Autor Thema: Dampf - Der Steuerbescheid  (Gelesen 6016 mal)

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Uli

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Dampf - Der Steuerbescheid
« am: 26 September 2016, 15:04:37 »
Hallo Hölle,
Dies ist der Anfang der eigentlichen Geschichte von 'Dampf'.
Ein Einstieg in eine mehr oder weniger alltägliche Szene, die aber ein paar 'Grundlagen' transportieren soll. Ohne dabei dumpig zu werden, versteht sich ...
Ich gehe davon aus, dass ein ernstzunehmender Teil der Leseschaft den Prolog überblättert hat (grins), so dass hier die wichtigen Pflöcke eingeschlagen werden müssen - die Grundfrage ist also, ob das gelingt.

Weiterhin: Ist mit der 'Grundstimmung', Wortwahl etc schon ein Bild der Personen (Kleidungsstil, Haltung, solche Sachen) möglich, oder muss die Ausstattung genauer beschrieben werden?

Gleiches gilt für das Ambiente in der Stadt - es wäre mir natürlich Recht, wenn das Wort "Droschke" die Jahreszahl 'überbietet'.
Also ...
viel Spass beim Grillen, Lava steht im Eisschrank dort drüben und hier sind noch  :b5:




Der Steuererbescheid
Am zwanzigsten Dezember des Jahres 1988, um vier Uhr Nachmittags im Hauptkontor der Watt&Ohm Gesellschaft in Brüssel


William J. Watt stampfte zornbebend mit dem Fuss auf und zerknüllte den eingeschriebenen Brief in der linken Hand. Anlass genug für die Angestellten im Hauptkontor der Watt&Ohm-Gesellschaft, das Schlimmste zu fürchten: Das überschäumende Temperament des Herrn William, Erbe und Geschäftsführer einer der grössten Unternehmungen des Kontinents mochte diesen gar zu einem Kraftwort hinreissen.
Alle wussten, was für eine Nachricht das Schreiben enthielt, dessen Eintreffen das gesamte Hauptkontor mit Spannung und Hoffnung erwartet hatte, und aus den Zügen des Herrn William mussten sie lesen, wie der Bescheid lautete: Ablehnung.
Und das so kurz vor dem Weihnachtsfest.

William J. Watt gewann indes seine Haltung wieder, und nur ein leises Zähneknirschen, in der gespannten Stille gerade noch vernehmbar, zeugte von dem herben Schlag.
Er richtete sich hoch auf, blickte in die Runde seiner treuesten Mitarbeite und verkündete, was alle ahnten, ja, wussten:

„Abgelehnt, meine Damen und Herren. Wieder abgelehnt. Es tut mir Leid, dass unsere gemeinsamen Bemühungen so ohne Erfolg geblieben sind, und sage hier in aller Deutlichkeit: Diese Niederlage ist nicht Ihre Schuld, im Gegenteil! Aber das Schatzamt rechnet uns den Gewinn von mehr als einer Milliarde Goldrubel aus den Russischen Dependancen nicht gänzlich an, und begründet dies mit fadenscheinigen Argumenten.
Sie sprechen von verschleierten Verlusten, von zu gering angesetzten Abschreibungen und ähnlichen Dingen - böswillige Unterstellungen, um uns den Eintrag ins Steuerregister zu verweigern.
Meine Damen und Herren, ich beende den Kontorsbetrieb für diesen Tag - nach solch einer schockierenden Behandlung sehe ich mich nicht imstande, die Geschäfte ordentlich zu führen, und erwarte dies auch nicht von Ihnen.
 Bis morgen - und falls Sie in Erwägung ziehen, die Anstellung zu wechseln, kann ich Ihnen das nicht verdenken.“

Es herrschte bedrücktes Schweigen, während die Leute im Hauptkontor ihre Tintenfässer zuschraubten und Unterlagen ordneten, bis der Hauptbuchhalter Konrad Marx das Wort ergriff.
„Im Namen aller Mitglieder des Hauptkontors, mit Verlaub, Herr William: Wir sind in diesem Jahr geschlagen, ja - aber nicht besiegt! Wir stehen zu Ihnen und der Gesellschaft Watt&Ohm, und werden morgen mit frischem Mut darangehen, das zu vollenden, was wir begonnen haben!“

Lauter Jubel unterstrich seine Worte, und William Watt schöpfte neuen Mut: Mit dieser Mannschaft musste es gelingen! Mit den treuen Kontoristen, hier und in den Dependancen in der ganzen Welt, mit den Ingenieuren und Wissenschaftlern, und mit dem stolzen Heer der Arbeiterschaft.
Das Schatzamt des Vereinigten Königreiches konnte dem grössten Hersteller von Dampfmotoren unmöglich auf Dauer verweigern, seine Steuern zu bezahlen - ausgeschlossen.
Und bis dahin ... nun, er konnte sich auf die Findigkeit seiner Buchhalter verlassen: Diese würden Wege finden, den Gewinn zum Gemeinwohl anzulegen, das Geld seinem eigentlichen Zweck zuzuführen und es in Bewegung zu halten. Wenigstens das, wenn ihm und seinen Leuten auch vorerst der Titel des Steuerzahlenden verwehrt blieb.
---
William winkte einer Droschke - natürlich einem W&O-Modell - und stieg ein.
Der Fahrer kam ihm zuvor, bevor er die Adresse nennen konnte, fragte der Mann „nach Hause, Herr William?“ und er nickte erfreut.
Man kannte ihn, nicht nur in der Gesellschaft, sondern noch mehr im Volke, und begegnete ihm mit Achtung, sogar mit Zuneigung. Selbst hartgesottene Kerle aus den untersten Schichten, solche, die Bettelei und schmierige Geschäfte einer anständigen Anstellung vorzogen - ein echtes Ärgernis - tippten mit dem Finger an die Mütze und gingen fort, sobald sie „den Chef“, wie er allgemein genannt wurde, erkannten.

Am Ziel angelangt wollte der Fahrer - ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren - auf den regulären Preis verzichten und ihm nur den Vorzugspreis abverlangen, doch William sagte streng „es geht nicht an, dass einer seine Zeit und Kraft unter Preis verkauft“, und dann, in freundlicherer Manier „Aber ich danke ihm für die gute Absicht“, und gab ein grosszügiges Trinkgeld.
Was, wie er sehr wohl wusste, genau in der Absicht des Mannes gelegen war.

Offline eska

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Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #1 am: 26 September 2016, 22:32:09 »
N'Abend, Uli.

Ich bin mir gar nicht sicher, ob das, was ich zu deinem Text zu sagen habe, das beinhaltet, was du wissen willst. Aber lassen kann ich es trotzdem nicht.  :diablo:
Bestimmt ergänzt ein anderer /viele andere Teufel meine Eindrücke mit Grundlegendem, dann passt es wieder.  ;D


Also: In erster Linie bin ich irritiert. WIllst du mir eine echte Geschichte erzählen oder nur Gag für Gag hiesige Verhältnisse durch den Kakao ziehen?

Sie bemühen sich alle, genug Gewinn zu machen, um Steuerzahler zu werden. Verwirrend, weil nicht im Geringsten klar ist, was das Positives mit sich brächte, was jetzt noch fehlt.
Scheinbar geht es der Firma ja trotzdem gut - Millionen Gewinne, Dependancen überall, führend im Dampfmaschinengeschäft, so dass sogar eine zufällige Droschke (bei dem Wort denke ich aber an Pferde und bin irritert) von W&O stammt. Dazu treue und loyale Mitarbeiter ohne eigene, abweichende Wünsche (alle zittern mit bzw. sind betrübt), und das seit Jahren, sie sind also auch noch überzeugt.
Warum die Firma nicht anerkannt wird und was das Schatzamt davon hat, erschließt sich mir auch nicht.

