Hallo, Hölle!
So ein ganz leeres Board, das sieht so ... leer aus.
Irgendwie nicht schön. Dachte ich mir.
Also: Aus der Schreibübung des Monats hat sich ein praktikabel erscheinender Anfang für eine meiner älteren Geschichten entwickelt - was mich freut. Auch, weil meine Schreibblokade dabei irgendwie unter die Räder gekommen ist.
Und praktischerweise handelt es sich ziemlich eindeutig um SiFi ...
Also: Hier der Anfang von 'Kunstlicht', zum fröhlichen Rösten ...
Cheers, Uli
Morgens
An diesem Tag ging ich zu Fuß zur Dienststelle.
Hatte einfach keine Lust auf das Gedränge auf den Laufbändern, auf die unvermeidlichen Vibrationen, die kleinen Rempeleien und den Lärm.
Wie so oft.
Die Korridore waren nur mässig belebt, kaum jemand in den Seitenfluren, nur an den Zugängen zu den Bändern ein paar größere Gruppen.
Ein paar Dutzend junge Leute, ein paar Alte - nichts besonderes.
Ziemlich friedlich.
Ich trug eine einfache Kluft, neutralgrau und ohne Rangabzeichen, also lag es nicht an meiner Anwesenheit, dass niemand irgendetwas anstellte - obwohl auch die Uniform kein Garant für Ruhe und Frieden ist, schon lange nicht mehr.
Im großen Ring auf Ebene Acht war die Innenseite des Korridors mattgelb beleuchtet, Warnlicht. Der Räumer würde gleich durchfahren, also bewegte sich alles zur Außenseite, ins helle, blaue Licht.
Ein, zwei Jungs mussten natürlich die übliche Mutprobe zeigen und im gesperrten Teil stehenbleiben bis das Fahrzeug heran war, und sich vom Schild beiseite drängen lassen - sinnlos, gefährlich und deswegen ein gutes Mittel, den Mädchen seinen Status zu demonstrieren.
Ein falscher Schritt dabei und man rutscht unter den Schild, gerät in die Kehrmaschine und dann in den Häcksler und landet am nächsten Anschlusspunkt in der Entsorgung, zusammen mit dem Müll des letzten Tages und dem abgemähten Grünzeug. Tja.
Man sollte meinen, dass Idiotie sich irgendwann ausmendelt, aber irgendwie funktioniert das nicht. Komisch.
Kurz vor der Treppe - ich benutze immer die Treppe, um auf eine andere Ebene zu gelangen - wechselte das gelbe Licht ins Rot, also blieb ich stehen, um den Räumer vorbeizulassen. Sinnlos, sein Leben zu riskieren um ein paar Sekunden früher in der Dienststelle zu sein.
Also stand ich auf der Außenbahn, gegenüber dem Treppenzugang und wartete. Und aus dem Treppenhaus stürzte jemand heraus, genau in dem Moment, als die Maschine heran war, drei schnelle Schritte bis zur Mitte der Innenbahn, dann warf sich die Person zu Boden.
Absichtlich, da bin ich ziemlich sicher.
Ich widerstand dem Reflex, blieb einfach stehen und atmete ruhig, bis der Räumer vorbeigefahren war und nichts als feuchten, sauberen Boden zurückließ, glänzend im blauweißen Licht.
Auf der Treppe meldete ich der Dienststelle, dass ich Zeuge des Vorfalls sei, eine sinnlose Sache, weil die Kameras und Sensoren meine Anwesenheit selbstverständlich aufgezeichnet hatten. Aber wenigstens etwas, was ich tun konnte. Ablenkung.
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Eine Sekunde später meldete sich die Dienststelle, mit Dringlichkeitssignal.
Und noch bevor ich das Signal annehmen konnte, blendeten sie das Symbol für 'Sofort antreten' in die Kontaktlinse.
Nun, offenbar war die Sache deutlich wichtiger als gedacht, also drehte ich um, spurtete die drei Stufen der Treppe wieder hinauf und lief zum nächsten Schachteingang, ein Dutzend Meter den Ring entlang.
Die Pforte glitt auf, als ich mich näherte, so dass ich nicht langsamer werden musste, sondern einfach hineinsprang - und bevor ich mich von der Rückwand des Aufzugs abgekratzt hatte, fiel die Kabine herunter, drei Ebenen tief.
Frühsport ... nach sechzig Metern freiem Fall bremste die Kabine gerade so ab, dass ich in der Senkrechten blieb und losspurten konnte, als die Tür aufglitt.
Sogar der rote Teppich war ausgerollt, mit Begleitmusik: Durchdringende Sirenentöne und eine Leuchtspur in der Mitte des Ganges, eine Bahn, für mich reserviert - die Kollegen klebten an den Seiten des Ganges, um nicht über den Haufen gerannt zu werden.
Oder für eine unnötige Verzögerung eines dringlichen Vorganges zur Verantwortung gezogen zu werden, falls ich jemanden nicht wegboxen können sollte.
Nein, das war ganz und gar nicht alltäglich.
Aber um nachzudenken fehlte mir die Zeit, die Luft und die Hirnkapazität: Rennen, der Lichtbahn folgen, ankommen, durch die Tür und ...
Und dann forderte der Notfallmodus seinen Tribut, die Beine knickten ein und mir wurde schwarz vor Augen.
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Nun, für die nächsten Schritte war meine aktive Beteiligung nicht notwendig, im Gegenteil. Ich erwachte in einem Verhörsessel, als gerade ein Assistent die Verkabelung einpackte und die Med-Chefin die Kanüle aus meinem Arm zog.
