Autor Thema: Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?  (Gelesen 23939 mal)

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Offline Quisille

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #20 am: 05 July 2010, 10:14:34 »
Bücher werden als Idee geboren, altern als Paperback und werden in Dünndruck bestattet. :devgrin: Spaß beiseite. Wenn ich ein Buch lese und daran denken muss, dass es ein Klassiker ist, dann ist die Freude am Lesen meistens im *****.

Sturm und Drang fällt bei mir beinahe komplett aus. Erst leiden alle an sich selbst, und am Schluss sind alle tot. Und da soll man noch sagen, stereotype Handlung wäre etwas, das die Neuzeit erfunden hätte.

Faust I habe ich mit Begeisterung gelesen, habe danach den Faust II durchgeackert und entschieden, dass das nix für mich ist. Zum Werther siehe oben.

Von Kleists Zerbrochenem Krug war ich hingerissen. Mit dem Käthchen von Heilbronn hatte ich schon so meine Schwierigkeiten, durch den Michael Kohlhaas komme ich trotz heftigen Bemühens nicht durch, und das, obwohl der Anfang durchaus packend war.

Und so weiter, und so weiter. Ich müsste hier tatsächlich Einzelfälle diskutieren, und das haben andere schon besser getan, als ich es könnte.

Was mir insgesamt ein wenig die Freude an den Klassikern verleidet, sind weniger die Klassiker an sich, als vielmehr der Umgang mit den Klassikern. Warum muss in unseren Landen Bildung immer weh tun? Alles, was unterhält, ist irgendwie anrüchig. Da kommt mir ständig das Unterbewusstsein dazwischen und präsentiert den Umkehrschluss: Was nicht irgendwie anrüchig ist, kann ja schwerlich unterhaltsam sein. :devgrin:
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Katja

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #21 am: 05 July 2010, 10:43:43 »
Was mir insgesamt ein wenig die Freude an den Klassikern verleidet, sind weniger die Klassiker an sich, als vielmehr der Umgang mit den Klassikern. Warum muss in unseren Landen Bildung immer weh tun? Alles, was unterhält, ist irgendwie anrüchig. Da kommt mir ständig das Unterbewusstsein dazwischen und präsentiert den Umkehrschluss: Was nicht irgendwie anrüchig ist, kann ja schwerlich unterhaltsam sein. :devgrin:

Und ich frage mich, woher kommt das? Denn obwohl ich keinen meiner Deutschlehrer ab Klasse sieben mochte, hat es mir immer unendlich viel Spaß gemacht, die Bücher im Unterricht zu lesen.

Meine Familie liest viel, eigentlich fast alle. Aber sog. "Klassiker" hat nur mein Urgroßvater gelesen und dessen Bücher sind zum größten Teil zu meinem Onkel nach Süddeutschland gekommen (und ich mag weder besagten Onkel noch Süddeutschland  ::) ).

Allerdings hatte ich mit dreizehn oder vierzehn (naja, jedenfalls siebte Klasse) ein Aha-Erlebnis. Wir sollten den "Schimmelreiter" lesen, aber die Klasse wollte nicht. Mir ist aber sofort klar geworden, ich kenne die Geschichte! Ich hatte mal das Ende eines Filmes gesehen, und das muss eine Verfilmung des Schimmelreiters gewesen sein. Mich hatten die wenigen Bilder, die ich damals gesehen hatte, so fasziniert, dass ich dieses Buch lesen musste und zwar, bevor der Lehrer sich geschlagen gibt und die Lektüren wieder einsammeln konnte.