Alles sehr satirisch, aber dadurch ergibt sich kein stimmiges Bild von einer funktionierenden Gegen-Gesellschaft. Wenn Menschen da so anders ticken als uns bekannt (und bis zum Taxifahrer tun das alle), dann muss das einen Grund haben - kollektiver Drogenrausch, Religion, Strafen für jedwede Form von erkennbarem Egoismus, Erziehung - oder an ganz wesentlichen Teilhabe-Möglichkeiten, wenn man erst Steuern zahlen darf... siehe oben.
Wenn Steuer also etwas ganz anderes bedeutet als im diesseitigen Hosenbein, dann führt das Wort auf eine falsche Fährte.
A propos: Wenn ich den Prolog nicht gelesen hätte, würde ich mich nur im falschen Hosenbein fühlen, ohne eine Ahnung von dahinterliegendem Programm. Sprich: Es gibt hier keinen klaren Hinweis auf eine alternative Realität, nur Verwirrendes wie Brüssel 1988 und Tintenfässer etc.

Zitat
Ich gehe davon aus, dass ein ernstzunehmender Teil der Leseschaft den Prolog überblättert hat (grins), so dass hier die wichtigen Pflöcke eingeschlagen werden müssen - die Grundfrage ist also, ob das gelingt.
Tja, dementsprechend muss ich wohl daran zweifeln. Oder ich seh die Pflöcke vor lauter Hämmern nicht.

Zitat
Weiterhin: Ist mit der 'Grundstimmung', Wortwahl etc schon ein Bild der Personen (Kleidungsstil, Haltung, solche Sachen) möglich, oder muss die Ausstattung genauer beschrieben werden?

Sagen wir: ansatzweise. Ja, es wirkt passagenweise stimmig antiquiert, aber obige Probleme lassen mich nicht eintauchen, dazu wären auch mehr Details besser (ein Paternoster? ein Portier? polierte Messinggriffe?). Ich sehe noch nicht viel von der Umgebung, höre weniger und rieche nichts. Zu Kleidung und Haltung kann ich nur fabulieren, allerdings legt der Gebrauch von Kraftworten als Schlimmstmögliches eher strenge Disziplin als das Übliche nahe. (Das finde ich auch eine unglaubwürdige Stelle.)

Interessant finde ich folgendes:
Zitat
Selbst hartgesottene Kerle aus den untersten Schichten, solche, die Bettelei und schmierige Geschäfte einer anständigen Anstellung vorzogen - ein echtes Ärgernis - tippten mit dem Finger an die Mütze und gingen fort, sobald sie „den Chef“, wie er allgemein genannt wurde, erkannten.
Es zeigt sich hier das erste Mal etwas wie unsere Normalität: Menschen, die sich dem reibungslosen Ablauf weiter oben verweigern. Für mich ist das ein Zeichen, dass es damit eben nicht stimmt, dass all das Gezeigte Fassade sein muss (warum die nötig ist, weiß ich nicht), dass diese Welt so funktioniert wie der Fahrer: Weniger anmelden, um den Gutmenschen-Bonus zu haben, und dadurch mehr kriegen. Wieso das so übergreifend klappt? Und was sie alle wollen?
Ein bisschen nachfüttern also bitte, um die Neugier zu befriedigen!

Auf freudiges Wiederlesen,
 :kaffee2:

eska



  • Ich schreibe gerade: mal wieder kaum. Feinschliff Lethbridge ist dran. Diverses liegt wieder auf Eis.

Uli

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #2 am: 26 September 2016, 23:00:52 »
ay eska
fein!

Also, mehr Details, das lässt sich machen. Und das dicke Brett ...

Ja, das ist ein Problem, das dicke Brett: Im anderen Hosenbein haben wir nicht nur Dampf-Droschken und Tintenfässer in 1988, sondern auch ein etwas anderes Wertesystem. Und in diesem ist es erstrebenswert, Steuerzahler zu sein, aus gleich mehreren Gründen.
Erfolgs-Symbol und Prestige, dazu Einfluss an verschiedenen Stellen (auch, weil man eben 'dazugehört') - es ist eine Art Ritterschlag.
(es kommen noch einige Dinge dazu, der Theorie-Teil der Notizen ist recht umfangreich. Aber - innerhalb gewisser Grenzen - ziemlich schlüssig, bzw auch nicht idiotischer als die Wirtschaft in unserem Bein.)
Satire ist da eher wenig dabei.

Und tatsächlich 'ticken' die Leute nicht wesendlich anders, sie haben nur andere Grundlagen. Andere Werte und Ideen, aber sonst sind sie, wie Leute nun mal sind.
Die Umgangsformen sind halt nicht amerikanisiert, was vor allem daran liegt, dass die Kolonien nicht zu den USA geworden sind (und nicht mal bis zu Westküste ausgedehnt wurden), und das es auch andere Ereignisse nicht gab: Immer noch viktorianisch, Standesdenken zum Teil, und niemand hat die irre Idee, Vermögenswerte zu sammeln.
(tatsächlich gab es auch in diesem Hosenbein immer wieder auch gestandene Kapitalisten, die ziemlich viel Geld für Wohlfahrt und soziale Einrichtungen aufgebracht haben - aus sehr pragmatischen, sogar egoistischen Motiven)

Aber OK: Das ist halt offenbar etwas arg am Anfang ...
Also: Schleifpapier und Lack und ...


mal sehen.

Danke dir für deine Eindrücke!
Uli

Offline eska

  • Röstdämon
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  • Beiträge: 424
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #3 am: 27 September 2016, 11:39:25 »
Hi Uli;

danke für den Nachtrag und die Klarstellung.  :cheese:

Zitat
Und in diesem ist es erstrebenswert, Steuerzahler zu sein, aus gleich mehreren Gründen.
Erfolgs-Symbol und Prestige, dazu Einfluss an verschiedenen Stellen (auch, weil man eben 'dazugehört') - es ist eine Art Ritterschlag.

Soweit schon klar, aber: Erstens muss das irgendwo schon rein - ein Satz wie "Das bedeutet, wir werden im nächsten Jahr noch immer nicht XXX tun können." (dazugehören, mitbestimmen über die Verteilung der Gelder, welche Vorteile konkret genießen?) - damit ich weiß, ja, das ist wirklich ein Problem.
Zweitens, nimm das zweideutige humoristische Element raus, das sich mir als satirisch dargestellt hat.

Zitat
Und tatsächlich 'ticken' die Leute nicht wesendlich anders, sie haben nur andere Grundlagen. Andere Werte und Ideen, aber sonst sind sie, wie Leute nun mal sind.

Also, andere Werte machen Menschen schon zu ziemlich unerschiedlichen Wesen, besonders wenn die ganze Gesellschaft so funktioniert. Deshalb reib es mir gleich unter die Nase, lass eine Angestellte mittleren Alters in Tränen ausbrechen vor Mitgefühl, jemand sehr jungen noch unbekümmert pfeifen, während er sein Zeugs aufräumt und sich auf seine Freundin freut, und den Ernst der Lage erklärt bekommen oder einen 'Verräter' (bezahlt von der Konkurrenz) sich ins Fäustchen lachen, dass seine oder andere Manipulationen geklappt haben.
Was haben die Einzelnen davon, was steht auf dem Spiel? Wie funktioniert diese Gesellschaft denn nun?

Next: Das Wort Steuern hat eine Menge Konnotationen, für viele eher negative. Wenn Steuern zahlen dürfen eine Auszeichnung ist, würde ich es anders nennen - und es unterscheiden von anderen Staatseinnahmen, die das allgemeine Leben finanzieren (oder nicht finanzieren? Wer baut Straßen, wie läuft Bildung und Forschung, was ist mit sozialer Sicherung, Militär, Politikergehältern etc.?).

Und dass sie alle so unisono zu denken scheinen, das macht mich argwöhnisch. Irgendjemand in diesem Kontor (ich sehe eine lange Reihe Tische im Großraumbüro) wird doch mindestens in Ansätzen anders denken, die Lippen zusammenpressen, auf seine mangelnde Empathie angesprochen werden ...

Klingt nach ausbauen: Viel Spaß am Fabulieren!

eska
  • Ich schreibe gerade: mal wieder kaum. Feinschliff Lethbridge ist dran. Diverses liegt wieder auf Eis.

Uli

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #4 am: 27 September 2016, 19:31:44 »
ay eska,

Danke für das weitere Feedback!
Und lass mich eine Antwort versuchen:
Früher mal habe ich so gearbeitet: Alles 'Besondere' möglichst sofort begreifbar machen. Und das war ziemlich schlimm ...
Gut, die Jahre mit den kurzen Formen (zum Teil seeeeehr kurze Formen) haben vielleicht einen Tick zu gründlich gewirkt. Kann ja sein.
Und ja, ein Wenig mehr wird noch gehen.

