Einen Text rösten zu lassen hat den Zweck, diesen zu verbessern - folglich werden Texte eingestellt, von denen der Autor meint, sie seien verbesserungswürdig.
So weit, so klar. Nur: Es passiert dabei eben auch, dass etwas angemerkt wird, was der Autor für absolut richtig hält.
Und dann kommt die Nagelprobe der Kritikfähigkeit:
Natürlich ist es das gute Recht eines jeden, seinen Text (bzw einen bestimmten Aspekt) für absolut genial und vollkommen zu halten. Keine Frage. Daher können durchaus bestimmte Kritikpunkte abgewiesen werden.
Dieser spezielle Aspekt ist mir zu tendenziös formuliert.
Nur, weil ein Kritikpunkt zurückgewiesen wird, muss derjenige diesen Aspekt in einem Text nicht für "absolut genial und vollkommen" halten. Er kann ihn eben noch für genauso mies halten, nur eben nicht dadurch lösbar. Oder für o.k., und durch den Vorschlag einfach nicht verbessert. Oder ja, er hält ihn für elementar für seinen Text und damit nicht beliebig veränderbar oder auch gar nicht.
Genau das halte ich für ein Kernproblem, was durch die Struktur Autor/Röster auftaucht.
Der Autor gibt einen "nicht perfekten" Text zum rösten frei und die Röster "korrigieren". Und wenn der Autor dann Kritik nicht annimmt, ist er nicht kritikfähig. (Was Gott sei Dank in der Praxis eigentlich sehr selten vorkommt, dass sich da Röster und Autor so begegnen)
Aber woher kommt eigentlich auf einmal das Kompetenzgefälle?
Wie kann ich in meinem eigenen Text lauter Anfängerfehler machen und habe bei einem anderen auf einmal ja so unumschränkt Recht?
(Vom Themenkreis "Geschmäcker sind verschieden" mal gar nicht zu reden)
Wir sind alle Kollegen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Hinzugenommen, den Effekt Fremde Texte unvoreingenommen betrachten zu können und die gesamte Bandbreite an Leseerfahrungen und Theoriekompetenz hier, machen die Stärke des gemeinsamen Arbeitens an Texten aus.
Die Begründung macht eine Meinung zu einer Arbeitsgrundlage und deshalb kann ich im eigenen Text grottig sein, anderen Kollegen aber durchaus hilfreiche Gedanken zukommen lassen und umgekehrt. Genial schreiben heißt nicht automatisch, einen anderen Text auch überarbeiten helfen zu können.
Ich kann, wenn ich meine Meinung begründe, ein Gespräch unter Kollegen führen und mich egal wo stetig in meiner Kompetenz verbessern.
Was aber elementar auch bedeutet, dass der Kollege in der Rösterrolle sich irren kann. Und ich als Röster möchte das wissen, wenn ich mich irre oder mir eine Zusatzinformation fehlt, die meinen Kritikpunkt eben in einen Pluspunkt für den Text verwandeln kann oder eben eine andere Lösung erfordert.
Auch ist es eben so, dass wir meist nur Ausschnitte haben, wo der Autor einfach einen immensen Vorsprung haben muss, mit dem was er braucht und das auch nicht alles in einen Vorspann zum Text passen kann. Dieses Wissen kann und soll er , dem Röster zuliebe doch nicht vergessen.
Ebenso kann eine Idee oder ein Kritikpunkt gut sein, aber eben nicht zum Autor passen, oder zur Geschichte und und und. Dann möchte ich das als Röster auch wissen. Und zwar auch begründet. Denn nur so empfinde ich ein Gespräch als gleichrangig und fruchtbar. Auch gerne höre ich auch Begründungen für das Annehmen von Kritik und kann dabei beobachten, wie meine Anregung Eingang in das Arbeiten eines anderen findet. Ein, ich bin kritikfähig und deshalb nehme ich alles an (um nicht in den Ruchlosen Dunstkreis des "hält sich wohl für genial oder was?!" zu kommen), bei der Vielfalt hier? Wie soll das denn gehen?
Einer schlägt kürzen vor eine erweitern, beide haben gute Argumente und beides kann positive Wirkungen auf den Text an sich haben, aber beides geht nunmal nicht.
Was soll der Autor dann machen?