Danach war mir klar, dass auch Goethe und Schiller auf Deutsch schrieben und ich theoretisch alles lesen kann, wenn ich mich nur auf den Text einlasse. Als ich dann entdeckt hatte, dass mein Lieblingsmärchen auch von Storm ist, habe ich es in der Kinderabteilung der Stadtbücherei nicht mehr ausgehalten. ;)

Ich halte es für völlig "normal", dass man manche Klassiker mag und andere nicht. Für alle, die zum Beispiel Goethe nicht mögen, kann ich nur sagen, versucht es von Zeit zu Zeit noch mal. Ich konnte mit 16 Frisch nicht leiden, jetzt liebe ich ihn. Mit 18 probierte ich Hemingway und fand ihn ****, jetzt finde ich ihn klasse! Dafür kann ich mit Hesse nicht mehr sooo viel anfangen (außer Narziss und Goldmund  :hach: ). Und auch sonst kommt immer noch was hinzu. Im Studium habe ich zum Beispiel um die Romantik nach zwei Kursen einen großen Bogen gemacht, langsam finde ich allerdings an Eichendorff gefallen (und den fand ich immer besonders schlimm!).

Und natürlich gibt es auch immer meine All times: Heine  :hach: , Goethe (der Werther! schon immer!), Schillers theoretische Schriften, Storm, Fontane, C.F. Meyer, Kafka  :hach: , Celan, Bachmann, Christa Wolf, Oscar Wilde, Dylan Thomas, Joyce, Shakespeare, Nabokov, Dostojewski... Die Liste ist lang und mein Bücherregal voll. ;)

Mooncat

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #22 am: 05 July 2010, 10:46:54 »
Nein. Schlicht und einfach nein. Erstens kann ich es nicht ausstehen, wenn mir quasi befohlen wird, ein Werk zu bewundern, nur weil es als 'Klassiker' kategorisiert wird. Zweitens fehlen mir in vielen sogenannten Klassikern ganz klar die guten Frauenrollen. Drittens sind die Klassiker meistens todtraurige Dramen und ich sehe keinen Grund wieso mich Literatur deprimieren muss, um als klassisch durchzugehen. Viertens bin ich nicht unbedingt Fan der alten Sprache, in der die meisten Klassiker nun mal geschrieben sind. Sie ist einfach so unnatürlich und bleibt für mich oftmals oberflächlich. Da schaue ich mir ehrlich gesagt lieber den Film oder das Theaterstück an, als mir das anzutun.

Was nicht heisst, dass ich sie kategorisch ablehne. Homer, Shakespeare, Dumas, Jane Austen, Dürrenmatt und Henry Ibsen, so krank und fast schon pervers er ist, mag ich trotz aller obgenannten Gründe.

Trotzdem, ich lobe mir meine heutige Trashliteratur!

Mooncat
« Letzte Änderung: 05 July 2010, 15:08:30 von FF »

Caity

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #23 am: 05 July 2010, 10:51:01 »
Zitat
Danach war mir klar, dass auch Goethe und Schiller auf Deutsch schrieben und ich theoretisch alles lesen kann, wenn ich mich nur auf den Text einlasse.

Danke, Katja, genauso sehe ich das auch!
Manche Werke sind wirklich schwierig und man braucht eine Ewigkeit, aber wenn man dann den Zugang dazu gefunden hat, ist das wie ... Eis mit heißen Himbeeren und einer dreifachen Portion Sahne - jaja, da lockt die süße Verführung ^^"

Neyasha

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #24 am: 05 July 2010, 10:58:27 »
Und natürlich gibt es auch immer meine All times: Heine  :hach: , Goethe (der Werther! schon immer!), Schillers theoretische Schriften, Storm, Fontane, C.F. Meyer, Kafka  :hach: , Celan, Bachmann, Christa Wolf, Oscar Wilde, Dylan Thomas, Joyce, Shakespeare, Nabokov, Dostojewski... Die Liste ist lang und mein Bücherregal voll. ;)
Ohhhh, noch ein Christa Wolf-Fan. Katja, an mein Herz!  :knuddel:
Werther hat sich mir erst spät so wirklich erschlossen, und zwar durch ein geniales Goethe-Seminar, das ich bei meinen Auslandssemester in Oslo belegt habe. Dort musste ich mich für ein Referat auch genauer mit Iphigenie beschäftigen, und auch die begann ich dabei zu lieben. Allerdings kann bei manchen Werken auch die beste Vermittlung nicht helfen - Torquato Tasso fand ich schlichtweg gähnend langweilig.  :blush:

Für Max Frisch hab ich meine Liebe schon früh entdeckt, nämlich als wir in der Schule "Homo Faber" lasen - auch so ein Roman, den viele hassen, aber ich war sofort davon begeistert.  :hach:
Einige andere Autoren hingegen habe ich lange verschmäht und erst im Laufe des Studiums zu ihnen gefunden. Thomas Bernhard etwa, für den ich mit 14 einfach noch nicht "bereit" war. Insofern würde ich auch empfehlen, Autoren, die man vielleicht in der Schule noch nicht so toll fand, später noch einmal eine Chance zu geben.

Katja

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #25 am: 05 July 2010, 11:03:41 »
Für Max Frisch hab ich meine Liebe schon früh entdeckt, nämlich als wir in der Schule "Homo Faber" lasen - auch so ein Roman, den viele hassen, aber ich war sofort davon begeistert.
Einige andere Autoren hingegen habe ich lange verschmäht und erst im Laufe des Studiums zu ihnen gefunden. Thomas Bernhard etwa, für den ich mit 14 einfach noch nicht "bereit" war. Insofern würde ich auch empfehlen, Autoren, die man vielleicht in der Schule noch nicht so toll fand, später noch einmal eine Chance zu geben.

Ich fand Frisch in der Schule ***. Bablin beim Weißeln zuzugucken in "Andorra" hat mir körperliche Schmerzen bereitet. Und maaaan, war das durchschaubar! Und ich fand es in der Schule dreist, mir einen Text vorzusetzen, der "Homo faber" hieß und der sich (in meinen Augen damals) "nur" dadurch auszeichnete, dass er handwerklich perfekt ist. Die Kunst hinter diesem Handwerk habe ich erst viele Jahre später entdeckt und das auch nur durch Zufall. (Glück gehabt!) ;)

Offline Quisille

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #26 am: 05 July 2010, 11:21:53 »
Zitat
Und maaaan, war das durchschaubar!

Das geht mir besonders bei Nachkriegsliteratur so. Und zwar immer wieder mal. Ich kann's einfach nicht mehr hören, dieses ewige Bewältigen und Schmoren im eigenen Saft. Bei Andorra war ich allerdings noch vergleichsweise unverbraucht (noch in der Schule). Da hat mir das noch nix ausgemacht. Wäre ein interessantes Experiment, es nun noch einmal zu lesen.

Das Problem mit dem "Brand" Klassiker scheint mir zu sein, dass es bevorzugt dann vergeben wird, wenn man der Meinung ist, ein Text hätte Tiefe. Um Tiefe zu diagnostizieren, muss man sie erkennen können. Wenn eine Mehrheit Tiefe erkennt, dann stülpt sich mir oft der Magen um, und sich sage mit Katja:

Maaaan, ist das durchschaubar!

Am liebsten habe ich es, wenn mir der Autor eines Werkes intellektuell überlegen ist (das ist leicht), und ich es aber trotzdem nicht sofort merke (das ist schwer).

Das Gegenteil hiervon geht mir unsagbar auf den Wecker: Wenn ein leichtfertiger Hüpferling daherkommt, mich mit bedeutungsschwangerem Müll vollseiert -- und nach der letzten Seite muss ich erkennen, dass ich in hohlen Phrasen geschwelgt habe, die eine Plattitüde als große Weisheit darbieten.

Letzteres hat wahrscheinlich weniger mit "Klassikern" zu tun, als vielmehr mit dem missglückten Versuch, einen zu schreiben. Interessieren würde mich, warum man als Autor auf die Idee kommt, sich und seinem Werk derartig Gewalt anzutun. Irgendwie fühle ich mich immer verpflichtet, mit dem Vorschlaghammer "Niveau" (War das nicht diese Handcreme?) hineinzuprügeln.