Die "Steuern" umzubenennen hingegen, das geht eher nicht: Den Begriff gab es schon, als die Zeithose entstand und es gibt keinen Anlass, das anders zu nennen (weil Die ja unsere Bedeutung/Haltung nicht kennen)

Vorab-Info: Schulen und Strassen etc baut und finanziert, wer diese braucht/haben möchte. Meist Unternehmer, die gerne ausgebildete Leute und Transportwege hätten.
Der Staat stellt nur den Masterplan auf, um das zu koordinieren.
Dazu gibt es 'Gesellschaften' die für bestimmte Zwecke Spenden sammeln (und auch bekommen, weil soziales Engagement dort Statussymbol ist).
Grob könnte man auch sagen, dass die Geld-Leute dort die einfache Formel
"Soziales Gefälle führt zu Bürgerkrieg, da kann man sterben!" begriffen hat, und daher lieber präventiv in Sozialkassen einzahlt als in Truppen zu investieren. Auch, weil Bewaffnete eben bewaffnet sind und auf die Idee kommen könnten, das in Lohnverhandlungen einzubringen ...

Ein Gedicht von Kästner, das im anderen Hosenbein *nicht* geschrieben wurde, weil es in James Watt Ausführungen (siehe Prolog) vorweggenommen und verstanden wurde:

Ansprache an Millionäre

Warum wollt ihr so lange warten,
bis sie euren geschminkten Frauen
und euch und den Marmorpuppen im Garten
eins über den Schädel hauen?

Warum wollt ihr euch denn nicht bessern?
Bald werden sie über die Freitreppen drängen
und euch erstechen mit Küchenmessern
und an die Fenster hängen.

Sie werden euch in die Flüsse jagen.
Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein.
Sie werden euch die Köpfe abschlagen.
Dann wird es zu spät sein.

Dann wird sich der Strahl der Springbrunnen röten.
Dann stellen sie euch an die Gartenmauern.
Sie werden kommen und schweigen und töten.
Niemand wird über euch trauern.

Wie lange wollt ihr euch weiter bereichern?
Wie lange wollt ihr aus Gold und Papieren
Rollen und Bündel und Barren speichern?
Ihr werdet alles verlieren.

Ihr seid die Herrn von Maschinen und Ländern.
Ihr habt das Geld und die Macht genommen.
Warum wollt ihr die Welt nicht ändern,
bevor sie kommen?

Ihr sollt ja gar nicht aus Güte handeln!
Ihr seid nicht gut. Und auch sie sind’s nicht.
Nicht euch, aber die Welt zu verwandeln,
ist eure Pflicht!

Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.

Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen –
das lohnt, drüber nachzudenken.

Macht Steppen fruchtbar. Befehlt. Legt Gleise.
Organisiert den Umbau der Welt!
Ach, gäbe es nur ein Dutzend Weise
mit sehr viel Geld…

Ihr seid nicht klug. Ihr wollt noch warten.
Uns tut es leid. Ihr werdet’s bereuen.
Schickt aus dem Himmel paar Ansichtskarten!
Es wird uns freuen.


Lilith

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #5 am: 27 September 2016, 23:29:13 »
Hallo Uli,

uff. Das ist jetzt mein zweiter Ansatz zu einer Röstung und ein Versuch, den Finger auf den wunden Punkt zu legen. Ich hatte erst versucht, mich am Text entlangzuhangeln, hat aber nicht bis kaum geklappt, also zäum ich das Pferd einfach mal von hinten auf.

Du schreibst, das hier soll ein eigenständiger Einstieg werden, aber bitte ohne Infodump.
Das hier:
Zitat
Ich gehe davon aus, dass ein ernstzunehmender Teil der Leseschaft den Prolog überblättert hat
hat mich zum Schmunzeln gebracht.
Ich gehöre schon jetzt nicht mehr zu dieser Gruppe, weil ich den Prolog gelesen, aber (offensichtlich) nicht kommentiert habe. :cheese:
Und zugleich die Rückfrage: Warum gehst du davon aus? Warum schreibst du dennoch deinen Prolog? Was hat der Leser, der den Prolog nicht überblättert, deiner Meinung nach davon? ;) Oder besser: Was soll er davon haben?

Das führt mich dann auch zu den Grundfragen für diesen Text:  Warum hast du diesen Einstieg gewählt, was macht ihn zum perfekten Einstieg für diese eine Geschichte? Was vermittelst du dem Leser hier, was du später nicht vermitteln kannst, warum muss der Leser das zuerst wissen? Was ist die Frage, die du aufwerfen möchtest, auch für den Leser und sei es nur eine unterschwellige? Usw.

Nehmen wir also mal auseinander, welche Infos sich in diesem Text so alle verbergen und schauen anhand derer, ob das, was du dir vorstellst, so funktionieren kann wie du willst.
(Aus deinen Antworten an eska geht ja hervor, dass du mittlerweile versuchst, das Bild sich eher langsam aufbauen zu lassen, Schritt für Schritt, nicht alles auf einmal.)

Zitat
Der Steuererbescheid
Steuerbescheid

Zitat
Am zwanzigsten Dezember des Jahres 1988, um vier Uhr Nachmittags im Hauptkontor der Watt&Ohm Gesellschaft in Brüssel
Zeit- und Ortsangabe.
Zieht sich das durch die Geschichte durch, auch für andere Kapitel? Ich persönlich mag sowas nicht, weil ich das lese und nach fünf Zeilen wieder vergessen habe, aber das ist auch Geschmackssache.
Aber gut, für die Röstung merk ich's mir. :cheese:

Zitat
William J. Watt stampfte zornbebend mit dem Fuss auf und zerknüllte den eingeschriebenen Brief in der linken Hand. Anlass genug für die Angestellten im Hauptkontor der Watt&Ohm-Gesellschaft, das Schlimmste zu fürchten: Das überschäumende Temperament des Herrn William, Erbe und Geschäftsführer einer der grössten Unternehmungen des Kontinents mochte diesen gar zu einem Kraftwort hinreissen.
Alle wussten, was für eine Nachricht das Schreiben enthielt, dessen Eintreffen das gesamte Hauptkontor mit Spannung und Hoffnung erwartet hatte, und aus den Zügen des Herrn William mussten sie lesen, wie der Bescheid lautete: Ablehnung.
Und das so kurz vor dem Weihnachtsfest.

Erster Satz: William J. Watt als Figur eingeführt, Bezug zur Gesellschaft direkt klar (Nachname ...) - er ist der Chef. William zerknüllt also ein Einschreiben. Nochmalige Erwähnung des Watt&Ohm-Hauptkontors als Schauplatz (brauchst du das?) und wir werden damit konfrontiert, dass das Schlimmstmögliche an einem Wutausbruch Williams wäre, dass er ein Schimpfwort benutzt. Zurückhaltung also, Höflichkeit hat einen großen Stellenwert in der Gesellschaft. Gefühlen lässt man nicht einfach so freien Lauf, Selbstkontrolle als Wert.
Im Schreiben ist ein Bescheid und sie wissen (woher?), dass es sich um eine Ablehnung handelt – war also mit zu rechnen, wird anscheinend ständig abgelehnt (die Überschrift verrät natürlich schon, um was für einen Bescheid es geht, aber da ich nicht weiß, inwiefern das tatsächlich auch Kapitelüberschrift ist, lass ich das einfach mal außer Acht :P).
Oh, und noch mal Zeitangabe, kurz vor Weihnachten.
Bist du sicher, dass du die Angabe am Anfang brauchst? :)
Frage: Warum ist es so schlimm, dass es kurz vorm Weihnachtsfest kommt? Frage ich, weil es sich ja um eine Alternativgesellschaft handelt, von der ich (noch) nicht weiß, welchen Stellenwert Weihnachten für die hat, ob Weihnachten da überhaupt dieselbe Bedeutung hat wie bei uns. Verdirbt ihnen das die Feierlaune? Ist das hier 'ne Art Abschlussversammlung, weil das Jahr bald zu Ende geht, und sie werden kaum mehr Möglichkeit haben, in diesem Jahr das zu korrigieren, was ihnen mit der Ablehnung ins Haus steht? Miese Bilanz vielleicht? Oder oder oder ... Das sind nicht alles Informationen, die du geben musst, aber Informationsfetzen, mit denen du jonglieren könntest, um das Bild ... umfassender zu gestalten.