Die charakteristischen Kopfschmerzen hätte ich gar nicht gebraucht, um zu erkennen, dass sie eine Gedächtnisauslesung vorgenommen hatten, und damit war auch klar, warum sie diesen Stress inszenieren mussten:
Von dem Moment an, in dem ich losgerannt war, hatte mein Hirn nichts mehr verarbeitet, nur noch Reflexe aneinandergereiht.
Konditionierte Reflexe.
Und deshalb waren die letzten Bilder nicht überlagert.
'Alles gut, Mac', sagte die Med-Chefin, sie lächelte sogar, und einer der Assistenten half mir beim Aufstehen.
'Wir haben dir Morph gegeben, das rechte Knie ist etwas ... nun, das wird nachher gerichtet. Und ich habe eine Beschwerde zu den Akten gelegt, wegen der Bremsung im Fahrstuhl - irgendwann gibt es sicher einen Bonus oder eine Medaille. Oder ...'
'Ein Bier?' warf ich ein, und sie lachte.
'Deal. Nach der Besprechung, wenn das Morph abgeklungen ist, und vor der OP. Versprochen.'
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Nun, all das war noch nicht Außergewöhnliches. Ich meine, ja, ein Suizid, ein Alarm, eine Verletzung - so etwas passiert eben.
So etwas passiert jeden Tag, und zwar mehrmals. Jedenfalls, wenn man beim SK-E arbeitet, in einer Stadt mit mittlerweile gut achtzehn Millionen registrierten Einwohnern.
Und wer weiß wie vielen Nicht-Registrierten.
Eine Schicht hinter sich zu bringen ohne einen Alarm, das ist seltener als ein Hauptgewinn in der Lotterie. Streitigkeiten entstehen an den Laufbändern, in Warteschlangen der Essensausgaben, in den Stadien oder einfach so, ohne erkennbaren Anlass, in den Korridoren.
Und manchmal entwickelt sich daraus ein Mob, ein Aufstand, ein ... Problem. Und in den Minus-Ebenen ...
Ich meine, jeden Tag sterben etwa siebenhundert Leute auf die eine oder andere Art, rein statistisch. Siebenhundert, von denen man weiß, ohne die Unregistrierten. Unfälle, Mord, Krankheit oder - seltener - weil die Uhr einfach abgelaufen ist. Oder eben aus Vorsatz.
Nichts ungewöhnliches.
Tagesgeschäft.
Aber dass bei einer Besprechung die große Chefin selbst zugegen ist, einen einfachen SK-E lächelnd mit Namen begrüßt und ein Assistent wortlos ein großes Bier auf den Konferenztisch stellt, das erstaunte mich dann doch.
Irgendetwas lief hier, und es war etwas größeres.
Und offenbar steckte ich mitten drin.
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Die Konditionierung funktionierte einwandfrei, also nahm ich Haltung und grüßte, ganz automatisch. Das Morph funktionierte ebenfalls, weshalb ich keinerlei Schmerz verspürte, nur das Knie funktionierte nicht, nach der Gewaltbremsung im Aufzug und dem Spurt, also klappte ich zur Seite.
Und wäre gefallen, wenn der Assistent nicht eingegriffen und mich auf den Besuchersessel bugsiert hätte.
Großartiger Auftritt, dachte ich, aber die Chefin tat, als hätte sie nichts davon bemerkt.
'Horg Dringer/M, nicht wahr? Sei gegrüßt, und bitte setze dich doch' sagte sie, lächelte dazu und damit war alles wieder korrekt: Ich saß, weil sie mich dazu aufgefordert hatte.
Nicht etwa aus Schwäche oder gar Unbotmässigkeit. Und im Protokoll würde stehen, dass ich mich zuerst bedankt und danach Platz genommen hätte, da war ich sicher, und selbst die Videoaufnahme würde die richtigen Bilder zeigen.
Die Wahrheit bestimmt, wer das Bildbearbeitungsprogramm beherrscht.
'Hier läuft keine Aufzeichnung, Horg' sagte die Chefin als könnte sie Gedanken lesen. Was der Grund dafür ist, dass sie diesen Posten innehat.
Und dafür, dass viele sie fürchten ...
'Dein Rang, Horg, ist bislang ...'
'C-4' antwortete ich automatisch, und sie nickte bedächtig.
'Es gibt ein Problem, Horg, und ich brauche jemanden, der es löst. Dich. Und dazu brauche ich deine Zustimmung. Und wenn du zustimmst, wird dein Rang auf - zunächst - B2 geändert.'
Sie sah mich an, nickte und sagte nicht, was das im Einzelnen bedeutete, was die Alternativen wären oder sonst etwas überflüssiges. Sie setzte voraus, dass ich verstand.
Einverständnis, dazu eine solche Beförderung, bei Erfolg eine weitere ... wie hoch ist die Chance, die Sache zu überleben? Und ist es wirklich so tragisch, wenn einem das Gedächtnis gelöscht wird? Und ...
Ich hörte, wie ich 'Ja' sagte und 'ich stimme zu' und griff das Bierglas vor mir, prostete ihr zu und trank es aus. Und wünschte mir ein weiteres oder zwei. Oder acht.
Was angesichts des Morphs in meinen Adern ziemlich unvernünftig war, aber immerhin deutlich rationaler, als sich freiwillig zu melden für ... für was auch immer.
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Danke für's Lesen!