Warum? WARUM!??
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Dorte

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #27 am: 05 July 2010, 11:29:21 »
Ich glaube, das Problem ist oft, dass man in der Schule thematisch überfordert wird. Richtig genießen kann man viele der typischen Schulklassiker erst mit etwas mehr Lebenserfahrung. Ich verstehe auch nicht, warum man Teenies nicht auch mal etwas "normalere" modernere Romane zu lesen geben kann, um überhaupt erst einmal in Buchbesprechung, Interpretation und all solche Dinge hineinzukommen. Mein Einstieg war "Rolltreppe abwärts", so ein typisches Problembuch. Danach folgten gleich der "Schimmelreiter" und "Wilhelm Tell". Die fand ich zwar irgendwie interessant, war aber gnadenlos damit überfordert - ich las zuhause eine bunte Mischung aus Schreckenstein, Pferdebüchern und dem Silmarillion, Bücher mit Realitätsbezug oder Menschheits/Gesellschaftskritik waren mir absolut befremdlich.
Meine gesamte Schulzeit bestand lektüretechnisch mit ganz wenigen Ausnahmen aus Klassikern, abgesehen z.B. von "das Parfum" in der 10. Klasse, ein absolutes Highlight. Wahrscheinlich hätte ich einige der Klassiker durchaus genießen können, wenn es eben auch mal andere Bücher zu lesen gegeben hätte als "die Judenbuche" (die mir als besonders zähflüssig in Erinnerung geblieben ist) oder der "Werther" (der ist bei mir unter "langweiligste Lektüre aller Zeiten" gespeichert).
Und dann war meistens eh durch die Blume vorgegeben, was da zu interpretieren ist und wie unsere Meinung aussehen soll und warum der Text wichtig für die Menschheit ist und pipapo. Bleh.

Einzig unsere Vertretungslehrerin in der 10. hat uns mal aus der Lethargie, die all die schwere Literatur verursacht hat, aufgerüttelt - bei ihr lasen wir "Der Papalagi". Das war mal was anderes! Selbst die totalen Lesemuffel machten auf einmal bei Diskussionen mit... anschließend gab's dann mit "der gute Mensch von Sezuan" wieder Bildung, aber dank des "Papalagi" waren wir deutlich motivierter als üblich. Und bei ihr durften wir auch mal ungestraft sagen, dass wir einen Text langweilig, merkwürdig, unverständlich oder schlecht fanden, darauf baute sie dann Diskussionen auf. Die war nur ein halbes Jahr bei uns, aber ich kann mich an ihren Unterricht besser erinnern als an die ganzen anderen Jahre Deutschunterricht... In Arbeiten bewertete sie wirklich mal die Qualität der Diskussion und nicht die Meinung - man konnte schreiben, wie man wollte, wenn man denn nur gut begründete und der Ausdruck angemessen war.

Lustigerweise hatte ich den weitaus besseren Literaturunterricht im Englisch LK. Dort gab es nämlich eine bunte Mischung - "The Catcher in the Rye" neben zwei Kurzgeschichtensammlungen, "Macbeth" und diversen Gedichten, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Und noch irgendwas romaniges, das ich aber gerade vergessen habe. ;) Das alles wurde schön abgwechselt, so dass man sich nicht wie in Deutsch von einem Klassiker zum nächsten hangelte, der dann wochenlang durchgekaut wurde, sondern es gab zack-zack neue Texte aus verschiedenen Genres. Selbst für "Macbeth" haben wir nur 2 Wochen aufgewendet, während "Faust" so ungefähr das halbe Halbjahr einnahm und bis zum Erbrechen durchgekaut wurde - danach mochte ich ihn auch nicht mehr, obwohl ich ihn beim Lesen gut fand ;)
« Letzte Änderung: 05 July 2010, 11:30:54 von Dr. Faustina »

Alexander Rudow

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #28 am: 05 July 2010, 13:23:35 »
Dies soll ein flammendes Plädoyer zugunsten der „Klassiker“ werden. Schaun mer mal, wie flammend ich es hinkriege.