Zitat
William J. Watt gewann indes seine Haltung wieder, und nur ein leises Zähneknirschen, in der gespannten Stille gerade noch vernehmbar, zeugte von dem herben Schlag.
Er richtete sich hoch auf, blickte in die Runde seiner treuesten Mitarbeite und verkündete, was alle ahnten, ja, wussten:
Wichtigste Information: William gewinnt seine Haltung zurück und im Saal herrscht bedrücktes bzw. bedrückendes Schweigen.

Zitat
„Abgelehnt, meine Damen und Herren. Wieder abgelehnt. Es tut mir Leid, dass unsere gemeinsamen Bemühungen so ohne Erfolg geblieben sind, und sage hier in aller Deutlichkeit: Diese Niederlage ist nicht Ihre Schuld, im Gegenteil! Aber das Schatzamt rechnet uns den Gewinn von mehr als einer Milliarde Goldrubel aus den Russischen Dependancen nicht gänzlich an, und begründet dies mit fadenscheinigen Argumenten.
Sie sprechen von verschleierten Verlusten, von zu gering angesetzten Abschreibungen und ähnlichen Dingen - böswillige Unterstellungen, um uns den Eintrag ins Steuerregister zu verweigern.
Meine Damen und Herren, ich beende den Kontorsbetrieb für diesen Tag - nach solch einer schockierenden Behandlung sehe ich mich nicht imstande, die Geschäfte ordentlich zu führen, und erwarte dies auch nicht von Ihnen.
 Bis morgen - und falls Sie in Erwägung ziehen, die Anstellung zu wechseln, kann ich Ihnen das nicht verdenken.“
Es wurden also schon mehrere Versuche unternommen trotz aller Bemühungen, eine Bewilligung zu erhalten ist wichtiges und großes Ziel, aber für den Rückschlag soll sich niemand verantwortlich fühlen (welchen Grund gäbe es dazu? Heißt: Welche Fehler müssten sie gemacht haben? Davon könnte man schon Andeutungen und Befürchtungen in den Einstiegsabschnitt packen), ein Amt tut, was Ämter so tun, wenn sie Anträge ablehnen: fadenscheinig begründen. :P
Schatzamt also, russische Niederlassungen und Gewinne in Goldrubel, bin gespannt auf die Bedeutung Russlands in der Welt.
Und hier ein Grund, warum die Ablehnung wirklich so schrecklich ist: Betriebsunterbrechung. Was hier abgelehnt wurde und warum (abgesehen davon, dass es wohl »fadenscheinig« war) bleibt mir vorenthalten, aber es war verdammt wichtig und die neuerliche Ablehnung ist offenbar so beschämend für die Firma, dass Leute in Erwägung ziehen könnten, deshalb die Anstellung zu wechseln. Scheint also keinen Mangel an Arbeitsplätzen zu geben.

Zitat
Es herrschte bedrücktes Schweigen, während die Leute im Hauptkontor ihre Tintenfässer zuschraubten und Unterlagen ordneten, bis der Hauptbuchhalter Konrad Marx das Wort ergriff.
„Im Namen aller Mitglieder des Hauptkontors, mit Verlaub, Herr William: Wir sind in diesem Jahr geschlagen, ja - aber nicht besiegt! Wir stehen zu Ihnen und der Gesellschaft Watt&Ohm, und werden morgen mit frischem Mut darangehen, das zu vollenden, was wir begonnen haben!“
's wird aufgeräumt, zusammengeräumt, niemand traut sich, was zu sagen. Zurückhaltung wieder, Höflichkeit als Stellenwert. Marx, aha, nach Watt der zweite Namedrop. ;D Hauptbuchhalter, direkt mit Finanzen verknüpft. Von der Kombination erwarte ich etwas und sei es ein gesellschafts- und finanzpolitisches System, okay, eigentlich erwarte ich genau damit eine Verbindung. K. Marx spricht William Mut zu, aber wir wissen immer noch nicht, wozu.

Zitat
Lauter Jubel unterstrich seine Worte, und William Watt schöpfte neuen Mut: Mit dieser Mannschaft musste es gelingen! Mit den treuen Kontoristen, hier und in den Dependancen in der ganzen Welt, mit den Ingenieuren und Wissenschaftlern, und mit dem stolzen Heer der Arbeiterschaft.
Das Schatzamt des Vereinigten Königreiches konnte dem grössten Hersteller von Dampfmotoren unmöglich auf Dauer verweigern, seine Steuern zu bezahlen - ausgeschlossen.
Und bis dahin ... nun, er konnte sich auf die Findigkeit seiner Buchhalter verlassen: Diese würden Wege finden, den Gewinn zum Gemeinwohl anzulegen, das Geld seinem eigentlichen Zweck zuzuführen und es in Bewegung zu halten. Wenigstens das, wenn ihm und seinen Leuten auch vorerst der Titel des Steuerzahlenden verwehrt blieb.
K. Marx' Ansprache hebt nicht nur Williams Stimmung, sondern die der ganzen Belegschaft – wollten eben nicht noch alle gehen? Was war so besonders an K. Marx' (ich kann nicht anders, sorry :)) Worten, was hat sie überzeugt? Allein die Ansprache ans Kollektiv? Ist mir noch schleierhaft ... Sozialismus-Anleihen gehen weiter: stolzes Heer der Arbeiterschaft, es wird klarer, in was für einem Gesellschaftssystem wir uns befinden. Und wir befinden uns im United Kingdom. Dampfmotoren, klar. Ah, es geht also um Steuern – was ist so geheimnisvoll an dieser Info, dass du sie bis jetzt verschweigst? Watt&Ohm stellen Dampfmotoren her und nicht zu knapp, größter Konzern – im Vereinigten Königreich, weltweit?
Einziger Weg aus der Bredouille: Buchhaltung, Tricks und Schlupflöcher, aber nicht für das Wohl der Firma, sondern für das Gemeinwohl. Was hat die Buchhalter bisher davon abgehalten, ihre Findigkeit unter Beweis zu stellen und für eine Steuerzulassung zu sorgen? Sollte es hier nicht eine Ansprache geben, was besser zu machen wäre, welche Fehler es zu vermeiden gälte, um im nächsten Jahr nicht wieder vor einer Niederlage zu stehen?

Zitat
William winkte einer Droschke - natürlich einem W&O-Modell - und stieg ein.
Der Fahrer kam ihm zuvor, bevor er die Adresse nennen konnte, fragte der Mann „nach Hause, Herr William?“ und er nickte erfreut.
Man kannte ihn, nicht nur in der Gesellschaft, sondern noch mehr im Volke, und begegnete ihm mit Achtung, sogar mit Zuneigung. Selbst hartgesottene Kerle aus den untersten Schichten, solche, die Bettelei und schmierige Geschäfte einer anständigen Anstellung vorzogen - ein echtes Ärgernis - tippten mit dem Finger an die Mütze und gingen fort, sobald sie „den Chef“, wie er allgemein genannt wurde, erkannten.
William winkt einer Droschke, hat den Betrieb verlassen – Feierabend? Fährt mit einem eigenen Modell. William ist bekannt in der Stadt, der Fahrer erkennt ihn sofort, William scheint das zu überraschen bzw. erwartet das nicht oder ist zu bescheiden, um es erwarten zu wollen (sonst würde er damit rechnen, seine Adresse nicht nennen zu müssen oder gleich darauf verzichten).
Der nächste Absatz fasst das noch mal zusammen – neu sind die hartgesottenen Kerle aus der Unterschicht. Warum sind sie für ihn ein echtes Ärgernis? Gibt's da einen Zusammenhang zu seiner Firma? Was nötigt selbst ihnen den Respekt vor dem Chef ab, gerade wenn es den Zusammenhang geben sollte? Was macht William allgemein so besonderes? Seine Ausstrahlung, seine Haltung, das, was er für die Gemeinschaft tut, besondere Vorfälle, eine soziale Stellung außerhalb von Watt&Ohm ...?

