Szene recht komplex, daher wird die Szene durch szenennotwendige(!) Exposition ausgebremst.
Mangel an Konflikt also schlicht Langeweile? Konflikt ist da, Langeweile kommt trotzdem auf. Grund: Gariel macht keine bedeutungsvolle Änderung durch. Das ist eine heikle Kiste, gerade in der ersten Szene. Daher der Tipp, schon wieder als Strickmuster:
(1) Character establishing Moment frühzeitig bringen. Der weckt Erwartungen bezüglich der Figur.
(2) Hook: Die emotionalen Erwartungen, die sich an dieses Schlaglicht auf den Charakter der Figur knüpfen, zu einem inneren Widerspruch führen. Das erzeugt ein Spannungsmoment.
(3) Inciting Incident: Einen Ausweg aus dem Spannungsmoment anbieten
(4) Motor starten: Den Ausweg durch den Antagonismus der Szene verlegen.
Und all das im ersten Viertel der Szene.

Ich illustriere das an einem Beispiel und nehme dazu Deine Szene. Allerdings erfahre ich dort wenig über Gariels Charakter, also setze ich mutwillig meine eigenen Ideen ein. Das hat NIX mit Deinen Ideen zu tun, ich unterstelle Gariel nichts, sondern schreibe quasi eine Fan Fiction zu ihm. (Keine Sorge: FSK 12.)
(1) Character establishing Moment: Gariel reagiert unbeherrscht auf einen Angriff: Er ist ein kleiner Wutbürger, obwohl er sich bereits mitten in der Bestrafung wegen Prahlerei befindet.
=> Erwartung: Na los, Grumoy, gib's dem Kerl!
(2) Hook: Grumoys Visier bricht bei einem Gerangel, Grumoy kann kurzzeitig nichts sehen. Gariel wartet bewusst ab, bis Grumoy wieder einsatzbereit ist.
=> Dissonanz: Gariel ist nicht NUR ein Wutbürger, und unser Wunsch, ihn bestraft zu sehen, gerät in Konflikt mit seinem ehrenvollen Verhalten.
(3) Inciting Incident: Grumoy zögert kurz, erwägt offenbar, Fairnis mit Großmut zu vergelten.
=> Ausweg aus der Dissonanz.
(4) Motor starten: Grumoy entscheidet sich dann aber, Gariels Fairnis als Schwäche auszulegen ("Auf dem Schlachtfeld gibt es keine Rücksicht!") und weiter auf Gariel loszugehen.
=> Antagonismus etabliert.
Wie könnte die Szene weitergehen? Ungefähr zur Hälfte erfasst Gariel dass er im Unrecht ist und sich ergeben sollte, Schande hin, Demütigung her. Im letzten Viertel wird klar, dass er entweder gewinnt oder ins Lazerett geht. Er entscheidet sich daraufhin für seine Wut, will durch Raserei gewinnen, statt sich zu ergeben. Er wird geschlagen, aber von Grumoy überraschend verschont.
Wie würde der Roman danach weitergehen? Gariels Widerspruch Wut/Fairness wird das zentrale Thema seiner Reise werden.
So weit mein schmuddeliges Beispiel. Wie sieht's bei Deinem Roman aus? Was ist Gariels Problem? Welcher innere Widerspruch zerreißt ihn? Wie kannst Du das packend gleich in der ersten Szene beleuchten? (Falls Gariel nicht der Protagonist des Romans ist, ersetze "Roman" durch "Character Arc".)
Viele Grüße
Quisille