Hallo Hölle,
Das folgende Textstück war als Einstieg in die Dampf-Handlung gedacht - und ist als solches mittlerweile verworfen. Und es ist unklar, ob ich diesen Teil überhaupt nutze, um den 'Watson' (zweite Erzählebene) einzuführen ...
Ein Stück Text am Abgrund ...
Einerseits eine geradezu klassische Sache: Watson, der unbedarfte Ich-Erzähler, der die Taten des Meisters begleitet, protokolliert und bewundernd interpretiert, der treue, doofe ... Brückenschlag zum Leser. Neu interpretiert von (verbeug) mir.
Und ... ja, da ist das Problem: Es ist so falsch, wie es nur sein kann - und ich weiß nicht, wieso.
Dem Leser direkt mitzuteilen, dass der Ich-Erzähler ein ... nun, ein echter Watson, ein Hastings ist (und es sich folglich um einen Kriminalroman handelt, der Mitdenkken verlangt, aber zugleich behauptet, dass es 'dich überraschen' wird, das ganze Zeug - das Offenlegen aller Konventionen und so - das funktioniert.
Und doch: Es funktioniert *nicht*.
Deswegen war dieser Teil eigentlich schon verworfen. Ich grabe ihn jetzt aus, weil ich vermute, genau daran lernen zu können, was mein derzeitiges Problem ist ...
Das macht mir die Sache mit der konkreten Frage leicht:
Warum funktioniert das hier nicht?
***
Man bat mich, jene Ereignisse des Jahres 1985 zusammenzufassen und zu Papier zu bringen, die heute wohl bestenfalls als muntere Anekdote noch bekannt sind, als unterhaltsame, aber letztlich bedeutungslose Note der Geschichtsschreibung, die damals aber nur um ein Weniges verfehlten, die Welt in den Abgrund zu stürzen.
Ich kann mich der Bitte, diese Begebenheiten nun zu veröffentlichen kaum entziehen, auch deshalb, weil es eine kleine Sühne darstellt für eine Nachlässigkeit meinerseits, die beinahe zur Eskalation der ohnehin schwierigen Situation geführt hätte, aber viel mehr, um meiner Meisterin, der unlängst verstorbenen Madame deFaire, die verdiente Ehre zu erweisen und ihre Rolle in jener Angelegenheit ins rechte Licht zu rücken.
Sie selbst reklamierte niemals ihren Verdienst an der glücklichen Auflösung dieset Angelegenheit, wie sie auch in keinem anderen Fall ihren Anteil kundtuen wollte, so dass bis zuletzt nur wenige Eingeweihte überhaupt von der Tätigkeit der Madame wussten:
Allgemein wurde - und wird - angenommen, sie sei eine etwas verschrobene Erbin gewesen, die auf ihrem Gutshof in Südirland sich der Pflege einiger Dutzend Katzen sowie einigen Fässchen Portweins widmete.
Und die wenigen, die ihre Schriften studiert haben, verkennen dennoch oft die Grösse ihrer Gedanken, wohl zumeist, weil Madame deFaire es nicht liebte, über sich selbst zu berichten.
Ich werde also, aufgrund des Ansinnens von höchster Stelle, aufgrund meiner ungebrochenen Verehrung Madames und nicht zuletzt, um eine gewisse Schuld abzutragen, nun berichten, was tatsächlich geschehen ist in jenen Tagen.
Vieles, wie sich wohl von selbst versteht, kann ich nur aus dem Hörensagen wiedergeben, und manches, wovon wir zu wissen glaubten, hat sich späterhin anders dargestellt.
Bei dieser Niederschrift werde ich mich, um des besseren Verständnisses willen, an das halten, was uns zu dem jeweiligen Zeitpunkt bekannt war - ansonsten wäre die Leistung der Madame deFaire, die fehlenden Faktoren zu erschliessen und zu beweisen, nicht nachvollziehbar - und zugleich wären meine eigenen Fehlleistungen in ein Licht gerückt, dass sie als vollkommen unendschuldbar erscheinen lassen müsste.
Ich war soeben, im Alter von 21 Jahren und sofort nach dem Abschluss eines Studiums zum Sekretär als Anwärter in den Dienst der Madame getreten und hatte als solcher alle Schritte, die sie unternahm, ohnehin protokolliert.
Madame selber pflegte ihre eigenen Notizen mir allabendlich zur Abschrift vorzulegen, da ihr nachlassendes Augenlicht - sie zählte bereits an die sechzig Jahre - ihr erschwerte, ihre eigene Handschrift zu entziffern: Sie schrieb zeitlebens in wunderbar zierlicher und exakter Manier, aber eben auch sehr kleinzeilig.
Madame benötigte, wie sie mir bei meiner Vorstellung auf ihre Anzeige hin erklärte, einen „stillen, grossen, kräftigen und nicht zu intelligenten Angestellten, der ein passables Gedächtnis mit weniger Phantasie, aber genauester Beobachtungsgabe zu verbinden weiss“, und hiess mich eine Viertelstunde später, nachdem sie mich über meine Verhältnisse befragt hatte, den Satz genau zu wiederholen.
Was mir wortgetreu gelang, so dass sie mich vom Fleck weg engagierte, um ein Gehalt, das meine kühnsten Kalkulationen noch übertraf.
Als die Tinte unter dem Vertag trocken war, erklärte Madame mir, dass meine Vorgänger allesamt in ihren Diensten umgekommen seien, womit sie die Höhe des Entgeltes erklärte. Ich wusste nicht, ob Madame scherzte - sie sprach vollkommen ernst, aber mir mochte sich nicht erschliessen, wo der angenommene Dienst Gefahren bergen sollte:
Ich las jeden Vormittag ein halbes Dutzend Zeitungen und fasste Artikel, in denen bestimmte Worte verwendet wurden, zusammen, kürzte Füllwörter und Wiederholungen heraus und korrigierte unglücklichen Satzbau, um ihr am Mittag das Ergebnis vorzulegen. Nach dem Tee verlangte sie dann einige der Artikel im Original zu lesen, und abends musste ich eine korrigierte Version dieser Werke an die jeweiligen Redaktionen schicken, mit der Aufforderung, doch bitte „in einem solch angesehenen Blatte auf die korrekte Verwendung von Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion verstärkt zu achten“.
Es war ein Artikel in der Brüsselner Ausgabe der Times, die uns - der Madame auf die Affäre Watt aufmerksam machte, und sie selbst schrieb noch am selben Tag einen Brief, den ich persönlich zum Postamt zu bringen hatte, eingeschrieben, durch Boten, eilig und mit Rückantwort.
Noch am selben Abend reisten wir ab, um am Mittag des Folgetages in Brüssel einzutreffen - wahrscheinlich noch bevor der Brief seinen Empfänger hatte erreichenden können, denn wir nahmen das Postschiff, mit dem auch dieser den Kanal passierte.
...
danke für's Lesen!