Zitat
Am Ziel angelangt wollte der Fahrer - ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren - auf den regulären Preis verzichten und ihm nur den Vorzugspreis abverlangen, doch William sagte streng „es geht nicht an, dass einer seine Zeit und Kraft unter Preis verkauft“, und dann, in freundlicherer Manier „Aber ich danke ihm für die gute Absicht“, und gab ein grosszügiges Trinkgeld.
Was, wie er sehr wohl wusste, genau in der Absicht des Mannes gelegen war.
Der Fahrer ist ein junger Mann von zwanzig Jahren – warum wartest du mit diesem Detail erst jetzt auf? - und er verzichtet auf den regulären Preis, es gibt also Vorzugspreise für Bessergestellte? Hm, doch nichts mit Sozialismus? William lehnt die Vorzugsbehandlung ab und gibt großzügiges Trinkgeld, ein Grund dafür, warum er zusätzlich so anerkannt ist?

Noch mal das Wichtigste aus meinen Kommentaren zusammengefasst:
  • Zeit- und Ortsangabe: Brüssel 1988, Watt&Ohm Hauptkontor
  • William J. Watt als Figur/Chef
  • Einschreiben
  • Selbstkontrolle als Wert
  • Ablehnungsbescheid
  • kurz vor Weihnachten
  • große Anstrengungen für die Bewilligung
  • Scheitern
  • Russland
  • fadenscheinige Begründungen durch's Amt
  • Schande für die Firma
  • K. Marx macht Mut
  • Belegschaft jubelt
  • Buchhalter sollen's richten
  • auf ein Neues!
  • William nimmt eine Droschke
  • Feierabend?
  • William ist bekannt und anerkannt in der Stadt, selbst unter Kriminellen
  • William lehnt Vorzugsbehandlung ab und gibt großzügiges Trinkgeld

Szene 1:
Welcher Konflikt zeichnet sich ab? Kein Steuerbescheid, obwohl sie so dringend einen wollen.
Hauptkonflikt? Kann ich bislang nicht ausmachen, aber ich geh davon aus, dass es in der Geschichte nun nicht primär um Steuerbescheide geht.

Szene 2:
Welcher Konflikt zeichnet sich ab? Reduzierte vs. volle Preise? Wäre das einzige Erkennbare in die Richtung.
Hauptkonflikt? Nada.

Das Steampunk-Setting finde ich schon ganz gut unterlegt und angedeutet mit sprachlichen Anspielungen, da könnte aber allgemein noch mehr durch das Portrait der Firma und deren Angestellten usw. passieren, ich vermisse hier vornehmlich ... Leben. Der Text ist ziemlich statisch. Den Erzählstil empfinde ich ähnlich.

Willst du mit allwissendem Erzähler arbeiten? Dann würde ich auch an der Herausarbeitung einer entsprechend Stimme arbeiten, ihm Charakteristika geben, ihn nicht einfach herunterleiern lassen, momentan tut er das für mich noch.

Infodump-Gefahr sehe ich ziemlich große und auch formulierungstechnisch liegt noch einiges im Argen (Redundanzen, noch stellst du viele Behauptungen auf).

Beispiele für Infodump:
Zitat
Anlass genug für die Angestellten im Hauptkontor der Watt&Ohm-Gesellschaft, das Schlimmste zu fürchten:
Zitat
Das überschäumende Temperament des Herrn William, Erbe und Geschäftsführer einer der grössten Unternehmungen des Kontinents mochte diesen gar zu einem Kraftwort hinreissen.
Zitat
Das Schatzamt des Vereinigten Königreiches konnte dem grössten Hersteller von Dampfmotoren unmöglich auf Dauer verweigern, seine Steuern zu bezahlen - ausgeschlossen.
Zitat
William winkte einer Droschke - natürlich einem W&O-Modell - und stieg ein.

Beispiele für Formulierungen und Redundanzen:
Zitat
William J. Watt stampfte zornbebend mit dem Fuss auf und zerknüllte den eingeschriebenen Brief in der linken Hand.
»mit dem Fuß aufstampfen« impliziert bereits den Zorn, da braucht's das Adjektiv nicht
umständlich: Warum nicht Einschreiben?
Hand: Warum ist es wichtig, dass es die linke ist?

Zitat
Alle wussten, was für eine Nachricht das Schreiben enthielt, dessen Eintreffen das gesamte Hauptkontor mit Spannung und Hoffnung erwartet hatte, und aus den Zügen des Herrn William mussten sie lesen, wie der Bescheid lautete: Ablehnung.
Spannung vs Hoffnung find ich kein gelungenes Gegensatzpaar: Ich kann auch gespannt hoffen. Vielleicht sowas wie »Bangen und Hoffen«?
in den Zügen lesen

Zitat
William J. Watt gewann indes seine Haltung wieder, und nur ein leises Zähneknirschen, in der gespannten Stille gerade noch vernehmbar, zeugte von dem herben Schlag.
Er richtete sich hoch auf, blickte in die Runde seiner treuesten Mitarbeite und verkündete, was alle ahnten, ja, wussten:
»gerade noch vernehmbar«, also kaum vernehmbar in der Stille? Sollte das nicht umgekehrt sein: gerade in der Stille deutlich vernehmbar? Ich denke mal, das Bild, das du erzeugen willst, ist das vom beklommenen Schweigen, in dem jedes noch so leise Geräusch, hörbar wird? Aber das sagt die Formulierung nicht aus.
Gerade waren es noch »die Angestellten«, das erzeugte bei mir eher das Bild von einer Vollversammlung, jetzt sind es nur noch die treuesten Mitarbeiter (also die wichtigsten?).
[...] was alle ahnten, nein, wussten [...]

Zitat
nun, er konnte sich auf die Findigkeit seiner Buchhalter verlassen
Rein inhaltlich, hab ich ja auch oben schon angesprochen: Glaub ich nicht, denn bislang ist es ihnen ja auch nicht geglückt und ich sehe keinen Grund, warum es ihnen diesmal besser gelingen sollte, und ich sehe ebensowenig einen Grund für William, das zu denken.

Am Aufbau der einzelnen Szenen würde ich auch noch feilen. Wenn du nicht über die Konflikt-Schiene gehen willst, denk über die jeweilige Aussage der Szene nach, das, was du mit ihr auf den Punkt bringen willst. Für Szene 1 z.B. die Sache mit dem Steuerbescheid und inwiefern die Steuer in deiner Welt so anerkannt ist, dass Firmen sich drum reißen, zahlen zu dürfen statt die Vorzüge Panamas zu genießen. Was dafür notwendig ist, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, es aber nicht tun und was sie bereit sind, dafür alles einzusetzen. Für Szene 2 wäre das Williams sozialer Status, da könnte man auch noch mehr draus machen, vielleicht im direkten Vergleich über den Fahrer und einer weiteren Person, die ihm auf dem Heimweg begegnet? Was ihn zu Hause erwartet (was er zu Hause erwartet), weiß ich ja auch nicht, kann ich nicht mal erahnen. Frau und Kind? Tiefste Einsamkeit? Eine Mütze voll Schlaf? Eine Nacht am Schreibtisch? Einbruchsspuren, Wohnung ausgeraubt? ;)

Worauf die Geschichte selbst hinauswill, kann ich ab diesem Punkt überhaupt noch nicht sagen, das bleibt mir schleierhaft, ich bin mir nicht mal sicher, ob ich William noch eine Weile werde begleiten dürfen (der überdies noch ziemlich blass bleibt, was weiß ich eigentlich über ihn, außer dass er zuweilen ein überschäumendes Temperament hat und die Leute ihn mögen?).

Zur weiteren Frage:
Zitat
Ist mit der 'Grundstimmung', Wortwahl etc schon ein Bild der Personen (Kleidungsstil, Haltung, solche Sachen) möglich, oder muss die Ausstattung genauer beschrieben werden?
Ich könnte mir jetzt etwas zusammenfantasieren (wäre mir aber nicht zu sicher, in welche Richtung ich eher gehen sollte – Industrialisierung? Viktorianisch? Belle Époque/Fin de Siècle? Um den Dreh.), bin mir aber sicher, der Text würde enorm gewinnen, würdest du davon etwas mehr einstreuen, gerade, um Bekanntes (tatsächlich historisch inspiriertes) von Eigenheiten (deiner Welt) abzuheben.