Vorab ist mir wichtig, dass es langweilige Literatur vor, sagen wir mal, zweihundert Jahren genauso gab wie heute.

Aaalso, ja! die Klassiker (die Werke, nicht die Autoren) benutzen eine Sprache, die uns fremd ist, sie spielen in einer Zeit und in einer Welt, die uns fremd ist, und sie entstanden während einer allgemeinen Geisteshaltung, die uns fremd ist.

Und? So what? Et après?

Wenn ich eine Sache im (deutschen) Kulturbetrieb wirklich abgrundtief hasse, dann ist das die Attitüde von Film- und Theater-Regisseuren, die meinen, uns alte Literatur schön zeitgemäß und mundgerecht servieren zu müssen.

Ich lieh mir einmal eine DVD mit Ethan Hawke als Hamlet aus, eine Verfilmung, in der Hamlet im Vorstand einer New Yorker Software-Firma namens „Denmark“ ist, und die für mich AUSNAHMSWEISE einmal exzellent einen Renaissance-Stoff in die heutige Zeit versetzt.

Gott sei Dank hatte ich vorher nicht die Rückseite der Hülle gelesen, sonst hätte ich den nächsten Bibliothekar die Hülle aufessen lassen und danach die Bibliothek angezündet: Da schrieb irgend so ein Landei von Kritiker allen Ernstes, dass diese Verfilmung dem ollen Shakespeare „gehörig den Staub aus den Klamotten“ klopfe. Der Blitz soll ihn treffen! (den Kritiker, nicht Shakespeare)

Hinter solchen Kritiken steckt die Annahme, wir seien heute alle zu doof zu entdecken, wie packend und spannend und aufwühlend und leidenschaftlich die guten Klassiker sind. Um die Klassiker zu verstehen, brauchten wir Vermittler.

Tolle Vermittler! Ich habe bisher noch nicht eine einzige „Faust“-Inszenierung gesehen die auch nur annähernd so vielfältig war, wie der „Faust“, den ich nach der Lektüre im Kopf hatte.

Unter der alten Sprache, hinter der alten Zeit und der alten Geisteshaltung steckt das Wesentliche, das Mark. Und bei guten Klassikern kann dieses Wesentliche den Leser heute genauso ins Gesicht schlagen und ihn aufrütteln wie damals. Meinetwegen kann alte Literatur auch einfach unterhalten.

Meines Erachtens liegt das Problem „der Klassiker“ heute in der Rezeption. (Das hat auch schon irgendjemand hier geschrieben, glaube ich.)

Die folgenden Zitate konnte ich mir nicht verkneifen.

„Die Othello-Inszenierung war den Maßstäben des zeitgenössischen deutschen Theaters ein Triumph. Desdemona masturbierte auf offener Bühne mit einer Coca-Cola-Flasche. Aus dem Dachgebälk regnete es eimerweise rohes Fleisch auf die Schauspieler, von denen einige SS-Uniformen trugen. Einer von ihnen schrie einen Theaterkritiker an und bewarf die erste Reihe mit Möhren. Da Shakespeare bei Othello an einen Schwarzen gedacht hatte, ließ ihn der Regisseur raffinierterweise ganz in Weiß auftreten. Im Hintergrund lief eine Tonspur mit der Stimme einer Frau beim Orgasmus. Der perfekte Rahmen für ein  erstes Date.
„Na ja“, sagte ich in der Pause. „Wenigstens wurden bislang noch keine Tiere gequält.“
(Roger Boyes, My dear Krauts – es geht übrigens um eine Inszenierung in der „Schaubühne“, einem der renommiertesten Theater Berlins und der Republik.)