Natürlich nur eines. Er wird begründet eine Wahl für seinen Text treffen und an dem Entscheidungsprozeß wäre ich gerne als Zuhörender und Lernender beteiligt. Das kann ich aber natürlich nicht generell verlangen. Aber entsetzlich finde ich es, wenn mir dieser Maulkorb für Autoren, genau das vorenthält was Textarbeit bedeuten kann.
Ich wünsche mir ein möglichst großes Gleichgewicht des Respekts vor der Kompetenz des Anderen, was für mich bedeutet, dass Kritikfähigkeit erste Autorenpflicht hier ist, aber doch wohl sowohl als Autor, wie auch als Röster in einem Textthread.
Das, wenn eine Begründung fehlt, ob nun aus Mangel daran, eingeschliffenen Gedanken, oder auch Ökonomie oder auch emotionaler Beteiligung. Dann kann und sollte man nachfragen, finde ich, auf beiden Seiten. Sich daran erinnern, dass wir hier alle Kollegen sind, die miteinander arbeiten wollen. Schreiben kann man auch alleine und Kritisieren, ohne eine Antwort des Autors am Hals zu haben, kann man auf diversen Rezensionsseiten.
Denn mir nützt weder ein angeblich so kritikfähiges Ja, zu einem Kritikpunkt, wenn ich mich als Autor vergalloppiert haben, noch als Röster. Das ist meiner Meinung nach genau das, was "gnadenlos ehrlich" sein, hier vermeiden soll. Dass nämlich die Soziale Situation die geäußerte Meinung mehr beeinflusst, als die Qualität des Geschriebenen.
Sobald miteinander sprechen nicht mehr möglich ist, weil einer automatisch mehr Recht hat und der andere dann automatisch kritikunfähig ist, wenn er das nicht anerkennt, kann man auch das Antworten der Autoren im Textthread abschaffen.
Solange der Ton kollegial ist und das Interesse an einer begründeten Meinung besteht, finde ich, gibt es keinen Grund sich nicht großartig unterhalten zu können über ein Problem, bei dem man unterschiedlicher Ansicht ist. Und viel lernen können, ganz unabhängig davon, ob die Erkenntnisse des anderen nun vom Autor in den Text eingearbeitet werden oder nicht. Ob man sich zum Schluss auf eine Sichtweise einigt oder einfach nur einen Einblick in die Sichtweise eines anderen erlangt hat.
Zu den weiteren Aspekten die Uli aufgedeckt hat:
Ja, Das kann nicht immer gutgehen, wenn Menschen beteiligt sind.
Und Natürlich sollte man Themen aus dem Weg gehen, wo man seine Unzurechnungsfähigkeit oder besser mangelnde Aufnahmebereitschaft für andere Meinungen oder sogar gerade diese kennt und immer immer lieber erst einen Moderator fragen, wenn man denkt, da überschreitet jemand eine Grenze, da muss man etwas sagen! Um sicherzugehen, dass es nicht nur eine ganz persönliche ist, die man da verletzt
fühlt, was andere, die nciht in den eigenen Schuhen stecken, nicht nachvollziehen können.
Aber kann man der Aussage eines Textes aus dem Weg gehen, wenn man Textarbeit leisten will? Das glaube ich leider nicht, dann das was jemand ausdrücken will bestimmt die Form. Das ist nicht beliebig. auch kann die Form eine Aussage produzieren, die nicht gewollt ist und wie das herausfinden, wenn es darüber keinen Austausch gibt?
Was ich für unproduktiv halte, ist einen Text zu rösten, zu dem ich keinen Zugang habe und wo der Röster ihn komplett in die Tonne treten und neu schreiben muss, und den Inhalt natürlich auch um 180 Grad wenden. Irgendeinen Zugang sollte man haben, denn das dann das Echo wenig glücklich ist und der Autor das Gefühl hat, das kann ja wohl nur aus Antipathie passieren, ist irgendwo auch klar. Man geht nicht in ein Steakhouse und kriegt dann eine Vegetarierkrise und umgekehrt. Also wenn man nicht wenigstens das Gefühl hat für eine vollwertige Mahlzeit plädieren zu können, ist man wahrscheinlich nicht der richtige Kollege und es gibt immer genug auch ältere Texte, die man sich noch vornehmen kann, wo die Zeit sinnvoller investiert ist. Für den Autoren und auch sicher für einen selbst.