Das war's vorerst von meiner Seite.
In der Hoffnung, was Sinnvolles oder Hilfreiches beigetragen zu haben ...

Liebe Grüße,
Lilith

Uli

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #6 am: 28 September 2016, 09:06:33 »
 :hach:

ay Lilith,

Schade, dass es keine Orden gibt in der Hölle; du hättest einen verdient. Am Bande und mit Grillholzlaub.
Leider habe ich grad keine Zeit für ausführliche Antwort, daher nur kurz
:danke2:

du hast genau die richtigen Fragen gestellt, und deine Analyse ist großartig!

cheers, Uli

Rilyn

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #7 am: 04 October 2016, 06:03:44 »
Hoi Uli,

dem habe ich nichts hinzuzufügen. :cheese:

Zum Gesamteindruck:
Backsteingebäude, schön, ein bisschen altmodisch. Schnörkelige Geländer (nicht zu schnörkelig). Zylinder-und-Stock-Gentlemen, bei denen ein Monokel noch Statussymbol ist, obwohl es Brillen gibt. Die Droschke stelle ich mir mit Dach und Speichenrädern, aber Gummireifen vor. Sie holpert auf dem Kopfsteinpflaster ganz schön. ;D
Die Jahreszahl habe ich glatt überlesen, der Gesamteindruck kommt schon rüber.

Und ich wünschte zwar, es gäbe Firmenchefs wie diesen, aber ich glaube es nicht. Vielleicht ein paar wenige, die kein allzu großes Unternehmen leiten.
Die Schwierigkeit in Sachen willing suspension of disbelief hier ist die Tatsache, dass es Geld ja schon lange gibt, und dass auch vor der Trennung der Hosenbeine Geld gerafft und angehäuft wurde, durch die ganze Geschichte hindurch ohne nennenswerte Pause.
Das zweite, größere Problem ist der Widerspruch: weshalb sollte ein Staat, der als solcher auf Steuergelder angewiesen ist, diese ablehnen? Damit gibt er auch wirtschaftliche Macht - und damit die eigentliche - aus der Hand. Ohne eine Begründung haut das für mich nicht hin. Beispielsweise sinnvolle und einfache Steuergesetze in diesem Hosenbein: Firmen behalten Gewinne bis zu einer gewissen Grenze zur Weiterverwendung, erst darüber werden Steuern fällig. Privatleute zahlen erst ab einem gewissen Vermögen. Etcblah. Umsatzsteuern können außen vor bleiben, die interessieren in dieser Szene offensichtlich nicht.
Alternativ: Der Staat ist gar nicht so nett. Steuern dürfen erst ab einer sehr hohen Grenze bezahlt werden. Watt ist einer der wenigen, die das wollen, aber er erreicht diese Grenze nicht mehr, weil ein Kartell von Geldsäcken dafür gesorgt hat, dass die Steuergrenze fast unmöglich hoch liegt. Sie behalten ihr Geld nunmal gern.
Nur Gedankenspielereien, ich weiß ja nicht, inwieweit das überhaupt zu deinem Plot passt.

Ich hoffe, dieses Minirösti bringt dir irgendwas. :ups:

Liebe Grüße!
Ril

Uli

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #8 am: 04 October 2016, 09:53:17 »
ay Rilyn,

Ja, das bringt was: Du bestärkst den Punkt, dass die Sache mit den Steuern umgehend erklärt werden muss. Wg 'strangesness-Faktor' sonst zu hoch. OK.

Dass das Setting ansonsten rüberkommt, freut mich sehr!

Diese Steuern-Sache verhält sich so (im Groben):
Der Aufsatz, den James Watt damals geschrieben hat, wurde sehr populär - er behandelte darin Fragen des 'vernünftigen Wirtschaftens und der Verwendung des Gewinnes' - und bei einer Reise in die amerikanischen Kolonien traf dieser Aufsatz auf die gerade formulierte Forderung 'Keine Steuern ohne Parlamentssitz'.
Nun, wie dass mit solchen Dingen halt sein kann: Die Sache wurde zum Selbstläufer, weil jemand klug genug war, den Aufstand der Kolonien vermeiden zu wollen - ohne diesen aber einen Platz im Unterhaus zu geben.
(Nicht viel absurder, als das Kommunistische Manifest in einem feudalistischen Argrarstaat unzusetzen anstatt in einem Industriestaat ...)

Staatsaufgaben müssen tatsächlich finanziert werden, aber die eine Idee hier ist: Steuern berechtigen zur Mitbestimmung, also versuchen wir, von möglichst wenigen möglichst viel zu bekommen.
Und für Unternehmer ist klar: Wir benötigen Kindergärten Schulen, Universitäten und all dass, weil wir Arbeiter und Angestellte brauchen - also bieten wir das an. (Gab es in Ansätzen ebenfalls schon)
Gleiches gilt für Gesundheitswesen und Verkehrswege und viele andere Dinge - privat finanziert, weil es billiger und gewinnbringend ist, so etwas zu haben.

Staatsfinanzierung gelingt über Mehrwertsteuer und Landnutzungs-Abgabe, den Verleih von Privilegien (Alkohol-Herstellung, beispielsweise) und Gebühren. Und eben die Steuern der Superreichen. (Würde heute beinahe auch funktionieren: Die reichsten zehn % haben etwa 80% des Einkommens, zahlen aber kaum Steuern im Vergleich)

Aber das muss ja 'erzählt' werden, innerhalb der Geschichte ...
Was halt bedeutet:
LeserIn muss so lange 'dabei bleiben' bis sich das nach und nach klärt ...

Offline Quisille

  • Grillmeister
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  • Beiträge: 592
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #9 am: 06 October 2016, 11:14:00 »
Hallo Uli!

Wie wohl fast jeder hier im Forum aus alten Zeiten weiß, reiben wir beiden uns an immer denselben Stellen. *nostalgie* Eh bien, continuons. :cheese:

Ein Einstieg in eine mehr oder weniger alltägliche Szene, die aber ein paar 'Grundlagen' transportieren soll. Ohne dabei dumpig zu werden, versteht sich ...

Infodump, -s (m): Die Exposition steht im Vergleich zur Handlung zu sehr im Vordergrund. In Deinem Text finde ich viel Exposition, aber keine Handlung. Insofern ist der Begriff "Infodump" schlicht nicht anwendbar.

Ich gehe davon aus, dass ein ernstzunehmender Teil der Leseschaft den Prolog überblättert hat (grins), so dass hier die wichtigen Pflöcke eingeschlagen werden müssen - die Grundfrage ist also, ob das gelingt.

Ja, ist gelungen, die Pflöcke sind alle drin. Mitten im Herz.

Im Detail:

Zitat
William J. Watt stampfte zornbebend mit dem Fuss auf und zerknüllte den eingeschriebenen Brief in der linken Hand. Anlass genug für die Angestellten im Hauptkontor der Watt&Ohm-Gesellschaft, das Schlimmste zu fürchten: Das überschäumende Temperament des Herrn William, Erbe und Geschäftsführer einer der grössten Unternehmungen des Kontinents mochte diesen gar zu einem Kraftwort hinreissen.

Handlungsanteil: Foreshadowing bezüglich des Inhalts des Schreibens. Exposition: William Watt vorgestellt. Setting etabliert. So weit, so gut.

Zitat
Alle wussten, was für eine Nachricht das Schreiben enthielt, dessen Eintreffen das gesamte Hauptkontor mit Spannung und Hoffnung erwartet hatte, und aus den Zügen des Herrn William mussten sie lesen, wie der Bescheid lautete: Ablehnung.

Foreshadowing eingelöst. An dieser Stelle endet die Handlung. Und dabei hatte sie doch noch gar nicht angefangen. Was von nun an kommt, ist Exposition und Nachsülzen.

Zitat
Und das so kurz vor dem Weihnachtsfest.

Humor. Ist in Prinzip OK, aber der Verweis auf das Weihnachtsfest impliziert, dass die Angestellten (aus deren Sicht wir hier die Szene betrachten) und ihre Familien in wirtschaftliche Not geraten durch das Desaster. Was nicht der Fall ist.