„Noch einmal gesagt: Man kann ‚Das weite Land’ auch in der Sahara spielen. Oder in einer Vitrine. Man kann die Schauspieler auffordern, zu Stückbeginn auf die Bühne zu scheißen, um den Sand zu binden. Man kann sie grün anziehen und von hinten beleuchten. Aber wozu?“
(Werner Schneyder – Meiningen oder die Liebe und das Theater)
« Letzte Änderung: 05 July 2010, 13:28:38 von Alexander Rudow »

Neyasha

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #29 am: 05 July 2010, 18:07:04 »
Ich glaube, das Problem ist oft, dass man in der Schule thematisch überfordert wird. Richtig genießen kann man viele der typischen Schulklassiker erst mit etwas mehr Lebenserfahrung. Ich verstehe auch nicht, warum man Teenies nicht auch mal etwas "normalere" modernere Romane zu lesen geben kann, um überhaupt erst einmal in Buchbesprechung, Interpretation und all solche Dinge hineinzukommen.
Das ist ein wichtiger Punkt. Ich selbst hatte das Glück, eine Deutschlehrerin zu haben, die die Lektüre sehr sorgfältig ausgewählt hatte. Maikäfer flieg, Wolfsaga, Krabat, Das Tagebuch der Anne Frank - das waren unsere ersten Pflichtbücher in der Unterstufe, und fast alle waren begeistert (bis auf die Lesemuffel, aber die waren allein von der Tatsache gelangweilt, dass da Buchstaben auf einem Papier stehen). Allmählich ging es dann hin zu anspruchsvolleren Werken, von denen wir aufgrund der langsamen Annäherung selten überfordert waren (ab und zu natürlich schon). Als wir mit etwa 16 Jahren den Faust gelesen haben, war unsere Beschäftigung in den Stunden damit so intensiv und interessant, dass fast alle (sogar die Lesemuffel) von dem Werk fasziniert waren. Im Maturajahr waren sogar die Reaktionen auf Jelinek durchwegs positiv, und die ist nun wirklich sperrig zu lesen.
Den Werther hingegen haben wir in der Schule nie gelesen, weil unsere Lehrerin der Meinung war, dass der Roman als Schullektüre eigentlich wenig geeignet sei und in die Uni gehöre.

Die Pflichtlektüre in der Schule hat bei mir erst die Begeisterung für "Klassiker" geweckt, und dafür werde ich meiner Lehrerin ewig dankbar sein. Sehr traurig, wenn der Deutschunterricht bei vielen das Gegenteil bewirkt und ihnen die Lust am Lesen der Klassiker auf ewig verleidet.

Aryana

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #30 am: 05 July 2010, 20:02:37 »
Neyasha, ihr habt Krabat in der Schule gelesen? Ich werde gelb vor Neid!
Wir durften teilweise bei der Schullektüre mitbestimmen, aber Krabat wurde nie vorgeschlagen. Durch die Selbstbestimmung haben wir "Die Farbe Lila" gelesen, aber ob das als Klassiker gilt?
An Faust hatte ich meinen Spaß, Schillers "Kabale und Liebe", womit wir auch genervt wurden, gefiel mir gar nicht - wahrscheinlich war ich einfach noch nicht bereit, hinter der kitschigen Liebesgeschichte die Gesellschaftskritik zu finden. Shakespeare? ja bitte, aber nur die Englisch-Deutsche Ausgabe, ich lese gern englisch, aber das alte Englisch ist mir teilweise dann doch auf Dauer zu anstrengend.
Bei den "modernen" Klassikern gefällt mir Dürrenmatt. "Die Physiker" haben wir in der Schule gelesen, die Theater-AG hat's aufgeführt und wir haben mal angefangen, eine Hörspielfassung als AG zu machen, die ist aber blöderweise nie fertiggeworden. Hesse... naja. Wenn's denn sein muss, auch das. 
« Letzte Änderung: 05 July 2010, 20:06:08 von Aryana »

Caity

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #31 am: 05 July 2010, 21:31:25 »
@ Aryana: Oh, das hatte ich vergessen, das durfte ich auch lesen. Aber da war ich zu jung, um einen guten Zugang zu zu finden - wir haben das gelesen, als ich in der sechsten war, zarte 12 Jahre ...

