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Grill / Re: (KG) Wandertag
« Letzter Beitrag von Quisille am 08 February 2023, 17:32:49 »Und ein ratterndes Schreiberhirn ist doch das Beste, was man mit einer Textkritik erreichen kann, oder?
Freut mich!


Und ein ratterndes Schreiberhirn ist doch das Beste, was man mit einer Textkritik erreichen kann, oder?
Der Übergang vom Reflektieren auf eine wie real durchlebte Angstphantasie ist mir zu stark, ich nehme sie der Figur nicht ab. Am Ende wird sie sogar halb ohnmächtig. Das reißt mich raus, so theatralisch ist der Text an keiner anderen Stelle. Die Angst an sich ist richtig und wichtig, nur die Art, wie sie sich äußert, scheint leicht überzogen. In dieser Situation vor Angst ohnmächtig zu werden, ist dem Überleben nicht förderlich. Zu erstarren und sich hinzuhocken allerdings schon. Ab dieser Stelle ist der Text wieder zu alter Form aufgelaufen.
Wieder ein Geräusch, weiter entfernt. Da ist etwas. Jemand, schießt es Mimi durch den Kopf. Ein Mensch. Ein Mann.
Mimi erstarrt. Ihr Herz schlägt so heftig, dass sie kaum Luft bekommt. Jetzt kann sie Schritte ausmachen, die näher kommen. Nein, sie entfernen sich. Nein. Die Schritte umkreisen sie. Sie sind hinter ihr. Ihr Körper spannt sich, und sie spürt überdeutlich den Druck der Rucksackträger, als ob sich Hände auf ihre Schultern gelegt hätten. Sie will die Hände abschütteln, aber sie kann sich nicht bewegen. Der Mann ist hinter ihr und wartet. Worauf? Will er ihre Angst auskosten, bevor ... War es so, als er Philipp S. entführt hat? Wo hat er ihn hingebracht? Was hat er mit ihm gemacht?
Vor Mimis Augen wird es dunkel. Ein Keller. Feuchter, modriger Geruch. Ein schmaler Lichtschacht, durch den fahle Dämmerung auf den Betonboden sickert. Eine schwere Tür, die sich öffnet, eine massige Gestalt: der Mann. Sein Gesicht ist eine dunkle Masse.
Das Grauen kriecht in Mimis Mund. Würmer, die sich winden, sie spürt die schleimigen Leiber auf ihrer Zunge, in ihrem Hals und muss würgen. Der Waldboden unter ihren Füßen dreht sich, hebt sich ihr entgegen, sie fällt nach vorn, auf Hände und Knie. Heftiger Schmerz pocht in ihrem Kopf. Sie meint zu ersticken. Die Würmer ausspucken. Atmen. Ein. Aus.
Welches Mädchen dieser Welt WILL "Verdammtes Miststück" genannt werden? Gibt es da keinen heroischeren Titel? Selbst mit zehn Jahren wäre ich da keine Anwärterin gewesen.Ich schon. Es gibt ein paar Leute, die ich kenne und sehr mag, die das als ehrliche Anerkennung meinen
Und dass dieser Titel von so absolut belanglosen Zufällen abhängt wie klebendem oder nicht klebendem Kaugummi, gefällt mir auch nicht besonders.Nein, der Titel hängt nicht von klebenden oder nicht klebenden Kaugummis ab. Sondern davon, ob sich eine Anwärterin in ausreichendem Maß als Miststück verhalten hat (vor allem gegenüber den/m Lehrer/n). Und die Beurteilung, ob das Maß ausreicht oder nicht, liegt allein bei Carla. Darum machen sie alles, was Carla vorgibt, in der Hoffnung, dass das Erfüllen der Aufträge (z.B. das Kaugummi-Aufkleben) irgendwann ausreicht. Aber keine der Anwärterinnen kann abschätzen, wann die Anstrengungen ausreichen. Darum versucht Mimi ja auch, eigeninitiativ etwas ganz besonders Miststückhaftes zu tun.
Und am Schluss wird leider auch nicht klar, ob Mimi den Titel nun "gewonnen" hat oder ob sie ihn vielleicht gar nicht mehr will, weil sie einen kleinen Blick auf die Realität geworfen hat.Meine Vorstellung ist, dass sie den Titel nicht bekommt. Ausgangspunkt für diese Geschichte war für mich das antike David-gegen-Goliath-Motiv. Der Lehrer scheint den Miststücken zunächst unterlegen, ein leichtes Opfer. Aber am Ende besiegt er sie.