Zitat
William J. Watt gewann indes seine Haltung wieder, und nur ein leises Zähneknirschen, in der gespannten Stille gerade noch vernehmbar, zeugte von dem herben Schlag. 
Er richtete sich hoch auf, blickte in die Runde seiner treuesten Mitarbeiter und verkündete, was alle ahnten, ja, wussten:

Jupp. Und auch ich weiß es schon, aber so langsam beschleicht mich das Gefühl, dass ich es von nun an wieder und wieder hören muss. So wie bei diesen Festansprachen, wo jeder weiß, dass jetzt dreißig Minuten voll Geseier kommen werden, die man besser in Alkoholexzesse investieren würde.

Zitat
„Abgelehnt, meine Damen und Herren. Wieder abgelehnt. Es tut mir Leid, dass unsere gemeinsamen Bemühungen so ohne Erfolg geblieben sind, und sage hier in aller Deutlichkeit: Diese Niederlage ist nicht Ihre Schuld, im Gegenteil! Aber das Schatzamt rechnet uns den Gewinn von mehr als einer Milliarde Goldrubel aus den Russischen Dependancen nicht gänzlich an, und begründet dies mit fadenscheinigen Argumenten.
Sie sprechen von verschleierten Verlusten, von zu gering angesetzten Abschreibungen und ähnlichen Dingen - böswillige Unterstellungen, um uns den Eintrag ins Steuerregister zu verweigern.
Meine Damen und Herren, ich beende den Kontorsbetrieb für diesen Tag - nach solch einer schockierenden Behandlung sehe ich mich nicht imstande, die Geschäfte ordentlich zu führen, und erwarte dies auch nicht von Ihnen.
 Bis morgen - und falls Sie in Erwägung ziehen, die Anstellung zu wechseln, kann ich Ihnen das nicht verdenken.“

Und da isse auch schon, die Ansprache. Vollgestopft mit Redundanzen, Phrasen, Echos, Abschwächern und Füllmasse. Nutzlast: Humor, etwas Charakterisierung, Backstory. Wir erfahren hier nach dem Desaster (also nach der Pointe!) die Hintergründe, die wir zum Verständnis des Desasters gebraucht hätten. Die Prämisse (Watt&Ohm wollen Steuern zahlen, dürfen aber nicht) stelle ich nicht in Frage. Aber sie entfaltet zumindest in dieser Szene nicht ihre Flügel, etwa indem sie uns einen überzeugenden Weltenentwurf verspräche. Stattdessen: Watt grimassiert garstig und gibt die Dramaqueen. Warum sollen seine Angestellten ihn verlassen? Er trägt nicht die Schuld, wirtschaftliche Konsequenzen zeichnen sich nicht ab, und ein normativ-gesellschaftlicher Druck, der ein glaubhaftes Gegengewicht zur Aufgabe einer Lebensstellung darstellen könnte, wird nicht spürbar.

Zitat
Es herrschte bedrücktes Schweigen, während die Leute im Hauptkontor ihre Tintenfässer zuschraubten und Unterlagen ordneten, bis der Hauptbuchhalter Konrad Marx das Wort ergriff.
„Im Namen aller Mitglieder des Hauptkontors, mit Verlaub, Herr William: Wir sind in diesem Jahr geschlagen, ja - aber nicht besiegt! Wir stehen zu Ihnen und der Gesellschaft Watt&Ohm, und werden morgen mit frischem Mut darangehen, das zu vollenden, was wir begonnen haben!“

Charakterisierung. Was mich zutiefst verstört, ist, dass ich mich in der Gesellschaft von lauter edlen Menschen befinde. Dazu haben Deine Texte allgemein eine gewisse Neigung. Nicht ein Übermaß an Tugenden macht Figuren interessant, sondern Mangel.

Zitat
Lauter Jubel unterstrich seine Worte, und William Watt schöpfte neuen Mut: Mit dieser Mannschaft musste es gelingen! Mit den treuen Kontoristen, hier und in den Dependancen in der ganzen Welt, mit den Ingenieuren und Wissenschaftlern, und mit dem stolzen Heer der Arbeiterschaft.
Das Schatzamt des Vereinigten Königreiches konnte dem grössten Hersteller von Dampfmotoren unmöglich auf Dauer verweigern, seine Steuern zu bezahlen - ausgeschlossen.
Und bis dahin ... nun, er konnte sich auf die Findigkeit seiner Buchhalter verlassen: Diese würden Wege finden, den Gewinn zum Gemeinwohl anzulegen, das Geld seinem eigentlichen Zweck zuzuführen und es in Bewegung zu halten. Wenigstens das, wenn ihm und seinen Leuten auch vorerst der Titel des Steuerzahlenden verwehrt blieb.

Die nachträgliche Erklärung der Pointe war irgenwo auf halber Strecke zwischen dem Eintreffen des Schreibens und diesem Punkt hier klar. Ich hatte die Frage schon einmal beim Prolog gestellt: Wie oft kann man über denselben Witz lachen? Der Humor speist sich aus einer Eins-Zu-Eins-Umkehrung der Verhältnisse in "unserem" Hosenbein. Ist witzig, stimmt. Und in welchen Konflikt mündet das? Ich meine Konflikt im Sinne von Figuren, die gegen einen bedeutungsvollen Widerstand ankämpfen für ein lohnendes Ziel?

Zitat
William winkte einer Droschke - natürlich einem W&O-Modell - und stieg ein.
Der Fahrer kam ihm zuvor, bevor er die Adresse nennen konnte, fragte der Mann „nach Hause, Herr William?“ und er nickte erfreut.
Man kannte ihn, nicht nur in der Gesellschaft, sondern noch mehr im Volke, und begegnete ihm mit Achtung, sogar mit Zuneigung. Selbst hartgesottene Kerle aus den untersten Schichten, solche, die Bettelei und schmierige Geschäfte einer anständigen Anstellung vorzogen - ein echtes Ärgernis - tippten mit dem Finger an die Mütze und gingen fort, sobald sie „den Chef“, wie er allgemein genannt wurde, erkannten.

Wieder erfahren wir etwas ÜBER Watt, statt MIT ihm. => Charakterisierung ohne Handlung. Abgesehen davon ist der Erzählstil hier so verschwurbelt, dass sich sogar Bezugsfehler breitmachen. Sieh Dir mal die Akteure in folgendem Satz an:

Zitat
Der Fahrer kam ihm zuvor, bevor er (also Watt? Bezug ist zumindest wackelig, der Fahrer ist im Hauptsatz prominenter als Watt, der dort nur als "er" auftaucht) die Adresse nennen konnte, fragte der Mann (also der Fahrer? Bezeichnerwechsel mitten im Satz, macht die Lesbarkeit nicht unbedingt besser) „nach Hause, Herr William?“ und er (also der Fahrer? NÖ. Watt ist gemeint. Bezugsfehler.) nickte erfreut.

Ich weiß, Du bedienst Dich gerne eines elaborierten Satzbaus. Aber die Lesbarkeit sollte darunter nicht leiden. Es ist für mich schwer zu erahnen, wo der persönliche Stil anfängt und das Ärgernis aufhört. Aber Sätze wie dieser klingen unglaublich manieriert. Noch übler ist dieses Ungetüm hier:

Zitat
Selbst hartgesottene Kerle aus den untersten Schichten, solche, die Bettelei und schmierige Geschäfte einer anständigen Anstellung vorzogen - ein echtes Ärgernis - tippten mit dem Finger an die Mütze und gingen fort, sobald sie „den Chef“, wie er allgemein genannt wurde, erkannten.

Der Sprachfluss ist dermaßen zerhackt, dass bald mehr Satzzeichen als Lexeme vorhanden sind. Der Satz kann sich zudem nicht ganz entscheiden, was seine Aussage sein soll: Milieuskizze? Charakterisierung Watts? Man könnte ja durchaus beides haben, wenn nicht alles so furchtbar explizit wäre. Dazu Redundanzen und Schnörkelchen. Ich übersetze mal in Dumpfdeutsch, das auch Idioten wie ich verstehen:

Selbst Hartgesottene, die Bettelei und schmierige Geschäfte einer Anstellung vorzogen, tippten mit dem Finger an die Mütze, sobald sie „den Chef“ erkannten.