Rilyn

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Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #32 am: 05 July 2010, 22:35:43 »
Oh, ganz vergessen, Asche auf mein Haupt ... Jonathan Swift. :whee:


@Neyasha: solche Lehrer gibt es selten *neidneid* :)

Neyasha

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #33 am: 05 July 2010, 23:21:40 »
@Neyasha: solche Lehrer gibt es selten *neidneid* :)
Ja, das ist wohl leider so.
Wobei ich mich als 11jährige ganz schön gegruselt hab bei Krabat.  :zitter: Aber ich fand ihn trotzdem toll und hab von da an den Roman mindestens noch fünfmal oder öfter gelesen.  :hach:

"Kabale und Liebe" fand ich übrigens so furchtbar, dass ich selbst das ganze Studium hindurch einen großen Bogen darum gemacht habe. Allerdings haben wir es nicht gelesen, sondern eine ganz furchtbare Inszenierung des Linzer Landestheaters gesehen. Sonst haben mir die Theaterstücke, die wir uns von der Schule angeschaut haben, immer gefallen, aber das ...  :glotz:

Rilyn

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #34 am: 06 July 2010, 00:07:24 »
Maria Stuart im Mülltütenkleid war auch so ein "Kultur"schock. :twitch:

Um eine ganze Handvoll Klassiker mache ich noch wegen der Schule nen Bogen; dabei ist das schon eine gefühlte Ewigkeit her. Das übliche Repertoire, möglichst abschreckend vermittelt ... den Faust habe ich gegen Latein-LK-Lektüren getauscht; aber Plinius, Ovid und Martial mag ich trotzdem ;D


Melbur

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #35 am: 06 July 2010, 03:43:50 »
Also ich mag vorallem die alten Krimis; Holmes, Marple, Poirot, ... Die Klassiker eben. :)

Aryana

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #36 am: 06 July 2010, 08:04:32 »
Oh ja, Krimiklassiker liebe ich auch. Als Weltbild vor einiger Zeit mal eine Holmes-Gesamtausgabe im Angebot hatte, habe ich sofort zugeschlagen. :) Mein erster Holmes war ein geschenk von meinem Vater: Der Hund von Baskerville. Was hab ich mich damals gegruselt (ich muss so 12 gewesen sein), aber ich fand Holmes als Charakter schon immer toll.
Was ich auch in der Schule geliebt habe - die "Lateinklassiker". Oder vielmehr, DEN "Redenklassiker": Cicero. Und den Dichter Catull mit seiner herrlich krassen Ausdrucksweise. Wegen Cicero habe ich in der 12 neben meinem Latein-LK auch noch einen Latein-Grundkurs belegt... was im Nachhinein ganz gut war, weil der LK wegen Lehrerkrankheit dauernd ausfiel und ich so sprachlich am Ball bleiben konnte.

Mirella

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #37 am: 06 July 2010, 21:26:32 »
Mich stört nur, dass einem praktisch diktiert wird, Goethe, Schiller & Co. gut zu finden, denn ansonsten ist man ein Banause. Natürlich sind deren Werke Kunst - und gerade deswegen Geschmackssache.
Goethes Faust zum Beispiel mochte ich, den Werther dagegen fand ich grauenhaft jammervoll.

Hermann Hesse, Bertolt Brecht ("Leben des Galilei"), Jean-Paul Sartre, Kafka ("Die Verwandlung") mag ich sehr gerne.
Mit Eichendorff, Mann und Fontane konnte ich überhaupt nichts anfangen und hätte mich freiwillig nicht durch deren Werke gequält.