Übrigens glaube ich, dass sie mit dem Namen Mimi ("Mimimimi") nicht die geringste Chance hat.„Mimi“ ist mein Standard-KG-Protagonistinnen-Name. XD Dass er hier nicht so gut passt, ist mir daher gar nicht aufgefallen. Aber das kann ich ja ändern.
Woher kommt die Vorstellung eines finsteren Kellers? Wurde Philipp nicht im Wald gefunden? Das Bild reißt mich ziemlich raus, und ich würde eher an Ratten und Spinnen denken, nicht an Würmer.Huch - in meiner Vorstellung wurde er entführt, in einem Keller gefangen gehalten und dann in einem Waldstück abgelegt. Hm … Ich denke mal darüber nach, wie ich das entweder klarer machen oder ändern kann.
… dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit, das - so verstehe ich es - den Reiz der Verdammten Miststücke ausmacht.Ja, genau, das ist es, was diese kleinen Bitches lockt.
Ja, das können sie sein, Kinder und andere Menschen, die sich (noch) nicht in ihr Gegenüber einfühlen: verdammte Miststücke, machen Ärger aus Spaß daran. Und dann, einen Fingerbreit daneben, sitzt die andere Seele klein und zittrig in ihrer Brust und bricht zum Ende hervor. Vielleicht bedingt diese sogar die andere. Vielleicht müsste Mimi sich Carla gegenüber nicht beweisen, wenn sie sich nicht unbedeutend fühlte. Vielleicht müsste sie die Kratzer und Wunden nicht ertragen, wenn da nicht andere viel stärker brennen würden.Stimmt!
… auch die von Sassmann. In den Augen der Kinder ist er eine Null, ist das Opfer ihrer Angriffe, verzählt sich dann auch noch endgültig (Superschachzug!), damit ist er disqualifiziert. Mimi malt sich aus, wie er in Panik verfallen und sie das genießen wird. Wie du das umgedreht hast, dass sie in Panik ist und er nichts sagt (!), nur vor ihr herstiefelt, das ist große Klasse!Jep. Diese Geschichte ist im Grunde eine David-gegen-Goliath-Geschichte. Ich habe dazu letztens (als ich noch um das Ende gerungen habe) einen Linolschnitt gemacht. Wenn ich das nächste Mal an meinem Rechner sitze, lade ich ihn mal hoch.
Weil wir bei Realismus sind: Zwei Stunden Pause sind viel zu lang, da würden alle Schüler übermütig. Eine halbe Stunde maximal zum Ausruhen, und das erst, wenn die Kids ziemlich geschafft sind, vor allem, weil da ja nichts ist, was sie beschäftigt.Ok, das nehme ich auf.
Diesen Absatz hier liebe ich: Augen und Ohren, die beiden Hauptsinne versagen, sofort setzt die Fantasie ein. Aus dem friedlichen, stillen Waldstück wird die Bedrohung.
Das mit den Würmern finde ich ein gewagtes Bild, es hat mich aber nicht gestört. Dass Angst einen zum Würgen bringt, kann ich nachvollziehen, die schleimigen Leiber nicht - glücklicherweise. Im Nachhinein überlege ich allerdings, ob sie für diesen Vergleich nicht wirklich mal Würmer im Mund gehabt haben muss.Auch wenn‘s Dich nicht gestört hat, versuche ich es mal mit einem anderen Bild. Habe zwar noch keine zündende Idee, aber ich denke drüber nach.
Heute wird sie beweisen, dass sie Carlas Gunst verdient hat.
Nach dem hellen Sonnenlicht haben ihre Augen Schwierigkeiten, etwas zu erkennen. Gleißende Flecken tanzen zwischen den dunklen Baumstämmen umher. Trockene Äste knacken unter ihren Füßen. Es riecht nach Holz und Wärme, und es ist ganz still. Sie bleibt stehen und lauscht. Erst jetzt wird ihr bewusst, wie still. Kein Vogelgezwitscher, kein Wind in den Wipfeln der Fichten, nicht einmal das ferne Rauschen einer Straße. Sie hört nur ihr eigenes Ein- und Ausatmen, und als sie die Luft anhält, hört sie gar nichts mehr.
Nichts mehr spürt, keine Angst, keine Reue, nichts.