Vom Informationsgehalt identisch. Entfernt ist nur der Regiekommentar. Wenn Du den aus Deinen Sätzen heraushieltest, würden sie mir besser schmecken. Vieles steht bereits im Subtext, das Du dann explizit machst, wordurch Du den (guten!) Subtext schindest und die blutigen Überreste ins Rampenlicht zerrst.

Zitat
Am Ziel angelangt wollte der Fahrer - ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren - auf den regulären Preis verzichten und ihm nur den Vorzugspreis abverlangen, doch William sagte streng „es geht nicht an, dass einer seine Zeit und Kraft unter Preis verkauft“, und dann, in freundlicherer Manier „Aber ich danke ihm für die gute Absicht“, und gab ein grosszügiges Trinkgeld.
Was, wie er sehr wohl wusste, genau in der Absicht des Mannes gelegen war.

Herr im Himmel! Schon wieder lauter Edle. Watt verspritzt Manifeste in alle Richtungen. Und er ist ein großartiger Menschenkenner. Und väterlich. Und leutselig. Und großzügig. Und allgemein geachtet. Sogar geliebt. Ein Philantrop. Und erfolgreich. Und aufrecht. Und er hat einen Ehrennamen beim Plebs. Man sieht nicht mehr den Weihnachtsbaum vor lauter Lametta.

Ich kann den Typen nicht ausstehen. Wenn das das Ziel war: Volltreffer.

Jetzt mal ohne Sarkasmus: Bei vielen Deiner Texte scheint mir der Konflikt eher lästiges Beiwerk zu sein. Im Zentrum steht auch hier wieder ein utopisches Konzept, und was bislang von der Erzählung sichtbar geworden ist, schwelgt in den positiven Auswirkungen dieses Konzepts. Das ist stinklangweilig. Ich mach' das übrigens ganz ähnlich. Und bei mir ist das Ergebnis -- stinklangweilig. Das vereinende Element unserer beider Langeweile ist folgendes:

Das Thema einer Erzählung ist niemals das, "worum es geht". Es geht um Figuren und um das, was die tun. Das Thema ist nur der Leim, der die Bühne zusammenhält. Wenn einen von uns also wieder einmal dieses unerquickliche Gefühl beschleicht, dass wir mit schweren Eisenhämmmern pädagogisch auf unsere Leser eindreschen: Es liegt daran, dass der Konflikt zu nahe beim Thema liegt. Bezogen auf diesen Text: Das Thema und das Konzept, das Du daraus ableitest (Umkehrung des Kräfteverhältnisses bei der Finanzierung des Gemeinwesens), sind interessant.

Aber worum geht es?

Liebe Grüße
Quisille
« Letzte Änderung: 06 October 2016, 11:35:31 von Quisille »
  • Ich schreibe gerade: Schandgreif (Band 1, Überarbeitung)

Uli

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #10 am: 06 October 2016, 19:38:45 »
ay Quisille,

Dops!
Es ist genial, wie du mir bestätigst, dass der Plan aufgegangen ist - und zugleich erklärst, warum das so nicht richtig ist.

Das 'Nicht-Richtig' trennst du dann richtigerweise in zwei Teile (ich weiß nicht mehr genau, aber das ist doch neu?) und - ja, damit kann ich dann. Besser als früher ...

Also: Diese Konflikt-Sache ist immer noch nicht mein Ding. Weder theoretisch noch praktisch: Bücher, die dafür gelobt werden, mag ich in aller Regel nicht, und selber erkennen ist auch nicht. Das ist mit mehreren Theorien so ...

Richtig ist: Wenn es in diesem Textstück einen Konflikt gab, dann ist der schon vorbei, bevor die erste Zeile geschrieben wurde.
Und OK, das als 'Exposition' zu bezeichnen ist wahrscheinlich treffend ...

Schwurbelsätze ... nun, zugegeben: Es gibt Autoren, die sind selbst für mich ziemlich arg anstrengend, rein sprachlich. Aber ... es gibt viel mehr Autoren, die mich mit ihrem Sprachgebrauch gar fürchterlich langweilen.
Tja, und dazwischen irgendwo dümpele ich herum: Auf der Suche nach dem rechten Maß. Das, nebenbei, auch noch von Text zu Text unterschiedlich ist, und sogar von Szene zu Szene oder gar von Absatz zu Absatz variieren kann (muss? soll?).
Klar, dass das nicht jedem gefällt ...
Glücklicherweise ist es aber auch nicht mein Ziel, möglichst vielen zu gefallen (schade eigentlich: Das wäre einfacher ...) sondern eben herauszufinden, was für mich (an dieser Stelle, in diesem Text) richtig ist.
Und ja, dabei hilft mir Feedback. Sogar sehr.

Die 'schöne neue Welt' ... nun, ja:
Ich erzähle hier eine 'alles ist gut' - Utopie, zugegeben. Und erwarte, erhoffe (und bekomme ...) entsprechende Reaktionen.
(witzigerweise habe ich noch nie gelesen, dass jemand (Spoiler!) die Erzählstimme als voreingenommen und daher nicht objektiv einschätzt - was so ziemlich meine erste Reaktion wäre. Genaugenommen ist das für mich sogar eine Grundlage, alles andere müsste die Erzählstimme erst mal beweisen ...

OK ...
Damit wäre ich an dem Punkt 'nicht ein Übermaß an Tugenden machen Figuren interessant ...'
Stimmt. Und?
Ich setze dagegen: Sage mir, wie jemand / etwas wirklich ist und zeige mir, worum es geht (Grundkonflikt), und ich bin geneigt, zur letzten Seite zu blättern, 'all was well' zu lesen und das Buch zurückzustellen ...

Das ist halt meine Vorliebe:
Lass es mich herausfinden. Lass uns Verstecken spielen. Nenne den bösen Oberlord nicht Evil O. Berlort, und vor allem: Sag mir nie, worum es geht.
(Ein 'Konflikt' in der Art 'da liegt eine Tote in der Bibliothek, und wir wollen wissen, wer das getan hat' ist OK. Ehrlich. Und 'Die Mexikaner haben den Alamo eingeschlossen und jetzt werden alle sterben' auch. Aber nur, weil es eben darum nicht geht ...

Gut, ich erzähle also eine Utopie, und ich würde dann zuerst wissen wollen: Warum zum Geier schreibt der das 'all was well' an den Anfang? Und ... diese kleine Unebenheit mit dem Steuerbescheid kann es doch nicht sein, oder?

Wo ich ein wenig widerspreche ist: Nein, hier steht das Gesellschafts-Konzept nicht im Mittelpunkt. Es ist durchaus wichtig, aber nur in seiner Funktion. Versprochen!

In der nächsten Szene übrigens versuchen einige Leute, William Watt umzubringen, und er wird auf seltsame Art gerettet - die Szene(n) haben mir nur zu sehr geholpert, um sie hier noch anzufügen.
Damit hätte ich dann sogar einen Konflikt: Warum sollte jemand Mr. Edel killen wollen? Und - wer verhindert einen Anschläg mit Hilfe einer Rundstricknadel, eines Ondulierstabes und einer Teigrolle, und ...
(OK, Teigrolle ist nicht sehr ungewöhnlich)

Vielen Dank fürs Rösten (und ich bin sicher, einiges wird in der Überarbeitung berücksichtigt. Ich weiß nur nicht, was und was das dann bewirkt ...)

cheers, Uli


Offline Quisille

  • Grillmeister
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  • Beiträge: 592
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #11 am: 07 October 2016, 13:11:20 »
Hallo Uli,

bitte fasse meinen letzten Beitrag nicht als Röstung auf. Sieh ihn vielmehr als Eintrag ins Protokoll: "Gelesen. Funktioniert nicht."

Rechtfertigung nicht erforderlich, und fühle Dich bitte nicht zu Änderungen genötigt. Wie schon erwähnt:

Es ist für mich schwer zu erahnen, wo der persönliche Stil anfängt und das Ärgernis aufhört.

Liebe Grüße
Quisille
  • Ich schreibe gerade: Schandgreif (Band 1, Überarbeitung)

Uli

  • Gast
Re: Dampf - Der Steuerbescheid
« Antwort #12 am: 07 October 2016, 17:00:31 »
 :lava:

tja - hatte ich auch so verstanden, insgesamt - ist auch OK so

(Antwort war z.T. auch nur ein Selbstgespräch ...)