Aber was die Klassiker angeht, bin ich vor allem ein Fan der englischen Literatur.
Shakespeare, Dickens, Hemmingway, Orwell, Huxley, J.D. Salinger, Jane Austen ...
Shakespeare und Dickens gehören generell zu meinen Lieblingsautoren :hach: :hach: :hach:

Die Tatsache, dass ich beim Lesen der englischen Lektüre auch im Unterricht wesentlich mehr Spaß hatte als mit den deutschen Klassikern, hat vermutlich etwas mit der Herangehensweise zu tun. Im Englischunterricht geht es noch mehr um das Werk an sich und die eigene Meinung, da wird nicht ganz so fanatisch nach bizarren Interpretationen gesucht.
Für mich macht dieses "Totinterpretieren" viel kaputt. Wenn ich bei jeder Tür, durch die der Protagonist schreitet sofort "Symbol" schreien muss ...  ::)
Deswegen fand ich auch die Werke, die wir im Deutschunterricht besprochen haben, zunächst fast durchgehend schrecklich. Als ich sie dann vor dem Abitur nochmal für mich gelesen habe, dachte ich oft "Hoppla, das ist ja gar nicht so schlecht"  ;)


Obwohl wir auch im Deutschunterricht zum Teil durchaus kreative Herangehensweisen hatten. Hat mal jemand versucht, das 10. Bild von "Leben des Galilei" auf die Melodie von "Ein Stern der deinen Namen trägt" zu singen? Nein? :grinwech:

anabanana

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #38 am: 06 July 2010, 21:55:15 »
Passt ganz gut zur Schullektürediskussion:

Es ist ein Unsinn, jungen Leuten immer mit dem "Besten" zu kommen. Man hat sich in das Beste hineinzuwachsen, und das dauert of recht lange. Schadet auch nichts.
Vor allem ist es ganz unnatürlich, mit Goethe zu beginnen.

Theodor Fontane

Vieles, was ich in der Schule lesen musste, war für mich einfach zu früh (Emilia Galotti in der 8. Klasse  huh? ) oder der Lehrer hat es einem mit seiner Interpretationswut (wobei es natürlich nur eine richtige Interpretation gab --> Seine!) kaputtgemacht.
Als ich die Schullektüre 2 Jahre nach dem Abi nochmal gelesen habe, war ich wirklich erstaunt, wie interessant vieles war.


Mich stört nur, dass einem praktisch diktiert wird, Goethe, Schiller & Co. gut zu finden, denn ansonsten ist man ein Banause.
*unterschreib*

Und der Gedanke: Wenn der Leser Trivialliteratur nicht versteht, dann ist der Autor schuld. Wenn man die Klassiker nicht versteht, dann ist der Leser einfach zu blöd.  :devhmm:

Nachdem ich "Anna Karenina" von Tolstoi gelesen habe (auch für die Schule;), bin ich in einen wahren Klassiker-Rausch verfallen.
Nur um die Liste mit ein paar russischen Autoren zu bereichern: Nikolai Gogol  :hach: , Alexander Grin, Dostojewski.

Bei aktueller Literatur hab ich häufig das Gefühl, dass mir eigentlich Banales in einem Senationskostüm verkauft wird. Eine schicke Mogelpackung heißer Luft.
Die Klassiker lesen sich ruhiger und das gefällt.

 :cheerful:

Rilyn

  • Gast
Re:Goethe, Schiller und Co. Mögt ihr die "Klassiker"?
« Antwort #39 am: 06 July 2010, 22:09:45 »
*Banausen-Shirt drucken lass* ;D

Um mal das Gebiet der Phantastik anzusprechen:
Kann man Stanislav Lem zu Klassikern zählen? Isaac Asimov? Oder Howard Phillips Lovecraft? (Zugegeben, ich finde dass August Derleth besser schrieb, aber das kann auch am Übersetzer liegen.)
Den ersteren Beiden kann man schwerlich mangelnde Beschäftigung mit ernsten Themen absprechen. :devsmile:
« Letzte Änderung: 06 July 2010, 22:10:08 von Rilyn »